Was ist eigentlich pädagogische Qualität und wie lässt sie sich auch unter Corona-Bedingungen aufrechterhalten? Diese Fragen beleuchte Prof. Dr. Susanne Viernickel im Rahmen der nifbe-Vortragsreihe „KiTa in Corona-Zeiten“ und wollte dabei insbesondere dazu ermuntern, die in der Pandemie gemachten Erfahrungen zu reflektieren und für die Zukunft zu nutzen.

viernickelZum Auftakt unterstrich die Diplom-Pädagogin von der Universität Leipzig, dass Kinder nur bei einer hohen Qualität von einem KiTa-Besuch profitieren und hier seien insbesondere hohe Interaktions- und Beziehungsqualitäten wichtig. „Eine hohe pädagogische Qualität in den KiTas kann potenziell negative familiäre Effekte kompensieren und wirkt weit über die KiTa-Zeit hinaus“ sagte sie – und dies gelte insbesondere auch für die Sprachentwicklung von Kindern mit Migrationshintergrund.

In der Folge definierte Susanne Viernickel „Kernelemente der pädagogischen Qualität“ und setzte sie in Bezug zueinander – von den räumlich-materiellen Bedingungen über die wertschätzende Interaktion und ein sensibles Feedback bis zu einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit Familien. Einfluss auf die eigentliche pädagogische Prozessqualität hätten wiederum die Strukturqualität (Rahmenbedingungen), die Orientierungsqualität, die Organisations- und Managementqualität sowie die Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der Fachkräfte in der KiTa.

Als zentrale Stellschraube für eine hohe pädagogische Prozessqualität hob Susanne Viernickel den Personalschlüssel heraus, betonte aber zugleich einen „großen qualitativen Gestaltungsspielraum für Teams“ - so zum Beispiel im Hinblick auf Aspekte der Orientierungsqualität wie eine professionelle pädagogische Haltung, das Bild vom Kind oder das pädagogische Konzept. „Bei der Qualitätsentwicklung sind immer verschiedene Stellschrauben und ihr Zusammenspiel zu berücksichtigen“ sagte sie.

Qualität


Herausforderungen und neue Erfahrungen im "Feldversuch Corona"

Der „Feldversuch Corona“ habe die KiTas nun vor große Herausforderungen gestellt und für eine hohe zusätzliche Belastung gesorgt – zum Beispiel durch hohe organisatorische Herausforderungen bei der Umsetzung der Hygiene- und Abstandsregeln. In der Notbetreuung hätten die Fachkräfte aber auch einmal unter einem deutlich besseren Personalschlüssel arbeiten können und zugleich einen großen Teil der anderen Familien nicht oder nur digital erreicht. In dieser Phase hätte es plötzlich auch einmal Zeit gegeben für (digitale) Fort- und Weiterbildung, Fallbesprechungen, konzeptionelle Planungen oder einfach auch nur für das Aufräumen.

„Unter Corona-Bedingungen hat die Pädagogik aber insgesamt starke Einschnitte erfahren und die kindlichen Handlungs- und Entscheidungsspielräume sind eingeschränkt worden“ konstatierte Susanne Viernickel. Nun sei es an der Zeit, sich ganz bewusst zu fragen, wie einzelne Kinder wieder mehr in den Blick genommen, ein Gesprächs- und Dialogkultur entwickelt und Gelegenheiten für eine „bewusste intensive Interaktion“ geschaffen werden könnten. Intensiv sollten die Erfahrungen zum Beispiel mit veränderten (festen) Gruppenstrukturen oder auch der Einschränkung von Personalstandards und der Zulassung fachfremder Personen in KiTas reflektiert werden. Wichtig sei es auch, eine gesteigerte Sensibilität für die körperliche und psychische Gesundheit der Fachkräfte im Blick zu behalten und das Team als wichtige Stützfunktion aufzubauen.

Erkenntnisse für die Zukunft nutzen

„Die KiTas sollten jetzt nicht einfach zum alten Status Quo zurückkehren, sondern die Erfahrungen und Erkenntnisse des Corona-Feldversuchs für die zukünftige Gestaltung der KiTa-Arbeit nutzen“ unterstrich Susanne Viernickel abschließend. Wie unter einem Brennglas hätte die Corona-Krise Mängel und Schwachstellen bei KiTas, Leitungskräften und insbesondere auch Trägern gezeigt und hier gelte es jetzt anzusetzen, um zukünftig besser unter Krisen- und Ungewissheitsbedingungen pädagogische Qualität aufrechtzuerhalten.

In der von den nifbe-Mitarbeiterinnen Inga Doll und Meike Sauerhering moderierten  anschließenden regen Diskussion standen insbesondere die mangelnde Unterstützung der Kitas durch ihre Träger, die Management- und Organisationsfähigkeiten von KiTa-Leiter*innen sowie die eingeschränkte Partizipation von Kindern im Vordergrund. Partizipation wurde hier insbesondere als eine Frage der entsprechenden Haltung dargestellt und so könne Beteiligung auch unter Corona-Bedingungen realisiert werden. Zur offenen Arbeit hieß es beispielsweise: „Offen zu arbeiten bedeutet für uns: Die Haltung und die leitenden Prinzipien (Beteiligung, Beziehungsgestaltung, Beobachtung, Dialog,...) werden immer mitgedacht, wenn praktische Lösungen für das Zusammenleben und -lernen im Alltag gefunden werden müssen. Die Aussage: ‚Wir können wegen Corona nicht offen arbeiten‘ ist nicht richtig! Gerade jetzt ist es wichtig, offen zu sein für neue Lösungen und uns auf den Kern der offenen Arbeit zu besinnen, um von einer Betreuungseinrichtung wieder zu einem Ort zu werden, in dem Kinder sich wohlfühlen, sich bilden und entwickeln können.“

In der Diskussion kristallisierte sich auch heraus, dass KiTas jetzt noch keine konkreten Hinweise und Praxistipps für die qualitative Arbeit unter Corona-Bedingungen von der Forschung und anderen Expert*innen erwarten können – vielmehr sei in jeder einzelnen KiTa jetzt die „individuelle Kreativität und die individuelle Verantwortungsübernahme“ gefragt. Ein gelungenes Schlusswort bildete dabei folgendes Statement:

„Wir können auf Studienergebnisse und Fach- sowie Praxisliteratur warten oder wir besinnen uns darauf, dass Elementarpädagogen seit jeher auch wunderbare Praxisforscherinnen sind, die vor Ort gemeinsam mit den Kindern, den Familien herausfinden können, was im Hier und Jetzt gebraucht wird, die gemeinsam Ideen jonglieren und Lösungen finden.“

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Karsten Herrmann