Tagung diskutiert Stand und Perspektive der Akademisierung

Mit dem rapiden Anstieg der kindheitspädagogischen Studiengänge seit Anfang der 2000er Jahre lagen auf der Akademisierung große Hoffnungen für die Qualitätsentwicklung in der frühkindlichen Bildung. Ob diese Hoffnungen erfüllt werden konnten und welche Perspektive die Akademisierung aktuell hat, stand im Fokus einer gemeinsamen Fachtag des Studiengangtages Pädagogik der Kindheit (Landesgruppe Niedersachsen) und der GEW unter dem Titel „Im Aufbruch: Akademische Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen“.

cloos kopie kopieZur Begrüßung konnte Studiengangstag-Sprecher Prof. Dr. Peter Cloos einerseits eine zunehmende Bedeutung der Akademischen Fachkräfte im Feld und eine Verdreifachung ihrer Zahlen seit 2006 konstatieren. Andererseits musste er aber auch einräumen, dass das Thema aufgrund des aktuellen akuten Fachkräftemangel „ein bisschen in den Hintergrund gerückt ist“. Umso mehr würde es Zeit, hier in eine neue „Aufbruchstimmung“ zu kommen.

Olaf Korek, GEW-Referent, unterstrich in diesem Sinne die „Aufstiegschancen für Erzieher*innen durch berufsbegleitende Akademisierung und eine entsprechende tarifliche Eingruppierung“.


Ernüchternder "Realitätscheck"

fuchsEinem „Realitätscheck“ unterzog WiFF-Leiterin Prof. Dr. Kirsten Fuchs-Rechlin der Akademisierung im Feld der frühkindlichen Bildung und musste feststellen, dass diese „im Feld nicht spürbar“ ist und dass sich in den KiTas „kein akademisches Qualifikationsprofil gebildet hat“. „Die Suche nach Kindheitspädagog*innen in der KiTa gleicht der Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen“ pointierte sie. Nach wie vor seien rund zwei Drittel der Fachkräfte in den KiTas Erzieher*innen, gefolgt von Sozialassistent*innen bzw. Kinderpfleger*innen und dann mit großem Abstand von knapp sechs Prozent Akademiker*innen. Im Vergleich zu einer Akademisierungsquote von 41 Prozent im Feld der Kinder- und Jugendhilfe sei dies eher marginal. Die rapiden Zuwächse bei den KiTa-Fachkräften seien in den letzten Jahren zu 93 Prozent durch Erzieher*innen, Sozialassistent*innen und Kinderpfleger*innen generiert worden.

Aufgrund der stagnierenden Studierendenzahlen in den derzeit 72 kindheitspädagogischen Studiengängen erwartet Kirsten Fuchs-Rechlin in naher Zukunft auch keinen weiteren Akademisierungsschub und mahnte einen Ausbau der Kapazitäten an den Hochschulen an.

Nach dieser ernüchternden Bestandsaufnahme nahm die WiFF-Leiterin die „Push“ und die „Pull-Faktoren“ für Akademische Fachkräfte in den KiTas in den Blick. Auf der positiven Seite seien ein „schneller Einstieg“, eine „relative Beschäftigungssicherheit“ und auch die soziale Motivation mit Kindern zu arbeiten zu verzeichnen. Auf der anderen Seite stünden mangelnde Karriereaussichten oder mangelnde „Niveauadäquanz“. Auch nach fünf Jahren seien die Akademischen Fachkräfte in den KiTas so auf Erzieher*innen-Niveau eingruppiert. Nicht zuletzt daher sei die KiTa „häufig nicht erste Wahl“ bei den Akademiker*innen.
folie
Für einen neuerlichen Aufbruch in der Akademisierung forderte Fuchs-Rechlin unter anderem eine „Kultur des Ermöglichens in der KiTa“, „Differenzierung des Tarifsystems“ oder „weitere Karrierewege jenseits von Leitung“. Als „unsäglich“ bezeichnete sie den aktuellen Zustand, dass Kindheitspädagog*innen heute nicht über die KiTa hinaus in andere Arbeitsfelder der Kinder- und Jugendhilfe dürften.

In drei Workshops wurden auf der Tagung in der Folge die Aspekte „Merkmale und Potentiale akademischer Qualifizierung“, „Trägerperspektiven auf Akademisierung“ und „Multiprofessionelle Teams in KiTas“ näher beleuchtet und schließlich in einer von Annika Gels vom nifbe moderierten Podiumsdiskussion zusammengeführt. Hier plädierte die Kindheitspädagogin Sandra Horváth vom Familienzentrum Schatzinsel in Hannover unter anderem dafür, „nicht in Kategorien des Gegeneinanders von Erzieher*innen und Akademiker*innen“ zu denken, sondern in Kategorien des Miteinanders“, damit jede/r seine / ihre Stärken und Potenziale einbringen könne. Als Kernelemente ihrer akademischen Qualifizierung stellte sie ein „vertieftes Wissen in bestimmten Themenbereichen“ sowie eine „reflexive Haltung“ heraus, die es immer wieder notwendig mache, eigene Normen und Werte zu hinterfragen.


Aufstiegsmöglichkeiten und Karrierewege eröffnen

Maria-Theresia Münch vom Deutschen Verein unterstrich in der Diskussion die Notwendigkeit, neue Aufstiegsmöglichkeiten und Karrierewege in der KiTa zu eröffnen, zum Beispiel durch tariflich verankerte Funktionsstellen. In Zeiten einer „institutionalisierten Kindheit“ sollte auch noch einmal grundsätzlich die Frage gestellt werden, „was Kinder in der KiTa für ein gutes Aufwachsen wirklich gebrauchen“ und inwieweit hierfür dann auch nicht einschlägig qualifizierte Fachkräfte bzw. Quereinsteiger in Frage kämen. Zu klären seien hier aber dringend Fragen wie die Refinanzierung durch die Länder oder die Anrechenbarkeit auf den Fachkraft-Kind-Schlüssel.

Kirsten Fuchs-Rechlin forderte von den Trägern, stärker als bisher den „Boden für eine systematische Team- und Organisationsentwicklung“ zu bereiten. Die KiTa brauche eine „strukturelle Ausdifferenzierung“ und die Hoffnung dürfe dabei nicht alleine auf der Akademisierung liegen.

Auch wenn am Ende der Tagung im Hinblick auf die Akademisierung weniger Aufbruchstimmung als eher Ernüchterung zu konstatieren war, wurden hier doch einige zentrale Herausforderungen für die Gesamtentwicklung des KiTa-Systems deutlich: Unabdingbar erscheint es so beispielsweise, neue Aufstiegs- und Karrieremöglichkeiten mit entsprechender tariflicher Aufwertung zu schaffen und den Beruf so insgesamt attraktiver zu machen. Weiterhin gilt es, multiprofessionelle KiTa-Teams konzeptionell so zu entwickeln, dass die verschiedenen pädagogischen Professionen und die zunehmend zu erwartenden Quereinsteiger*innen aus nicht einschlägigen Berufen sich in ihren Kompetenzen ergänzen und für die Kinder eine anregende und abwechslungsreiche Lebens- und Lernumgebung gestalten können. Dafür sind (pädagogische) Mindeststandards zu definieren.

Empfehlung des Deutschen Vereins für Multiprofessionelle Teams


Bericht des Studiengangstag Pädagogik der Kindheit

Karsten Herrmann