„Baustelle Kita: Zwischen Personalnotstand und Systementwicklung“ – unter diesem vielsagenden Titel fand jetzt die Frühjahrstagung der Bundesarbeitsgemeinschaft Bildung und Erziehung in der Kindheit e.V. (BAG-BEK) an der Universität Vechta statt.

tina1Zur Begrüßung umriss die Vorstandsvorsitzende Prof. Dr. Tina Friederich die wichtige Rolle der BAK-BEK als zentrale Plattform für die Vernetzung und den interdisziplinären Diskurs aller Akteur*innen im Feld der frühkindlichen Bildung. Sie unterstrich: „Ziel ist es die konsequente Professionalisierung des Gesamtsystems voranzubringen und hierzu gibt die BAK-BEK über kritische Diskussionen, Positionspapiere und Zukunftsvisionen wichtige Impulse“.

In diesem Sinne diene die Tagung auch der Nachbereitung und Fortschreibung der auf der Zukunftskonferenz der BAG-BEK im letzten Herbst entwickelten Szenarios und der daraus entstandenen konkreten Arbeitsvorhaben.

Gefahren der Dequalifizierung und Deprofessionalisierung

könig1„Nichts ist wichtiger in Zeiten des Umbruchs als Zukunftsvisionen“ bekräftigte auch Prof. Dr. Anke König als Gastgeberin in ihrem Auftaktvortrag. Sie warf zunächst Schlaglichter auf die Entwicklung des Kitasystems in den vergangenen Jahrzehnten und hob noch einmal die Bedürfnisse und Rechte der Kinder auf Bildung und Selbstbildung heraus: „Kinder sind nicht förderbedürftig, sondern brauchen Bildungsorte, an denen ihnen Resonanz, Anerkennung und in sozialer Interaktion neue Einsichten in die Welt ermöglicht werden“. Die aktuellen Entwicklungen würden allerdings die Schwachstellen des Systems offenlegen und es wachse angesichts des gravierenden Fachkräftemangels die Gefahr des Stillstands und des Rückschritts. Allerorten würden Quereinstiege und verkürzte Ausbildungszeiten diskutiert und auch schon umgesetzt und das erziehungswissenschaftliche Orientierungswissen gerate in den Hintergrund. „Das ist fatal für die pädagogische Praxis“ warnte die langjährige Leiterin der WiFF.

"Wahnsinnige Expansionsbewegung"

In der Folge richtete Anke König ihren Fokus dann konkret auf die Frage, wie pädagogische Qualität unter den derzeitigen Bedingungen entwickelt werden kann. Sie skizzierte die „wahnsinnige Expansionsbewegung in der frühkindlichen Bildung“ und konstatierte insbesondere durch den Ausbau des U3-Bereichs einen Zuwachs des Personals zwischen 2006 und 2018 um rund 80 Prozent. Problematisch sei ein solcher Zuwachs allerdings, wenn nicht zugleich die Stützsysteme wie Träger, Fachberatung, Weiterbildung oder Supervision mitwachsen würden. Beispielhaft verdeutlichte sie dies am Punkt der Personal- und Teamentwicklung und zitierte dafür Befunde aus einer aktuellen WiFFWiFF|||||WiFF ist ein Projekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, der Robert Bosch Stiftung und des Deutschen Jugendinstituts e.V. Die drei Partner setzen sich dafür ein, im frühpädagogischen Weiterbildungssystem in Deutschland mehr Transparenz herzustellen, die Qualität der Angebote zu sichern und anschlussfähige Bildungswege zu fördern.-Studie von Kristina Geiger.

Demnach beklagen ein Viertel der Kitas mindestens eine unbesetzte Vollzeitstelle und seit 2007 wird es für sie zunehmend schwerer geeignetes Personal zu finden – entweder weil keins da ist oder weil die Qualifikation nicht passt. Ein Drittel der Kitas arbeitet so auch häufig unterhalb des gesetzlich festgelegten Personalschlüssels. Die Folgen des Personalmangels seien dann einerseits Abstriche im pädagogischen Alltag und fehlende Zeit für Personalentwicklung – mit der Folge, dass die Attraktivität des Arbeitsfeldes weiter absinke.

Potenziale der Personalgewinnung werden bei weitem nicht ausgeschöpft

Anke König unterstrich in diesem Sinne die „hohe Aktualität und Bedeutung der Personalentwicklung“ z.B. durch Binnenmaßnahmen wie „Gemeinsame Veranstaltungen“, „Fort- und Weiterbildung“, „Flexible Arbeitszeitmodelle“ oder „Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten“. Als besonders geeignetes Mittel stellten sich dabei auch – unabhängig von Thema – Inhouse-Fortbildungen mit dem gesamten Team dar.

Fast drei Viertel der in der WiFF-Studie befragten Kitas halten die Potenziale der Personalentwicklung in ihren Einrichtungen allerdings für noch nicht ausgeschöpft und ein Drittel schätzen ihren Träger dabei sogar als „nicht fachkompetent“ ein. Große Unterschiede bestünden dabei allerdings zwischen kleinen und großen Trägern.

Im Fazit konstatierte Anke König, dass die Personal- und Teamentwicklung in den Kitas und insbesondere auch bei den Trägern noch unterbelichtet und deutlich ausbaufähig sei. Sie forderte, Personalentwicklung als Teil der Organisationsentwicklung zu nutzen und so die individuellen und strukturellen Bedarfe in einer Kita zusammenzuführen. Um Herausforderungen proaktiv begegnen zu können, bräuchten Kitas dabei ein gutes Stützsystem und hier auch eine starke Fachberatung.

Unübersichtliches Feld der Berufszugänge und Quereinstiege

Nach diesem Blick auf eine Personalentwicklung „under construction“ wurden die verschiedenen Maßnahmen der Bundesländer zur Fachkräftegewinnung und -bindung im Plenum von den Tagungsteilnehmer*innen vorgestellt und diskutiert. Es zeigte sich hier ein schier unüberschaubares und unsystematisches Feld an verschiedensten Berufszugängen und Quereinsteigermodellen, mit denen deutlich die Gefahr von Sackgassen sowie insgesamt einer Dequalifizierung und Deprofessionalisierung des Feldes verbunden ist. In diesem Sinne wurde am nächsten Tag in der AG Berufs- und Fachpolitik auch nach intensiver Diskussion beschlossen, einen ersten Modellentwurf für ein systematisch strukturiertes und auf vertikaler wie horizontaler Ebene durchlässiges System für frühpädagogische Fachkräfte zu entwickeln – ein ambitioniertes und vielleicht sogar visionäres Vorhaben, dass nach jetzigem Planungsstand auch auf der voraussichtlich in Göttingen stattfindenden BAG-BEK-Herbsttagung weiter diskutiert und entwickelt werden soll.
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Fachlicher und politischer Druck für nachhaltige Finanzierung des Systems

Im Blick bleiben bei der weiteren Arbeit in der BAG-BEK aber auch die auf der Zukunftskonferenz 2019 entwickelten Visionen und Teilvorhaben. Ein besonderer Fokus liegt hierbei auf den Kinderrechten und dem (bei vielen Entscheidungen bis heute ignorierten) Vorrang des Kindeswohls sowie die verlässliche und nachhaltige Finanzierung des Kitasystems durch den Bund wie auch die Wirtschaft. Letzteres soll auch angesichts der begrenzten Finanzierungszusagen über das Gute Kita-Gesetz auf der BAG-BEK-Tagung im Herbst 2021 in Hamburg auf der Agenda stehen, um frühzeitig fachlichen wie politischen Druck zu entwickeln.

Verabschiedet wurden die Teilnehmer*innen der Frühjahrstagung der BAG-BEK mit einem Spruch des deutschen Journalisten, Literatur- und Theaterkritikers Ludwig Börne: „In einem wankenden Schiff fällt um, wer stillsteht und sich nicht bewegt“.


Download Präsentation Anke König

Download WiFF-Studie Kristina Geiger

Download WiFF-Expertise Personalentwicklung (Petra Strehmel / Julia Overmann)

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Karsten Herrmann