nifbe-Tagung diskutiert, was die Kleinen und Kleinsten brauchen

Ministerpräsident Christian Wulff hat sich klar für die weitere Förderung des Ende 2007 gegründeten und zunächst auf fünf Jahre angelegten Niedersächsischen Instituts für frühkindliche Bildung und Entwicklung ausgesprochen. „Ich werde mich nachhaltig für eine Finanzierung nach 2012 einsetzen“, sagte Wullf anlässlich einer Fachtagung des nifbe in Hannover und unterstrich: „Das Institut ragt heraus, es ist einzigartig in Deutschland.“ Wenn Forschung und Wissenstransfer weiter so energisch betrieben würden, könne Niedersachsen bald das führende Bundesland bei der frühkindlichen Bildung mit den besten Krippen und Kindertagesstätten sein.

Ministerpräsident Christian WulffAuf der mit 250 TeilnehmerInnen ausgebuchten nifbe-Tagung „Auf die ersten Jahre kommt es an – Bildungsprozesse erfolgreich gestalten“ hatte Ministerpräsident Christian Wulff auch eine „Halbzeit-Bilanz“ des nifbe vorgestellt. Mit seiner innovativen Struktur mit Forschungsstellen, Regionalen Netzwerken und der Koordinierungsstelle in Osnabrück habe das nifbe „den interdisziplinären Fachdialog und Austausch gestärkt, die Akteure vernetzt, innovative Impulse auf Regional- wie Landesebene gesetzt und insbesondere mit den Transfer-Projekten ganz neue Kooperationsformen angestoßen.“ Eine in Kürze startende Evaluation werde zeigen, ob und wo im nifbe noch in Inhalt und Struktur nach zu justieren sei. Leitgedanke müsse dabei immer sein, „wie die ErzieherInnen und damit die Kinder auf bestmögliche Weise gestärkt, begleitet und unterstützt werden können.“

Das Glück der gelungenen Tat


Prof. Dr. Renate Zimmer„Was Kinder unter drei brauchen“ zeigte nifbe-Direktorin Prof. Dr. Renate Zimmer in ihrem Vortrag. Sie warnte vor einem „Frühförderwahn“ und verwies auf Humboldt, demzufolge sich „Bildung nur in der tätigen Auseinandersetzung mit der Welt ereignen“ kann. So sei in den ersten Jahren der Körper das Mittel der Ich-Entwicklung sowie Wahrnehmung und Bewegung die Grundlage kindlichen Lernens. Ganz entscheidend sei dabei die Erfahrung der Selbstwirksamkeit für das Kind. Dieses müsse sich immer wieder als „Verursacher von Effekten“ erleben und stetig steigende Herausforderungen meistern.
Angesichts der eher ernüchternden Ergebnisse verschiedener mit viel Geld aufgelegter Sprachförderprogramme stellte Prof. Dr. Renate Zimmer auch ihren Ansatz der „Sprachförderung durch Bewegung vor“, der zurzeit in einem Projekt mit über 50 KiTas erprobt wird. Erste Ergebnisse zeigen eine verblüffende Wirksamkeit, insbesondere bei Kindern mit Migrationshintergrund.
Wie die nifbe-Direktorin zusammen fasste, hängt der Erfolg von Bildungs- und Entwicklungsprozessen maßgeblich von der Eigenaktivität des Kindes und seinen sozialen Interaktionen ab. Letztlich gehe es immer um „das Glück der gelungenen Tat“.

Projekt der Entschleunigung


Prof. Dr. Hilmar HoffmannWas bedeuten die derzeitigen Ansprüche an die frühkindliche Bildung und die gleichzeitige Veränderung der Gruppenstrukturen für die ErzieherInnen – dies hinterfragte Prof. Dr. Hilmar Hoffmann, Leiter der nifbe-Forschungsstelle Elementarpädagogik, in seinem Vortrag. Als „Multi-Tasking-Queen“ solle die Erzieherin jedes Kind individuell fördern, die Bildungsprozesse analysieren und dokumentieren, Elternarbeit betreiben, sich sozialräumlich vernetzen, die KiTa managen und ganz nebenbei noch Streit schlichten und jetzt auch noch zunehmend Windeln wechseln - denn rund 50% der unter Dreijährigen würden heute in gemischten Gruppen betreut. Angesichts dieser Anforderungen und des zunehmenden Eingangs von Fachdidaktiken – wie z.B. zu Naturwissenschaft und Mathematik – und damit einer Zergliederung des Alltags plädierte Prof. Dr. Hilmar Hoffman für eine Rückbesinnung auf das Wesentliche. Es gelte „Zeit als wichtige elementardidaktische Ressource zu erkennen und Zeit einzuräumen, um kindlichen Lernbedürfnissen entgegenzukommen und gesellschaftlichen Anforderungen gewachsen zu sein.“ Nach einer Phase der rasanten Veränderung gelte es jetzt zu verstetigen und zu einer Kontinuität zu gelangen. In diesem Sinne forderte er ein „Projekt der Entschleunigung“.

Lisette und ihre Kinder


Sigrid Klausmann und LisetteAls ein Ansatz zu einem solchen „Projekt der Entschleunigung“ konnten die TeilnehmerInnen der Tagung im Anschluss an die Fachvorträge den Dokumentarfilm „Lisette und ihre Kinder“ sehen und daraufhin mit der Filmemacherin Sigrid Klausmann sowie der Hauptdarstellerin diskutieren. Der Film, den Sigrid Klausmann als eine „Verneigung vor dem Beruf der Erzieherin" bezeichnete, zeigt auf ebenso eindringliche wie wunderbare Weise, dass es in der Praxis - ganz unabhängig von allen pädagogischen Konzepten und Programmen - insbesondere auf die Beziehungsgestaltung und Haltung der ErzieherInnen ankommt. Auch hier zeigte sich die Zeit als ein entscheidender Faktor.
Doch wie in der anschließenden engagierten Diskussion deutlich wurde, stoßen ErzieherInnen aufgrund der immer weiter steigenden Anforderungen und nicht verbesserter Rahmenbedingungen immer öfter an ihre Grenzen. So sei ein „Projekt der Entschleunigung“ nur mit geringeren Gruppengrößen und mehr Verfügungszeiten zu realisieren. „Statt immer neuer Projekte und Programme für Kinder brauchen wir einfach Zeit für die Kinder“ fasste eine Erzieherin pointiert zusammen.

Teilnehmer-Impression

Rede Ministerpräsident Christian Wulff