„Ängste“ so Joachim Bensel zum Auftakt seines Vortrags, „gehören zu den sogenannten „‘Pfui-Gefühlen‘“, die man so wie auch Wut oder Trauer gerne verdrängt oder unterdrückt – nicht zuletzt, weil sie über die Spiegelneuronen auch eine soziale Signalwirkung haben. Wichtig sei es aber trotzdem, sich mit ihnen auseinander zu setzen, sie wahrzunehmen und zu teilen, aber auch sie zu kontrollieren und manchmal auch zu "maskieren". Dafür bräuchten Kinder die passende und feinfühlige Resonanz von Erwachsenen.
Menschheitsgeschichtlich stellte der Verhaltensbiologe die Angst als eine „uralte angeborene Emotion und physiologische Reaktion dar“, die die Menschen darauf vorbereitet hat zuhöchst aufmerksam zu sein und entweder zu fliehen, sich zu verstecken oder anzugreifen. In diesem Sinn sei die Angst ein wichtiger Bestandteil des Lebens. Wenn die Angst überwunden und bedrohliche Situationen gemeistert wurden, liege darin auch ein hoher Lerneffekt und das Belohnungszentrum im Hirn werde aktiviert.
Quellen kindlicher Angst
Die Quellen kindlicher Ängste lassen sich mit Joachim Bensel grob in drei Kategorien einteilen:- Entwicklungspsychologische Ängste wie Angst vor dem Alleinsein, vor der Dunkelheit oder vor Schreckgestalten
- Familienspezifisch oder durch andere Erwachsene geprägte Ängste, z.B. vor Krankheiten, Tieren oder vor Kriminalität und Krieg
- Pathologische Ängstlichkeit
Corona bedeutet Kontrollverlust und Fremdbestimmung
Nach dieser Hinleitung beleuchtete der Verhaltensbiologe konkret die „Gefühlswelt der Kinder in der Corona-Pandemie“, die zunächst einmal ein unkontrollierbares Bedrohungsszenario darstelle und damit Kontrollverlust und Fremdbestimmung bedeute.Inwieweit sind coronabedingte Ängste der Kinder denn nun in den KiTas tatsächlich wahrnehmbar? Dazu führte Joachim Bensel eine Umfrage unter den rund 400 Teilnehmer*innen des Vortrags durch und die Ergebnisse waren durchaus überraschend: Denn knapp die Hälfte meinte, dass Corona in ihrer Einrichtung kein angstbesetztes Thema sei. In einem Drittel der Einrichtungen sprechen der Umfrage zufolge Kinder aber durchaus über ihre Corona-Ängste und jeweils rund 10 Prozent der Teilnehmer*innen meinten, dass die Kinder sich ängstlicher als sonst verhalten oder dass Corona-Ängste deutlich sichtbar und spürbar würden.
Im begleitenden Chat posteteten die Teilnehmer*innen an dieser Stelle eine Vielzahl von teil verblüffenden Herangehensweisen und neuen Spielen der Kinder, z.B.:
- „Corona wird gemalt und gebastelt“
- „Kinder spielen ‚Corona und Impfstoff‘ anstelle von ‚Räuber und Polizei‘"
- „bei uns wurde in der Freispielecke: Ich bin Frau Merkel und du bist Herr Söder gespielt“ oder
- „Unsere Kita hat eine Handpuppe, eigentlich war es ein ‚Virus‘ jetzt heißt es Corona und wird ins Spiel miteingebunden. Die Handpuppe ist wuschelig und knall orange.“
Kohärenzgefühl stärken und Kinder beteiligen
In Bezug auf die Corona-Ängste von Kindern betonte Joachim Bensel, dass es wichtig sei mit den Kindern zu sprechen und ihnen möglichst viel kindgerecht zu erklären – z.B. auch über Bilderbücher oder Visualisierungen und Piktogramme im KiTa-Alltag. Ziel müsse es sein, das Kohärenzgefühl der Kinder, dass sich für sie aus Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit der Welt zusammensetze, zu fördern und zu stärken. Unabhängig von Corona, so Joachim Bensel, befinden wir uns in einer Welt der Umbrüche, in einer „VUKA“-Welt, die durch Volotalität (=Schwankung, Unbeständigkeit), Unsicherheit, Komplexität und AmbiguitätAmbiguität|||||Wird auch als Mehrdeutigkeit oder Doppeldeutigkeit verwendet, z.B. wenn ein Bild oder Satz auf verschiedene Arten und Weisen verstanden werden kann. Dazu gehören unter anderem auch Anspielungen. (= Mehr- und Doppeldeutigkeit) bestimmt sein.Gerade in solchen Zeiten ohne Patentrezepte, in der auch die Fachkräfte Ängste hätten und unsicher seien, biete es sich an, zusammen mit den Kindern nach (auch unkonventionellen) Lösungen zu suchen und sie in Planungen und Entscheidungen einzubeziehen. Joachim Bensel unterstrich in diesem Sinne, dass Kinder „von Anfang an das Gefühl bekommen müssen ernstgenommen zu werden und mitgestalten zu können“. Die Partizipation und demokratische Bildung sei so auch und gerade in Krisenzeiten ein Grundpfeiler, um Ängsten zu begegnen und ResilienzResilienz|||||Resilienz kann als "seelische Widerstandsfähigkeit" verstanden werden mit der Fähigkeit Krisen zu meistern und diese als Anlass für Selbstentwicklungen zu nutzen. In der Resilienzförderung geht es speziell darum die Widerstandsfähigkeit von Kindern und Erwachsenen in belasteten und risikobehafteten Lebenssituationen durch schützende Faktoren zu entwicklen, zu ermutigen und zu stärken. Ein verwandter Begriff ist der der Salutogenese. zu fördern. Entwicklungspsychologisch finde durch die Bewältigung von Angstgrenzen Lernen und Wachstum statt und dabei brauche es einer ermutigenden Begleitung durch Erwachsene – z.B. durch einen gemeinsamen Nachtspaziergang oder durch das Klettern auf Bäume.
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Literaturtipp:
Bensel, J., Haug-Schnabel, G. & Kremers, J. (2020) Kinderängste verstehen und achtsam begleiten. Kindergarten heute – wissen kompakt. Herder, Freiburg.
Karsten Herrmann