Kinderarmut zu vermeiden steht hoch auf der aktuellen politischen Agenda.
Die Bertelsmann Stiftung hat Kinder und Jugendliche gefragt, was sie aus ihrer Sicht zum guten Aufwachsen brauchen. Die ersten Ergebnisse zeigen: Eine bessere materielle Ausstattung allein reicht nicht.

Die meisten Kinder und Jugendlichen in Deutschland sind nach eigenem Bekunden gut versorgt. Zwar gibt mehr als die Hälfte von ihnen an, sich gelegentlich, häufig oder immer um die finanzielle Situation ihrer Familie zu sorgen. Doch sie zeigen sich grundsätzlich zufrieden mit ihrer materiellen Ausstattung. Aus zahlreichen Armutsstudien wissen wir aber, dass es etwa jedem viertem Kind kaum möglich ist, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Daher schlägt die Bertelsmann Stiftung ein Teilhabegeld vor – eine finanzielle Direktleistung, die besonders arme Kinder und Jugendliche unterstützt.

In einer repräsentativen Befragung, die Prof. Sabine Andresen von der Goethe-Universität Frankfurt gemeinsam mit der Bertelsmann Stiftung mit rund 3.450 Kindern und Jugendlichen durchgeführt hat, werden allerdings Nöte fernab der finanziellen Absicherung aufgedeckt, die sonst unter der Oberfläche bleiben. Sicherheit, Zeit mit Eltern und Freunden, Zuwendung sowie erwachsene Vertrauenspersonen und Beteiligungsmöglichkeiten zählen aus Sicht der großen Mehrheit der Kinder und Jugendlichen zum guten Aufwachsen dazu. In zusätzlichen ausführlichen Gruppendiskussionen konnte die Studie aufzeigen, welche Belastungen relevant sind. Dazu gehören Erfahrungen mit Ausgrenzung und dem Eindruck, keine Stimme bei politisch weitreichenden Entscheidungen zu haben. Andresen schlussfolgert: "Kinder und Jugendliche sind Experten. Wissenschaft und Politik sollten sie zu ihren Rechten, Interessen und Bedarfen systematisch und regelmäßig anhören."

Gutes Aufwachsen ist mehr als finanzielle Absicherung

Gut fünf Prozent der Achtjährigen finden nicht, dass es in ihrer Familie jemanden gibt, der sich um sie kümmert. Bei den 14-Jährigen sind es sogar rund zehn Prozent. Überraschenderweise beklagen gerade ältere Kinder häufiger die fehlende Zeit ihrer Eltern. Auch mit Blick auf Vertrauenspersonen in der Schule hat ungefähr die Hälfte der älteren Schüler nicht den Eindruck, dass sich ihre Lehrer um sie kümmern oder ihnen bei Problemen helfen. Für Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung, leitet sich daraus ab, dass die Gesellschaft insgesamt mehr für Kinder und Jugendliche da sein muss: "Kinder und Jugendliche brauchen erwachsene Vertrauenspersonen, sowohl in Familien als auch in den Schulen."

Besorgt blickt er deshalb auch auf eines der Studienergebnisse, laut dem sich rund ein Drittel der Kinder an Haupt-, Gesamt- oder Sekundarschulen nicht sicher fühlt: "Kinder müssen sich an ihrer Schule sicher fühlen können. Das ist eine Grundvoraussetzung für Lernen und Chancengerechtigkeit." Zudem geben 50 bis 60 Prozent der Kinder und Jugendlichen an, nicht oder nicht sicher über ihre Rechte Bescheid zu wissen. Je älter die Kinder werden, desto weniger haben sie den Eindruck, tatsächlichen Einfluss auf Entscheidungen in der Schule nehmen zu können.

Kinder und Jugendliche für Sozialberichterstattung selber befragen

Dräger ist der Auffassung, die Politik sollte ihr Ohr näher an den jungen Menschen haben und sie konsequent beteiligen. Er fordert eine neue Art der Sozialberichterstattung, die Kinder und Jugendliche direkt zu ihren Bedarfen und Interessen befragt: "Wir brauchen eine solide Grundlage, um die Höhe des Teilhabegeldes zur Bekämpfung von Kinderarmut festlegen zu können. Mit einer konsequenten Befragung von Kindern und Jugendlichen ließe sich die Unterstützung und Infrastruktur bedarfsgerecht ausrichten. Zudem können durch regelmäßige Befragungen politische Maßnahmen überprüft und besser angepasst werden."


Methodik:

Datengrundlage der Studie ist die aktuelle Welle der internationalen Kinder- und Jugendbefragung Children’s Worlds für Deutschland. Die repräsentative Erhebung wurde im Schuljahr 2017/2018 durchgeführt. Befragt wurden 3.448 Schülerinnen und Schüler im Alter von acht bis vierzehn Jahren. Für Deutschland wurde Children’s Worlds in Kooperation mit der Bertelsmann Stiftung erweitert und erscheint daher unter dem Namen Children’s Worlds+. Zum einen wurde der Erhebungsbogen um einige Fragen zu den Bedarfen von Kindern und Jugendlichen ergänzt. Zum anderen wurden zusätzlich 24 Gruppendiskussionen mit jungen Menschen zwischen 5 und 20 Jahren durchgeführt. Die vorliegende Studie liefert erste Auswertungen der Erhebungen. Im Sommer 2019 werden weitere Auswertungen vorliegen.
Quelle: Presseinfo Bertelsmann-Stiftung