Zwischen 2008 und 2018 hat sich die Zahl des pädagogischen Personals in den niedersächsischen Kitas um über 50 Prozent erhöht: von 33.465 auf 52.106. Im selben Zeitraum ist auch die Zahl der Kita-Kinder von 246.474 auf 274.858 ge-wachsen. Die Betreuungssituation in den Kitas ist allerdings noch immer nicht kindgerecht und stellt zudem eine hohe Arbeitsbelastung für die Fachkräfte dar. Zu diesen Ergebnissen kommt das diesjährige Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme der Bertelsmann Stiftung.

Weiter verbesserte Personalschlüssel noch nicht ausreichend

Mit Blick auf die Personalschlüssel heißt dies konkret: Am 1. März 2018 war eine vollzeitbeschäftigte pädagogische Fachkraft in Krippengruppen rein rechnerisch für 3,8 ganztagsbetreute Kinder zuständig. Die Personalsituation hat sich damit gegenüber 2013 (1 zu 4,2) leicht verbessert. In den Kindergartengruppen gab es eine deutlichere Verbesserung. Verantworteten Erzieherinnen und Erzieher 2013 noch die Förderung von 8,7 Kindern, waren es im Jahr 2018 noch 7,9. Für eine kindgerechte Betreuung empfiehlt die Bertelsmann Stiftung, dass in Krippengruppen maximal drei und in Kindergartengruppen 7,5 Kinder auf eine pädagogische Fachkraft kommen.

Allerdings sieht das Betreuungsverhältnis im Kita-Alltag immer ungünstiger aus, da nicht die gesamte Arbeitszeit für die Betreuung der Kinder zur Verfügung steht. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass rund ein Drittel der Arbeitszeit einer Erzieherin für Aufgaben außerhalb der pädagogischen Praxis benötigt wird: zum einen etwa für Elterngespräche, Qualitätsentwicklung oder Bildungsdokumentationen, zum anderen für Urlaub und Fortbildungen. In Krippengruppen muss dann beispielsweise in Niedersachsen eine Mitarbeiterin 5,6 unter dreijährige Kinder betreuen. In Kindergartengruppen ist eine Fachkraft tatsächlich für 11,8 Kinder zuständig. Längere Ausfallzeiten durch Krankheit verschlechtern die Betreuungssituation noch weiter, wenn kein Vertretungspersonal zur Verfügung steht.

Kathrin Bock-Famulla, Bildungsexpertin der Bertelsmann Stiftung, sieht in Niedersachsen weiterhin großen Ausbaubedarf: „Der zusätzliche Personalbedarf in Niedersachsen ist noch immer hoch. Die Personalschlüssel haben sich zwar verbessert, sind aber noch nicht kindgerecht. Langfristig helfen angemessene Personalschlüssel nicht nur dabei, Bildungschancen zu verbessern, sondern auch mehr Menschen für die Arbeit im herausfordernden Kita-Alltag zu begeistern.“

Großes Gefälle je nach Wohnort

Zwischen den niedersächsischen Kreisen und kreisfreien Städten besteht insbesondere in den Krippengruppen ein großes Qualitätsgefälle. So muss eine Fachkraft im Landkreis Wittmund (1 zu 5,8) rein rechnerisch fast drei Krippenkinder mehr betreuen als im Landkreis Oldenburg (1 zu 3,1). In anderen Bundesländern wie beispielsweise im Saarland ist das Gefälle deutlich geringer (1 zu 3,6 bis 1 zu 4,0). In Kindergartengruppen zeigt sich in Niedersachsen ein etwas geringeres Gefälle. Während im Landkreis Wittmund eine Fachkraft für 8,7 Kinder verantwortlich ist, sind es im Landkreis Holzminden zwei Kinder weniger (1 zu 6,6).

Um die Ursachen dieser unterschiedlichen Personalausstattung innerhalb von Niedersachsen zu verstehen, sind weitere Analysen der landesrechtlichen Regelungen zur Bemessung des Kita-Personals sowie ihrer Umsetzung erforderlich. Von Interesse ist in diesem Zusammenhang, ob die erzielten Ergebnisse beabsichtigte oder unbeabsichtigte Steuerungswirkungen sind. Jorg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung, fordert deshalb: „Beim weiteren Ausbau müssen kindgerechte Personalschlüssel in allen Regionen Niedersachsens erreicht werden.“

Überwiegend altersübergreifende Gruppen in Niedersachsen

Niedersachsen ist eines der Bundesländer, in denen ein großer Teil der unter Dreijährigen nicht in klassischen Krippengruppen, sondern zusammen mit älteren Kindern betreut wird. Insgesamt betrifft dies knapp 69 Prozent aller U-3-Kinder. In diesen Gruppen sind die Personalschlüssel für die jüngeren Kinder im Vergleich zu einer klassischen Krippengruppe (1 zu 3,8) ungünstiger. So ist beispielsweise in Kindergartengruppen, die auch für Zweijährige geöffnet sind, eine Fachkraft für 7,6 Kinder zuständig. In sogenannten altersübergreifenden Gruppen, in denen alle Altersgruppen vertreten sind, liegt der Personalschlüssel bei 1 zu 5,9. Dräger zu diesem Ergebnis: „Die Personalausstattung muss in jeder Betreuungsform kindge-recht sein. So darf der Besuch von Gruppen mit älteren Kindern die Bildungschancen der Jüngsten nicht verschlechtern.“

Personal hat Vorrang: Mindestens 3.300 zusätzliche Fachkräfte notwendig

Um eine kindgerechte Betreuung in den Kitas in Niedersachsen sicherzustellen, braucht es den neuesten Berechnungen der Bertelsmann Stiftung entsprechend rund 3.300 zusätzliche Fachkräfte. Dräger sorgt sich vor allem wegen der angespannten Situation beim Kita-Personal: „Der Fachkräftebedarf wird weiter steigen: Für mehr Plätze, eine gute Kita-Qualität und den Ausbau der Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder brauchen wir mehr Erzieherinnen und Erzieher. Diese können wir nur gewinnen und halten, wenn die Arbeitsbedingungen gut und attraktiv sind. Kindgerechte Personalschlüssel sind dafür eine wichtige Stellschraube.“

Um neue Fachkräfte zu gewinnen, empfiehlt Dräger zudem, dass sich die Länder auf einheitliche Verbesserungen im Ausbildungssystem für Erzieherinnen und Erzieher verständigen: „Einheitliche Ausbildungsbedingungen erhöhen auch die Chance für Fachkräfte, in jedem Bundesland in einer Kita zu arbeiten.“ Bundesweit brauche es eine kostenfreie Ausbildung, eine angemessene Ausbildungsvergütung sowie eine Renten- und Sozialversicherungspflicht für alle Ausbildungsgänge. Zudem sollten die derzeit entstehenden unterschiedlichen Wege in den Beruf – beispielsweise für Quereinsteiger – keine Absenkung des bisherigen formalen Qualifikationsniveaus nach sich ziehen. Für diese langfristigen und umfassenden Maßnahmen benötigen die Länder allerdings eine verlässliche, finanzielle Beteiligung des Bundes. Dräger fordert deshalb: „Die Bundesmittel im Gute-Kita-Gesetz müssen angesichts des bestehenden Ausbaubedarfs nach 2022 erhöht werden.“

Zusatzinformationen
Grundlage des jährlich aktualisierten Ländermonitorings Frühkindliche Bildungssysteme sind Auswertungen von Daten der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder aus der Kinder- und Jugendhilfestatistik und weiteren amtlichen Statistiken. Stichtag für die Datenerhebung war der 15. März 2008 und jeweils der 1. März 2013 und 2018. Die Berechnungen für 2018 wurden von dem LG Empirische Bildungsforschung der FernUniversität in Hagen durchge-führt. Die aktuellen Daten und Fakten zu den frühkindlichen Bildungssystemen finden Sie unter www.laendermonitor.de sowie in den Länderprofilen unter www.laendermonitor.de/laender-profile.

Der Personalschlüssel ist ein zentrales strukturelles Qualitätsmerkmal von Kitas. Haug-Schnabel und Bensel (2016) empfehlen für altersübergreifende Gruppen einen Personalschlüssel von 1 zu 3,75; für Kindergartengruppen ab 2 Jahren einen von 1 zu 4,9. Nach Empfehlung der Bertelsmann Stiftung sind für eine gute Kita auch Standards für eine professionelle Leitungsausstattung, berufsbegleitende Beratung sowie Aus-, Fort- und Weiterbildung der Fachkräfte und eine gute Mittagsverpflegung wichtig. Zusammenfassende Darstellung der wissenschaftlichen Studien zu den Arbeitszeitanteilen verschiedener Aufgabenbereiche von Fachkräften vgl. Viernickel und Schwarz (2009).

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Quelle: Presseinfo Bertelsman Stiftung