Brandappell der Stiftung EINE CHANCE FÜR KINDER


Der Vorsitzende der Stiftung EINE CHANCE FÜR KINDER, Prof. Dr. Adolf Windorfer, bittet die niedersächsische Landesregierung und die Kommunen des Landes dringend, ab sofort die aufsuchende Betreuung von sozial benachteiligten Familien zu intensiveren und für deren Kinder die Betreuungseinrichtungen, d.h. die Krippen und Kitas, vor Ort zu öffnen. Die schweren negativen Langzeitwirkungen der Maßnahmen bei der Corona-Krise auf die psychische und emotionale Gesundheit von Kindern und Müttern dürften nicht länger verdrängt und als „Kollateralschaden“ hingenommen werden. „Wir dürfen nicht vergessen, dass die psychische und emotionale Gesundheit von Kindern und Frauen in Familien in besonders schwierigen sozialen und psychosozialen Lebenssituationen besonders gefährdet ist“, sagte Windorfer am Mittwoch in Hannover.

Die von der Stiftung eingesetzten Fachkräfte Frühe Hilfen finden nach Windorfers Angaben in vielen der betreuten Familien beunruhigende Situationen vor. Eine Familienhebamme schildert diese wie folgt: „Ich bin in den vergangenen zwei Wochen mit zahlreichen dramatischen Notsituationen konfrontiert worden. Denn in vielen Familien kommt es vermehrt zu erheblichen Gefährdungssituationen, vor allem zu ungezügelten Gewaltausbrüchen gegen Kinder und Frauen. Diese wissen sich nicht zu helfen. Denn Telefonberatung hilft hier nicht.“

Kindesvernachlässigung und Gewalt

Eine andere Fachkraft Frühe Hilfen berichtete am Dienstag: „In einer von mir betreuten Familie leben ein fünfjähriger Junge und ein vier Wochen alter Säugling. Der Junge besucht sonst einen Kindergarten. Die Mutter ist alleinerziehend und massiv überfordert. Denn Ressourcen außerhalb dieser kleinen Familie gibt es nicht. Es ist deutlich erkennbar, dass es zuhause so nicht mehr so weitergehen kann. Der kleine Junge ist extrem gelangweilt und nervt furchtbar. Es kam sogar in meinem Beisein zu grober körperlicher Gewalt. Der Säugling wird sowohl körperlich als auch emotional vernachlässigt, liegt oft in einer massiv verschmutzten Windel und hat viele wunde Hautstellen. Mit einer regelmäßigen Ernährung klappt es auch nicht. Die Mutter braucht unbedingt Entlastung. Allein schon dadurch könnte das Schicksal der Kinder verbessert werden.“

Kinder und Mütter retten

Es werde intensiv über eine Öffnung der Bundesliga-Fußballspiele diskutiert. Gleichzeitig fehle eine andere, viel wichtigere Diskussion – nämlich darüber, „wie wir die Kinder und Mütter in den vielen gewaltbelasteten Haushalten retten können“, kritisiert Windorfer. Kindergärten und Grundschulen sowie Beratungsstellen seien geschlossen, Beratung und Hilfe per Videochat oder Telefon weitgehend sinnlos. Dagegen hätte Dänemark mit als erstes die Kindergärten und Grundschulen wieder geöffnet. Eine Notfallbetreuung in Kindergärten finde zwar auch bei uns statt. Doch die Kinder, denen eine Notfallbetreuung zustehe, kämen nicht aus den Familien, in denen große Probleme und vor allem viel Gewalt vorherrschten. „Wir haben bei der Regelung der Notfallbetreuung keinen Platz für die Kinder aus solch schwierigen Familien vorgesehen. Denn die Eltern in diesen Familien haben eher selten ‚systemrelevante Berufe‘ und somit gehören ihre Kinder nicht in die Notfallbetreuung“, bemängelt Windorfer.

Dringender Appell „Aus unserer Erfahrung möchten wir dringend dafür plädieren, die psychische und emotionale Gesundheit von Kindern und Müttern im Sinne des Kindesschutzes mehr denn je stärker in den Fokus zu nehmen. Dazu gehört vor allem, dass die Kindergärten für Kinder aus solchen oftmals sozial schwachen Familien geöffnet werden und die aufsuchende Betreuung intensiviert wird“, fordert der Stiftungsvorsitzende. Sowohl in deutschen als auch in geflüchteten Familien gebe es vergleichbare Problemlagen, die zu dieser erhöhten Gewaltbereitschaft führten. Dazu zählten extreme Vereinsamung von Müttern und Kindern, stundenlanger Fernsehkonsum, Gewalt in der Familie und starke Kindeswohlgefährdung, fehlende Tagesstrukturen, Suche nach Lebensinhalt, Alkohol und Drogen sowie längerfristig: die Gefahr der Radikalisierung.

Erfolge aufsuchender Hilfen

Windorfer verweist auf die großen Erfolge, die auch die Stiftung in den vergangenen Jahren mit Projekten der aufsuchenden und gesundheitlichen Hilfe für Kinder und Frauen erzielt hat. „Diese dürfen auf keinen Fall zerstört werden, sondern müssen gerade jetzt intensiv weiterverfolgt und sogar gesteigert werden“, fordert er. Als Beispiele nennt Windorfer die Betreuung von Müttern/Eltern und ihren Kindern in sozial und/oder psychosozial schwierigen Lebenssituationen durch Fachkräfte Frühe Hilfen in 22 niedersächsischen Kommunen im Jahr 2019 sowie die dokumentierten Bausteine für die gesundheitliche Betreuung und den Schutz von geflüchteten Frauen und Kindern, um ihnen eine Orientierungshilfe für eine wirksame Integration geben zu können.

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