Aktuelle Strategien der Fachkräftegewinnung und -bindung

Unter dem etwas provokativ gemeinten Titel „Ist die Erzieher*innenausbildung noch zu retten?“ beleuchteten DJI, WiFFWiFF|||||WiFF ist ein Projekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, der Robert Bosch Stiftung und des Deutschen Jugendinstituts e.V. Die drei Partner setzen sich dafür ein, im frühpädagogischen Weiterbildungssystem in Deutschland mehr Transparenz herzustellen, die Qualität der Angebote zu sichern und anschlussfähige Bildungswege zu fördern. und die Arbeitsgemeinschaft der Jugendämter (AGJ) in einem Online-Forum mit rund 250 Teilnehmer*innen die aktuelle Ausbildungssituation sowie Strategien der Fachkräftegewinnung und – bindung. Nicht zum ersten Mal forderte Frank Janssen vom KTK dabei KiTa-Teams völlig neu zu denken und einen Systembruch zu vollziehen.

Wie Prof. Dr. Thomas Rauschenbach zur Begrüßung einräumte, widmeten sich die Kooperationspartner mit der Tagung einem „vielschichtigen, diffusen und unübersichtlichen Thema“, das von „ganz unterschiedlichen Seiten und mit ganz unterschiedlichen Intentionen in Bewegung gehalten wird“. Neben der Akademisierung spielten dabei derzeit der Quereinstieg, die Praxisintegrierte Ausbildung (PIA) sowie auch die tendenzielle Öffnung nach unten und die Absenkung von Standards eine Hauptrolle.

Hieran anknüpfend erinnerte Prof. Dr. Karin Böllert von der AGJ an den Versuch der KultusministerkonferenzKultusministerkonferenz|||||Die KMK  ist die ständige Konferenz der Länder in der BRD, wurde 1948 gegründet und ging aus der "Konferenz der deutschen Erziehungsminister" hervor. Sie basiert auf dem freiwilligen Zusammenschluss der zuständigen Minister/Senatoren der Länder für Bildung, Erziehung und Forschung. Da nach dem Grundgesetzt und sog." Kulturhoheit der Länder" die Zuständigkeiten für das Bildungswesen bei den einzelnen Ländern liegt, behandelt die KMK Angelegenheiten von  überregionaler Bedeutung mit dem Ziel einer "gemeinsamen Meinungs- und Willensbildung, sowie der Vertretung gemeinsamer Anliegen".  (KMK) im letzten Jahr eine Fachassistenz mit verkürzten Ausbildungszeiten in das KiTa-System einzuführen. Wie viele andere Akteure im Feld hätte sich die AGJ vehement gegen die Absenkung der Standards und für eine generalistische Erzieher*innenausbildung auf DQRDQR|||||Der Deutsche Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen soll umfassende, bildungsbereichsübergreifende Kompetenzen, die in Deutschland erworbenen wurden, erfassen. Als nationale Realisierung des Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR) soll er die Besonderheiten des deutschen Bildungssystems berücksichtigen und zur angemessenen Bewertung und Vergleichbarkeit deutscher Qualifikationen in Europa beitragen. Zunächst sollen formale Qualifikationen des deutschen Bildungssystems in den Bereichen Schule, Berufliche Bildung, Hochschulbildung und Weiterbildung einbezogen werden. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. In weiteren Schritten werden die informellen und nonformalen Kompetenzen ebenfalls berücksichtigt. 6-Niveau ausgesprochen. Aus der intensiven Diskussion mit der KMK sei dann im Juni 2020 ein Gesamtkonzept zur Weiterentwicklung der Qualifizierung sozialpädagogischer Fachkräfte entstanden. Perspektivisch soll nun auch ein bundesweit gültiger Rahmenlehrplan für die Fachschule für Sozialpädagogik sowie ein kompetenzorientiertes Qualifikationsprofil für die Ausbildung sozialpädagogischer Assistenzkräfte an Berufsfachschulen entwickelt werden.

"Masse statt Klasse?"

Mit Blick auf die KiTas konstatierte Karin Böllert einen „enormen Ausbau“ und eine Verdoppelung der Fachkräfte zwischen 2006 und 2019 auf jetzt gut 600.000. In den nächsten Jahren würde der Bedarf an Krippenplätzen und entsprechend an Fachkräften noch einmal deutlich ansteigen. Um den Fachkräftemangel zu begegnen hätten sich in den letzten Jahren in den Bundesländern eine fast unübersehbare Vielfalt an Ausbildungs- und Qualifizierungsformaten für Kinderpfleger*innen, Sozialassistent*innen und Erzieher*innen etabliert und immer wieder werde nach dem Motto „Masse statt Klasse“ eine Verkürzung der Ausbildungszeiten diskutiert. Böllert räumte dabei ein, dass man die zum Teil noch fünfjährige Erzieher*innenausbildung kritisch in den Blick nehmen dürfe, aber dabei genau die „erwünschten und auch unerwünschten Nebenwirkungen“ berücksichtigen müsse.

Für jede Lebenslage ein passendes Ausbildungsmodell?

Prof. Dr. Kirsten Fuchs-Rechlin gab den Forums-Teilnehmer*innen in der Folge einen genaueren Einblick in die Entwicklung einer „sich immer weiter pluralisierenden und diversifizierenden Ausbildungslandschaft“. Zwischen 2007 und 2018 hätten sich die Ausbildungskapazitäten der Fachschulen auf fast 40.000 verdoppelt und stießen nun an ihre Grenzen – nicht zuletzt wegen eines gravierenden Lehrer*innen-Mangels in diesem Bereich.

Die WiFF-Leiterin führte vor Augen, wie viele verschiedene Ausbildungsmodelle derzeit in den 16 Bundesländern existierten, jeweils abhängig von folgenden Faktoren:
  • Aufnahmevoraussetzungen (schulisch / beruflich)
  • Vollzeit oder Teilzeit
  • Art der Theorie-Praxis-Verzahnung
  • Vertragsverhältnis / Status der Schüler*innen bzw. Auszubildenen

„Inzwischen“, so Fuchs-Rechlin abschließend, „gibt es für fast jede Lebenslage das passende Ausbildungsmodell“.

Welche Maßnahmen sind vielversprechend?

In einem weiteren Fachvortrag stellte Prof. Dr. Bernhard Kalicki Strategien der Fachkräftegewinnung und -bindung jenseits von Ausbildung vor. Zu fragen sei dabei jeweils, welche Maßnahmen vielversprechend seien, wie ihre Wirksamkeit eingeschätzt wird und inwieweit sie technisch bzw. politisch umzusetzen seien. Im Fokus der Fachkräftegewinnung stünden derzeit folgende Maßnahmen:
  • Steigerung der Ausbildungskapazitäten (weitgehend ausgeschöpft)
  • Wiedereinstieg von Fachkräften (weitegehend ausgeschöpft)
  • Anerkennung einschlägiger ausländischer Berufsabschlüsse (verbunden mit z.T. erheblichen Qualifikationsbedarf insbesondere im Hinblick auf deutsche Sprache und deutsches Recht)
  • Quereinstiege über Fachschulen
  • Multiprofessionelle Teams (Ungelernte / Angelernte aus anderen Professionen)

Im Hinblick auf Maßnahmen der Fachkräftebindung führte Bernhard Kalicki folgende an:
  • Intensive Begleitung / Anleitung in der Berufseinmündung
  • Verbesserung der Arbeitsbedingungen (bessere Fachkraft-Kind-Relation; Zeit für mittelbare pädagogische Arbeit; gute Leitung)
  • Personalführung und -entwicklung (Weiterbildung / Teamentwicklung / alternsgerechte Arbeit)
  • Fachkarrieren innerhalb der KiTa (spezifische Kompetenz- und Tätigkeitprofile; Anpassung der Tarifstruktur notwendig)

Das Fachforum wurde begleitet durch zwei Gesprächsrunden mit Expert*innen aus den verschiedenen Ebenen der frühkindlichen Bildung. Große Einigkeit herrschte hier im Bekenntnis zur Erzieher*innenausbildung auf DQR 6-Niveau und in der Ablehnung von abgesenkten Qualitätsstandards. Bisher, so Nora Damme vom BMFSFJ, sei auch noch „keine Tendenz zur Deprofessionalisierung“ festzustellen. Der quantitative Ausbau und die qualitative Weiterentwicklung der KiTas müssten zusammen gedacht werden.

PIA als Erfolgsmodell, Fachkarrieren als Stellschraube

Als Erfolgsmodell nicht nur im Hinblick auf die Erschließung neuer Zielgruppen wurde in den Gesprächsrunden auch unisono die Praxisintegrierte Ausbildung (PIA) gewürdigt. „PIA hat das Verhältnis von Lernort Schule und Lernort Praxis auf eine neue Ebene gehoben und ermöglicht eine Theorie-Praxis-Verbindung vom ersten Tag“ an, so Michael Baumeister von der BoFAE (Bundesarbeitsgemeinschaft der öffentlichen und freien, nicht konfessionell gebundenen Ausbildungsstätten). Allerdings wurde auch betont, dass PIA extrem hohe Anforderungen an die Anleitung in den KiTas stellt: „Der Lernort Praxis muss mit personellen Ressourcen und entsprechenden Qualifizierungen hinterlegt werden“ forderte Doris Beneke von der Diakonie Deutschland. Strittig blieb zudem die Frage, inwieweit Auszubildende auf den Personalschlüssel angerechnet werden sollen.

Als eine zentrale Stellschraube der Fachkräftegewinnung und -bindung wurde auf der digitalen Tagung auch die Verbesserung der Rahmen- und Arbeitsbedingungen diskutiert. Dr. Elke Alsago von ver.di unterstrich, dass die sozialen Berufe grundsätzlich aufgewertet und die Arbeitsplätze attraktiver werden müssten. Ein stärkerer Fokus müsse dabei auf die Personalführung und -entwicklung gelegt werden. Wie auch Nora Damme vom BMFSFJ forderte sie des Weiteren eine „Entlastung der Fachkräfte von nicht-pädagogischen Arbeiten“ zum Beispiel im Bereich der Hauswirtschaft.

Große Aufmerksamkeit bekam in der Diskussion um die Steigerung der Attraktivität des Arbeitsfeldes das Thema der Fachkarrieren / Funktionsstellen innerhalb der KiTa. Dies sei sowohl für die sehr weiterbildungsaffinen Fachkräfte ein großer Anreiz wie auch ein geeignetes Mittel für die Personal- und Organisationsentwicklung meinten die Expert*innen. Als problematisch stelle sich aber derzeit noch die Möglichkeiten eines entsprechenden tariflichen Aufstiegs dar. Hier ist dringend eine Flexibilisierung und Differenzierung des Tarifvertrags notwendig und wie Elke Alsago bemerkte, gibt es hierzu auch bereits einen Vorschlag der Gewerkschaften.

"Systembruch" oder "Quadratur des Kreises"?

Einen kleinen Sprengsatz warf Frank Janssen vom Verband Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder (KTK) in die weitgehend konsensualen Gesprächsrunden, indem er nichts weniger als einen „Systembruch“ verlangte: „KiTa-Teams müssen völlig neu gedacht werden“ sagte er und plädierte für den verstärkten Einzug von fachfremden Professionen in die KiTa, „um die Lebenswelt und Alltagssituationen in die KiTa zu holen“. Er stellte die Frage, ob Kinder angesichts der immer längeren Zeit, die sie in der KiTa verbringen, tatsächlich „eine Durch-Pädagogisierung des Alltags benötigen“. Hierfür bekam er erwartungsgemäß viel Contra.

Angesichts der vielen unterschiedlichen Strategien, Maßnahmen und Ansatzpunkte zur Fachkräftegewinnung und -bindung sprach Thomas Rauschenbach schließlich vom „Versuch der Quadratur eines Kreises“. Er wies darauf hin, dass nur noch bis 2025 mit einem ansteigenden Fachkräftebedarf zu rechnen sei und dass daher alle zu ergreifenden Maßnahmen kurzfristig Wirkung zeigen müssten. In diesem Sinne plädierte er insbesondere für eine dualisierte Ausbildung ohne Absenkung des DQR und für eine forcierte Fachkräftebindung - unter anderem durch eine Bezahlung entsprechend von Grundschul-Lehrer*innen.

Karsten Herrmann