Fokus Umgang mit Vielfalt und Inklusion
Wie kommen neue Erkenntnisse aus der Forschung in die Praxis und wie können die Erfahrungen, Problemlagen und Bedarfe der Praxis in die Forschung zurückgespiegelt werden? Wie kann Wissenschaft einerseits von der Praxis profitieren und wie Praxis andererseits von der Wissenschaft? Diese Fragen standen im Fokus eines interdisziplinärinterdisziplinär|||||Unter Interdisziplinarität versteht man das Zusammenwirken von verschiedenen Fachdisziplinen. Dies kann auch als „fächerübergreifende Arbeitsweise“ verstanden werden, z.B wenn Psychologen, KinderärztInnen, ErzieherInnen und Lehrende zusammen an einer Fragestellung arbeiten.en nifbe-Kolloquiums rund um das Thema „Umgang mit Vielfalt“ und „Inklusion“. Eingeladen waren dazu Vertreter*innen von aktuellen Forschungsprojekten zu diesem Themenbereich sowie KiTa-Leiter*innen, Fachberater*innen und Weiterbildner*innen aus Niedersachsen.
Daran anknüpfend führte nifbe-Geschäftsführerin Dr. Bettina Lamm aus, dass das Zusammenspiel von Forschung und Praxis entscheidend für den weiteren Prozess der ProfessionalisierungProfessionalisierung|||||Eine Professionalisierung findet im weiteren Sinne statt wenn die Entwicklung einer privat oder ehrenamtlich ausgeübten Tätigkeit zu einem Beruf wird. Im Rahmen der Professionalisierung werden häufig Qualitätsverbesserungen und Standardisierungen erreicht. Professionalisierung bedeutet auch die Entwicklung eines Berufs zu einer Profession, darunter wird meist ein akademischer Beruf mit hohem Prestige und Anerkennung verstanden. im System der frühkindlichen Bildung sei. Exemplarisch umgesetzt werde dies schon in der aktuellen Qualifizierungsinitiative des nifbe unter dem Titel „Vielfalt leben und erleben!“, in der es nicht mehr um eine top-down-Wissensvermittlung sondern um eine an den Bedarfen der KiTas ansetzende Prozessbegleitung gehe. Eine umfangreiche Evaluation des innovativen Ansatzes habe vielversprechende Ergebnisse erbracht.
Forschungsprojekte stellen sich vor
Im ersten Part des Kolloquiums stellten sich in drei Gruppen fünf Forschungsprojekte rund um das Thema „Umgang mit Vielfalt“ bzw. „Inklusion“ vor, um dann mit der Praxis in den Dialog zu kommen.„Integration durch Vertrauen“ hieß so beispielsweise ein Projekt der Leuphana-Universität in Lüneburg, in dem erforscht werden soll, wie bei Familien mit Fluchthintergrund Vertrauen zu den frühkindlichen Bildungseinrichtungen aufgebaut werden kann – und zwar über digitale Medien, soziale Dienste und die ehrenamtliche Flüchtlingshilfe. Vertrauen, so Projektleiter Prof. Dr. Philipp Sandermann, müsse in Bezug auf das Gesamtsystem, die einzelne Einrichtung und gegenüber einzelnen Personen aufgebaut werden. Die bisher unbeantwortete Forschungsfrage laute dabei, wie sich Vertrauen zeigt und wie es aufgebaut werden kann. Auf jeden Fall sei der Vertrauensaufbau die Voraussetzung für die frühkindliche Bildungsbeteiligung. Auf Grundlage der Forschungsergebnisse sollen im Rahmen des Projektes gemeinsam mit Kooperationspartnern und weiteren Interessierten aus der Praxis Fort- und Weiterbildungsmodule entwickelt und nachhaltig verankert werden.
„Inklusive Elterninitiativen“ – Niedersächsische Elterninitiativen als Inklusionsakteure (Stiftung Universität Hildesheim)
Das Projekt „Inklusive Elterninitiativen“, das derzeit im Rahmen des Forschungsverbunds „Inklusive Bildungsforschung der frühen Kindheit als multidisziplinäre Herausforderung“ an der Universität Hildesheim gefördert wird, richtet seinen Forschungsfokus auf Elterninitiativen als 'Inklusionsakteure´ im niedersächsischen Bildungssystem. In enger Kooperation mit der Landesarbeitsgemeinschaft Elterninitiativen Niedersachsen/Bremen e.V. (lagE) analysiert das Projektteam (Prof.´in Dr. Meike Sophia Baader, Katharina Riechers) die Erfahrungen, Ziele und Vernetzungsstrukturen 'inklusiver Elterninitiativen´, um Einblicke in ihre Inklusionskonzepte, ihre Formen des 'doing inclusion´ und ihre Positionen in der aktuellen Inklusionsdebatte zu erhalten.
Zur Projektwebsite
Der Prävention von Vorurteilen und Diskriminierung kommt im Kontext de Inklusion besondere Bedeutung zu. „KiWin" entwickelt entsprechendes Handlungswissen. Durch teilnehmende Beobachtungen und Gespräche wird eruiert, wie Kinder Handlungsfähigkeit in intersektionalen Machtverhältnissen gewinnen und welche Rolle dabei die Auseinandersetzung mit sozialen Kategorien wie Klasse, Geschlecht und Religion spielt. Insbesondere sollen auch qualitative Entwicklungssequenzen in der Ontogenese von Vorurteilen und Diskriminierung in der frühen Kindheit identifiziert werden. Diese Erkenntnisse bilden die Grundlage für die Erprobung, Reflexion und (Weiter-) Entwicklung von Methoden der Pädagogik der Vielfalt.
„Qualitätsentwicklung im Diskurs – in Vielfalt stark werden“ (Hochschule Koblenz / Institut für Bildung, Erziehung und Betreuung in der Kindheit Rheinland-Pfalz IBEB)
Basierend auf dem im IBEB der Hochschule Koblenz entwickelten Ansatz Qualitätsentwicklung im Diskurs wird derzeit ein Forschungsprojekt durchgeführt, das die Weiterentwicklung des Ansatzes in den Bereichen Vielfalt und Inklusion in Kindertagesstätten thematisiert. Ausgangsfrage ist dabei, welche Faktoren in Bezug auf die Umsetzung einer inklusiven/vielfaltssensiblen Pädagogik im Praxisfeld als handlungsleitend zu identifizieren sindZiel des Projektes ist einerseits die Entwicklung, Durchführung, Implementation und Evaluation einer Weiterqualifizierung für pädagogische Fachkräfte im Bereich der alltagsintegrierten, kognitiv aktivierenden Lernunterstützung in inklusiven Kindertageseinrichtungen, andererseits die grundlagentheoretische Erforschung alltagsintegrierter Unterstützung in inklusiven Kindertageseinrichtungen. Dabei steht eine inklusive und individuell adaptive Perspektive auf die alltagsintegrierte Lernunterstützung im Vordergrund. Bei der alltagsintegrierten Lernunterstützung wird auf die Vermittlung der Interaktionsstrategien Scaffolding fokussiert.
Fruchtbarer Dialog
Im Anschluss an die Vorstellungen der Forschungsprojekte entspannten sich fruchtbare Diskussionen mit den Praktiker*innen. Eine für Forscher*innen immer wieder entscheidende Frage lautete dabei, wie die Praxis für die Beteiligung an Projekten gewonnen werden kann und wie die Ergebnisse dann tatsächlich nachhaltig in den Transfer gebracht werden können. Klar wurde die Voraussetzung, dass KiTa-Teams für sich einen konkreten Bedarf für die Teilnahme sehen und sich tatsächlich einen Mehrwert davon versprechen müssen - und nicht etwa vom Träger oder der Leitung dazu zwangsverpflichtet werden dürfen. Eine Praktikerin brachte aber auch ein aktuelles grundsätzliches Dilemma treffend auf den Punkt: „KiTas befinden sich im Moment im Notstandsmodus und nicht im Entwicklungsmodus“ und seien in diesem Sinne nur schwer für zusätzliche Aufgaben zu motivieren. Um so wichtiger sei es, neue wissenschaftliche Erkenntnisse auch verstärkt in die Ausbildung zu integrieren.Spannende Evaluationsergebnisse
Dass das Ansetzen an authentischen Bedarfen der KiTas ein entscheidender Erfolgsfaktor für die Qualitätsentwicklung in KiTas ist, zeigte auch die Evaluation der aktuellen nifbe-Qualifizierungsinitiative zum Umgang mit Vielfalt. Das innovative Format der Prozessbegleitung in Inhouse-Maßnahmen zielt darauf ab, dem Team jeweils eigenständiges Lernen und selbstverantwortliche, selbstreflektierte Weiterentwicklung und Veränderung zu ermöglichen. Wie Dr. Susanne Völker vom nifbe unterstrich, sei dafür auch aus neurobiologischer Perspektive ein Anknüpfen an authentischen Bedarfen notwendig. Die Kunst der Prozessbegleitung bestehe darin, von diesem Ausgangspunkt aus die Wert-Haltung und inklusiven Handlungskompetenzen der pädagogischen Fachkräfte nachhaltig zu stärken und ihnen by the way auch dazu notwendiges Wissen zu vermitteln.Download Präsentation
Zu den Evaluationsergebnissen
Quo vadis KiTa?
Im zweiten Part des Kolloquiums diskutierten die Forscher*innen und Pratiker*innen im Rahmen eines Worldcafés aktuelle Bedarfe und Problemlagen der KiTas sowie Forschungs- und Transferlücken im Hinblick auf den Umgang mit Vielfalt und die Inklusion.
Großen Raum nahmen dabei auch die aktuellen Rahmenbedingungen und die hohe Belastung durch fehlende Fachkräfte ein. Unisono berichteten die Praktiker*innen davon, dass Kinder und Eltern von den KiTa-Teams als immer schwieriger wahrgenommen würden, was aber möglicherweise auch mit der aktuellen Belastungssituation zusammenhänge. Ein wichtiges Thema waren aber auch die zunehmend zutage tretenden Werte-Diskrepanzen in den sich rasch verändernden Teams und dem sich vollziehenden Generationenwechsel. In diesem Kontext wurden auch die Grenzen im Umgang mit Vielfalt (z.B. rechtsradikale Tendenzen) und ein notwendiges eigenes Wertefundament diskutiert.
Von der Forschung wünschte sich die Praxis beispielsweise weitere Hinweise zur Eingewöhnung aus interkultureller Perspektive und grundsätzlich zu den Qualitätsmerkmalen einer guten KiTa. Und schließlich auch eine Beleuchtung der Frage „Quo vadis KiTa“ – wo soll und wo wird es also hingehen mit der KiTa in den nächsten Jahren?
Zum Abschluss des Kolloquiums kündigte Dr. Bettina Lamm an, dass das nifbe auch in Zukunft den interdisziplinären Austausch zwischen Forschung und Praxis weiter fördern und dafür entsprechende Formate anbieten werde - dass dieser Dialog dringend notwendig und für beiden Seiten gewinnbringend ist, darin waren sich am Endes des Tages wohl alle einig.
Tipp:
Forschungsbereiche und - projekte rund um die frühkindliche Bildung an niedersächsischen Hochschulen finden Sie auch auf unserer Wissenslandkarte Forschung.
Karsten Herrmann