Ein Zwischenruf von Christel van Dieken

Die Diskussion um die dringende Notwendigkeit der Digitalisierung von Bildung nimmt in der aktuellen öffentlichen Debatte um die pandemiebedingte Situation und um Fragen der Gestaltung naher und ferner Zukunft von Bildung einen großen Raum ein. Digitalisierung von Bildung, da sind dann ja auch die Kitas als Orte von frühkindlicher Bildung gemeint, oder?

Schauen wir genauer hin: Werden Kitas in der Digitalisierungsdebatte mit berücksichtigt? Bestimmt, sagt mir mein Verstand: Denn in Kitas finden grundlegende Bildungs- und Entwicklungsprozesse statt, die die Grundlage für jede weitere kindliche Entwicklung sind. Hier wächst die Zukunft unseres Landes heran und deshalb brauchen wir dort bestens ausgebildete Pädagog*innen mit Herz. Bestens ausgebildet bedeutet auch, digitale Kompetenzen zu entwickeln, um die Zukunft der Bildung mitgestalten zu können. Na dann sind natürlich die Kitas mitgedacht in der Digitalisierungsdebatte, oder? Das muss doch sein! Oder werden sie einfach vergessen?

Machen wir uns auf die Suche: Es gibt einen Digitalpakt, mit dem der Bund und die Länder die Leistungsfähigkeit der digitalen Bildungsinfrastruktur an Schulen stärken und so die Grundlagen zum Erwerb von digitalen Kompetenzen an Schulen nachhaltig verbessern. Insgesamt werden im Rahmen des DigitalPakts Schule im Zeitraum 2019 bis 2024 Finanzhilfen in Höhe von fünf Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Abgesehen davon, dass hier unter Digitalisierung zunächst mal die rein technische Ausstattung von Schulen und nicht die Nutzung digitaler Bildungsangebote für die Verbesserung und Erweiterung bisheriger schulischer Lernformate gedacht ist - in diesem Pakt ist nicht von Kitas die Rede. Leider nein! Überhaupt nicht - mit keinem Wort. Na ja, das kennen wir ja schon. Hier zeigt sich mal wieder, dass zwischen dem, was auf dem Papier steht und der realen Wertschätzung und Anerkennung der Kitas als Bildungsorte eine riesengroße Lücke klafft. Kitas werden nicht nur wenig berücksichtigt, sie werden in diesem Zusammenhang gar nicht genannt. Nichtnennung, Nichtbeachtung ist das Gegenteil von Würdigung und Wertschätzung.

Wenn von Digitalisierung in Kitas gesprochen wird, ist meistens die Nutzung von Medien durch die Kinder gemeint: der Einsatz von Tabletts zum Geschichten hören, malen usw. Das kann ein Teil digitalisierter Bildung sein. Ich rede hier allerdings von der Erschließung neuer Kommunikationswege und der Nutzung digitaler Weiterbildungsangebote von Kitapädagogen. Davon, dass ich dadurch das Selbstlernen und das Lernen in Teams radikal verändern kann (wie und wieso davon soll an anderer Stelle noch die Rede sein).

Also suchen wir in diesem Sinne weiter. Volltreffer! Es gibt jetzt den im September 2020 von der Bildungsministerin Franziska Giffey einberufenen Corona-Kita-Rat. In dem wird es doch sicher auch um dieses Thema gehen. Denn Corona hat uns wie ein Brennglas gezeigt, wie sehr eine mediale Ausstattung verbunden mit medialen Kompetenzen, die aktuelle Situation in den Kitas unterstützt, unterstützen könnte. Sind hier Ausstattung und Knowhow vorhanden, wird die Kommunikation mit den Eltern und die Kommunikation im Team erleichtert und gefördert, und die Nutzung von Onlinefortbildung kann die Zeiten von Homeoffice zu sinnvoll genutzter Arbeitszeit machen. Aber im Corona-Kita-Rat geht es aktuell zunächst einmal darum, dass die Pädagog*innen in den Kitas in die Gruppe 3 der Dringlichkeit der gegen Corona zu Impfenden aufgenommen wird. Das ist wichtig für alle Beteiligten - aber auch hier steht das Thema “Digitalpakt Kita” nicht im Fokus.

Ich suche weiter bei Google: “Digitalpakt Kita”? Ja, es gibt ihn: einen Artikel zum Thema: Das renommierte DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) hat einen Artikel veröffentlicht mit dem Titel: „Ein Digitalpakt für Kitas ist überfällig“. Am 19.12.2020 erschien er in der FAZ. In diesem Artikel wir vehement dafür plädiert und begründet, die Kitas in der Digitalisierungsdebatte nicht zu vergessen.
Und welche Positionen vertreten die Kitas selbst, die Kitaträger in dieser Republik, die Pädagog*innen? Setzen sie sich ein für ihre Sichtbarkeit in dieser Debatte und dafür, dass ein Teil der 5 Milliarden auch den Kitas zugute kommt?

Zögerlich, an manchen Orten auch mutig und experimentierfreudig, haben im letzten Jahr viele Kitapädagog*innen begonnen, sich mit digitalen Fortbildungsangeboten auseinanderzusetzen. Träger machen sich digital auf den Weg der Organisationsentwicklung mit der Werkstattpädagogik. Es wurden digitale Kommunikationsstrukturen mit Eltern und in den Teams aufgebaut und erprobt, die sich zeitweise gar nicht mehr real an einem Ort zusammenfinden durften. Und das alles unter größtmöglicher Nichtbeachtung der Kitas in der öffentlichen Diskussion um die Erfordernisse der Digitalisierung von Bildung. Digitale Kommunikation und Bildung 2021 in Kitas sieht oftmals real so aus (da gibt es dann durchaus Ähnlichkeiten mit den Schulen): Träger die warten, ob das Ganze nicht doch noch an ihnen vorbeigeht, denn schließlich geht‘s in Kitas ja um Beziehungsgestaltung - und die geht ja nicht digital?! Schlechtes bis gar kein WLAN, Datenschutzbestimmungen, die es über ein Jahr verhindern, dass interessierte und bereitwillige Kollegen Konferenztools nutzen dürfen, sondern sich zu zweit über das gute alte Telefon verständigen müssen. Konferenzschaltungen - wie gehen die? Es wird viel mitgeteilt und weitergegeben, was nicht genutzt werden darf - wenig, was denn alternativ möglich wäre. Und so sitzen KollegInnen zu viert vor einem Laptop in Webinaren, bei denen immer wieder die Verbindung abbricht und man sich nicht verstehen kann. Persönliche Handys und Laptops müssen mangels fehlender Ausstattung in den Kitas genutzt werden usw. Oder man darf eben erst einmal (wie lange dauert “erst einmal”?) nichts digital machen. Das Prinzip “Hoffnung” bestimmt die Haltung mancher Kitapädagog*innen. Sie ducken sich noch weg, warten und hoffen auf die Zeit nach Corona, wenn der Spuk der Digitalisierung hoffentlich vorbei sein wird und wir uns endlich wieder “in echt” treffen können.

Ja, darauf freue ich mich auch. Aber ich freue mich auch darauf, dass die Erfahrungen, die wir jetzt in absolut von außen beschleunigter Form im letzten Jahr und auch in diesem Jahr und hoffentlich auch in den kommenden mit der Nutzung digitaler Bildungsangebote machen konnten, weiterleben werden, weiterentwickelt werden. Dass digitale Kompetenzen kreativ und lustvoll erprobt werden als wunderbare Ergänzung und Erweiterung der bisherigen Lern- und Kommunikationswege und als eine Möglichkeit, aktiv die Zukunft der Bildung unserer Kinder mitzugestalten. und dass wir das nicht anderen überlassen.

Christel van Dieken
Christel van Dieken ist Diplompädagogin und Geschäftsführerin der Waterkant Academy Hamburg, die Onlinekurse und Blended learning Konzepte für Kitafachkräfte entwickelt und produziert






Auch das Bundesjugendkuratorium hat in einem kürzlichen Zwischenruf einen Digitalpakt für die Kinder- und Jugendhilfe gefordert und näher begründet:

Download Zwischenruf Bundesjugendkuratorium