In der mittlerweile elften Veranstaltung der kostenlosen nifbe-Vortragsreihe „KiTa in Corona-Zeiten“ beleuchtete Dr. Joachim Bensel von der Forschungsgruppe Verhaltensbiologie des Menschen (FVM) in Kandern die Offene Arbeit und Partizipation unter Pandemie-Bedingungen. Wie die nifbe-Moderatorinnen Gerlinde Schmidt-Hood und Gisela Röhling zu Beginn einführten, habe Corona zwar alle KiTas sehr herausgefordert, aber besonders betroffen seien solche mit einem Offenen Konzept gewesen. Hier seien teilweise „radikale Umstellungen notwendig gewesen!“

Genau an diesem Punkt knüpfte Joachim Bensel an und zeigte anhand von Zahlen aus der Corona-KiTa-Studie auf, dass aktuell ein gutes Drittel der KiTas mit ursprünglich offener Struktur auf feste bzw. teiloffenen Gruppen und von den teiloffenen KiTas mehr als die Hälfte auf feste Gruppen umgestellt haben. Die Konsequenz für die Kinder sei dabei, dass „kein spontaner Wechsel mehr zwischen den Lernwerkstätten möglich ist“, dass nicht mehr alle Fachkräfte von den Kindern als Expert*innen für bestimmte Bildungsbereiche wahrgenommen werden und dass sich "keine übergreifenden spontanen Spielgruppen" mehr bilden können.

Öffnung und Offenheit als Grundprinzipien

Der Entwicklungspsychologe unterstrich, dass die Offene Arbeit von zwei zentralen Grundprinzipien bestimmt ist, nämlich Öffnung (der Räume und Gruppen) und Offenheit (als Haltung). Im Sinne des zweiten Grundprinzips lasse sich eine Orientierung an den Themen der Kinder und eine wertschätzende Haltung ihnen gegenüber auch in festen Gruppenstrukturen und mit eingeschränkten räumlichen Gegebenheiten umsetzen.

Als weitere Prinzipien der seit Ende der 1970er Jahre etablierten Offenen Arbeit beschrieb Joachim Bensel, „dass die Stammgruppen aufgelöst werden und Kinder sich in freigewählten Spielgruppen mit selbstgewählten Aktivitäten befassen können“ – z.B. in jederzeit aufsuchbaren Bildungswerkstätten oder Ateliers. Grundsätzlich werde in der Offenen Arbeit das Freispiel gegenüber einer Angebotspädagogik favorisiert. Auf den Punkt brachte er die Philosophie der Offenen Arbeit mit einem Zitat von Gerlinde Lill: „Offene Arbeit zielt auf die Erweiterung der Handlungs- und Entscheidungsspielräume für Kinder … Kern der Sache ist das Wohlbefinden jedes Kindes, sein Recht auf Eigensinn, Selbstbestimmung und Einfluss“.

Wie Joachim Bensel mit Ergebnissen aus der NUBBEK-Studie untermauerte, weisen offen arbeitende KiTas mit ihrer kindzentrierten Bildungs- und Entwicklungsbegleitung eine höhere Prozessqualität auf als solche mit festen Stammgruppen. Gründe dafür sah er unter anderem in einem „Spezialistentum“ der Fachkräfte, die für ein Bildungsthema in der KiTa zuständig seien und entsprechende Gestaltungsmöglichkeiten hätten. Zudem hätten alle Fachkräfte alle Kinder im Blick, was wertvolle Austauschmöglichkeiten und kollegiale Reflexionen ermögliche. Grundsätzlich sei in Teams mit der offenen Struktur ein „gruppenübergreifendes Denken und Handeln möglich“, was dann in eine entsprechende Organisationsentwicklung einfließen könne. Die Grundsätze der Offenen Arbeit illustrierte Joachim Bensel in der Folge mit beeindruckenden Beispielen aus der Praxis – mit Bildungswerkstätten für das Bauen, Forschen, Bewegen und Lesen und mit Außenbereichen, die auch alle Bildungsbereiche abdecken können.

Partizipation in Zeiten von Corona ermöglichen

Als zentrales Prinzip der Offenen Arbeit stellte Joachim Bensel die Partizipation der Kinder heraus und unterstrich: „ÖPartizipation ist auch in Corona-Zeiten möglich“. Grundlage dafür seien die Grundsätze der Information, der Transparenz, der Freiwilligkeit und der individuellen Begleitung. Für die Offene Arbeit in Zeiten von Einschränkungen und Unsicherheit gebe es allerdings keine Patentrezepte. Aber gerade in diesen Zeiten böten sich wunderbare Gelegenheiten, „um mit Kindern gemeinsam zu diskutieren und nach Lösungen zu suchen“. Kinder seien auch in diesen Zeiten kompetente Akteure und könnten Verantwortung übernehmen – zum Beispiel im Hinblick auf die Raumgestaltung, die Joachim Bensel an einem „Nichts- und Ohne-Raum“ beeindruckend illustrierte.

Für die Raumnutzung in Corona-Zeiten empfahl der Verhaltensbiologe „in jedem Raum Rückzugsmöglichkeiten anzubieten“ und das „Bewegungsbedürfnis von Kindern immer zu befriedigen“. Ein übergreifendes Miteinander sei zum Beispiel durch „Haus-Projekte“ wie eine riesige Murmelbahn möglich, an denen alle Kinder in unterschiedlichen Räumen oder zu unterschiedlichen Zeiten beteiligt werden.

Joachim Bensel motivierte die Teilnehmer*innen abschließend dazu, mit der Corona-Krise kreativ umzugehen und sie auch als Chance zu sehen, „sich selbst und seine eingeschliffenen Muster zu hinterfragen und neu zu erfinden“. Entscheidend sei es, die Signale auch schon der Kleinsten wahrzunehmen und die „Partizipation in den kleinen Bausteinen des KiTa-Alltags“ immer wieder zu ermöglichen.

Download Präsentation

Karsten Herrmann

Tipp:

Besuchen Sie auch unsere Forum zu "KiTas in Corona-Zeiten", in dem Sie sich sich weiter informieren und austauschen können!