Digitale Lernwerkstatt in Corona-Zeiten

Im vergangenen Corona-Lockdown und auch in einem möglicherweise wiederkehrenden stellt sich die Frage nach einer digitalen Pädagogik und einer digitalen Zusammenarbeit mit den Eltern. In der kostenlosen nifbe-Vortragsreihe „KiTa in Corona-Zeiten“ stellte Prof. Dr. Stefan Bree von der HAWK Hildesheim zusammen mit Tanja Wittenberg von der Hochschule Emden-Leer sowie Student*innen die Möglichkeiten für eine digitale Lernwerkstatt vor.

Zum Auftakt wurde die Ausgangssituation mit der Schließung der analogen Lernwerkstätten der Hochschulen und die ersten Schritte zu einer gemeinsamen digitalen Lernwerkstätten-Konzeption für die Student*innen in einem kurzweilig animierten Erklärfilm vorgestellt. Zentrale Bausteine bildeten in diesem digitalen Ansatz die (Alltags-)Gegenstände an sich, die Beobachtung und Dokumentation sowie eine Partizipative Kommunikation. Ergänzt wurden diese Bausteine durch die multimediale Plattform „Padlet“, die, so Stefan Bree, den sprechenden Wänden der Reggio-Pädagogik gleichen würde.

Das Prinzip Lernwerkstatt

Grundsätzlich besteht das Lernwerkstatt-Prinzip darin, Lernende dabei zu unterstützen eigenständig Phänomene zu entdecken, Fragen zu stellen und Themen zu bearbeiten. Angeregt werden sollen hier (gemeinschaftliche) alltags- und lebensbezogene Lernprozesse auf der Grundlage einer sinnlich-leiblichen, emotionalen und kognitiven Beziehung zur Welt. Materialien sind dabei in der Regel verwendungs- und bedeutungsoffen und können aus dem Alltag, wie bei Remida aus Ausschüssen von Betrieben und der Industrie oder aber aus der Natur stammen. Für eine digitale Lernwerkstatt sind darüber hinaus die entsprechenden Medien für die Dokumentation notwendig – PC, Laptop, Smartphone, Tablet oder Kamera. Mit Lernwerkstätten werden viele Bildungsbereiche angesprochen – von der (Fein-)Motorik über soziale und kognitive Bereiche bis zur Sprachentwicklung.

Mit diesem Konzept führten die HAWK und die Hochschule Emden dann digitale Lernwerkstatt-Seminare mit ihren Student*innen durch und wie der Zufall es wollte, kamen hier auch Kinder mit ins Spiel – so der fünfjährige Sohn von Simone John. Wie die Studentin und Mutter erzählte, habe ihr Sohn großes Interesse an einem alten Radiowecker gezeigt, der eigentlich entsorgt werden sollte. John stellte Raum und Werkzeug für das Auseinandernehmen des Radioweckers sowie für das Weiterverarbeiten der Einzelteile zur Verfügung und spielte die Lernwerkstatt-Konzeption - von  einer wertschätzenden Begleitung und Ermunterung über das Stellen von Reflexionsfragen bis zur Beobachtung und digitalen Dokumentation auf dem Padlet - einmal an dieser Situation exemplarisch durch.

Wie lernen Kinder?

Aus entwicklungspsychologischer Sicht erläuterten Stefan Bree und Tanja Wittenberg ergänzend, wie Kinder in diesem Alter denn eigentlich lernen. „Sie konstruieren Wirklichkeit und Welt durch Explorieren, Experimentieren und Spielen in individuellen und gemeinschaftlichen Prozessen“ unterstrichen die beiden Referent*innen. Auf der Basis von Erfahrung und Wiederholung würden sie eigenständig und selbstbestimmt lernen. In diesem Sinne, so Bree, „brauchen Kinder auch kein Spielzeug, sondern Zeug zum Spielen“.

Lernwerkstatt digital Final 17.11 Seite 17
Für ihre Online-Seminare zu Lernwerkstätten stellten die Hochschulen ihren Stduent*innen nun Materialkisten zur Verfügung, die sie selbst oder auch mit Kindern erkunden und ausprobieren sollten. So wie die Studentin Milena Müller, bei der zuhause ihr zweieinhalbjähriger Neffe ihre Materialkiste mit Begeisterung entdeckte. An dieser Zufalls-Situation erprobte sie exemplarisch die für die Lernwerkstatt-Konzeption entscheidende „Wahrnehmende Beobachtung“ und bekam dabei die hautnahe Erkenntnis, dass der Lernwerkstattgedanke tatsächlich funktioniert. Ausgangspunkte der Wahrnehmenden Beobachtung sind folgende Fragen:
  • Was sind die Interessen und Themen des Kindes?
  • Wie verarbeitet das Kind seine Wahrnehmungen und wie geht es mit Komplexität um?
  • Welche Beziehungen stellt das Kind zur Umwelt her?
  • Welche Anregungen ergeben sich daraus für die Praxis?
Dem wahrnehmenden Beobachten der Situation selbst folgt dann das Beschreiben, Reflektieren und Dokumentieren des Prozesses.

In ihrer Präsentation zogen die Referent*innen auch den schönen Vergleich von wahrnehmender Beobachtung und dem Surfen: Wie beim Surfen müsse man sich als Lernbegleiter*in langsam auf die Welle der kindlichen Interessen und Ideen schwingen und dann möglichst lange auf ihrem Kamm mitreiten. So könnten in einem gemeinsamen und von der wertschätzenden Haltung der Lernebgeleiter*innen befeuerten Prozess die Lernmotivation des Kindes und seine Selbstwirksamkeitserfahrungen verstärkt werden.

Möglichkeiten und Grenzen für den KiTa-Bereich

In dem von den nifbe-Mitarbeiterinnen Julia Krankenhagen und Anna Dintsioudi moderierten gemeinsamen Austausch nach dem Vortrag wurden die Einsatz-Möglichkeiten und aber auch Grenzen der digitalen Lernwerkstatt für den KiTa-Bereich weiter diskutiert. „Nicht ersetzbar“, so Stefan Bree, „sind die realen Materialien, denn es braucht den sinnlichen, haptischen Kontakt der Kinder dazu“. Die Begleitung einer digitalen Lernwerkstatt mit Kindern sei auch darauf angewiesen, dass hier schon eine stabile Beziehung bestehe.

Für den KiTa-Bereich könnte sich in Phasen des Lockdowns anbieten, den Eltern Materialkisten zur Verfügung zu stellen und dann aus der Distanz z.B. über eine Zoom-Konferenz digitale Lernwerkstätten durchzuführen. Die Ergebnisse könnten zum Beispiel auf einem digitalen Elternabend vorgestellt werden.

Gemeinsame Weiterentwicklung

Wie Stefan Bree und Tanja Wittenberg einräumten, steckt die digitale Lernwerkstatt aber noch in den Kinderschuhen und nach den ersten Erfahrungen und gelungenen Praxisbeispielen müssten jetzt weitere konzeptionelle Schritte zusammen auch mit der KiTa-Praxis erfolgen. Dafür soll das nifbe-Forum, aber auch eine hierfür eigens eingerichtete Padlet-Plattform (Link folgt in Kürze) genutzt werden. Alle Interessierten sind aufgerufen, sich hier zu beteiligen!

Download Präsentation


Karsten Herrmann

nifbe-Film-Tipp:

Das Prinzip Lernwerkstatt