Die Sprache ist der Schlüssel für den zukünftigen Bildungserfolg der Kinder – doch wie kann eine bestmögliche Sprachvermittlung und –förderung gelingen? Nutzen punktuelle Sprachförderprogramme? Welche Rahmenbedingungen sind erforderlich? Dies waren Fragen, mit denen sich rund 25 nifbe-Netzwerk-ManagerInnen und –WissenschaftlerInnen in einem Workshop der nifbe-Forschungsstelle Entwicklung, Lernen und Kultur beschäftigten.

 

Über ernüchternde, ja fast erschütternde Ergebnisse zur derzeitigen Praxis der Sprachförderung berichtete Prof. Dr. Jeanette Roos. Gemeinsam mit Prof. Hermann Schöler hatte die Psychologin von der Pädagogischen Hochschule Heidelberg eine durch die Landesstiftung Baden-Württemberg initiierte und geförderte Evaluation der Sprachfördermaßnahmen von Vorschulkindern (EVAS) in den Städten Heidelberg und Mannheim durchgeführt.
Untersucht wurden sprachliche, kognitive und ausgewählte schulische Leistungen der Kinder zu vier Zeitpunkten: Im letzten Kindergartenjahr vor Beginn der Förde-rung (Spracherwerb, kognitive Leistungsfähigkeit), am Ende der Förderung (Spracherwerb), nach dem 1. (Leistungsbeurteilungen durch Lehrkräfte) und nach dem 2. Schuljahr (Schulleistungstests, Leistungsbeurteilung durch die Lehrkräfte, Spracherwerb und kognitive Leistungsfähigkeit). Verglichen wurden über alle vier Zeitpunkte hinweg Fördergruppen, die eine „spezifische“ Förderung mit unterschiedlichen Sprachförderprogrammen erhalten haben, eine Vergleichsgruppe von Kindern mit Sprachförderbedarf, die nur im üblichen, „unspezifischen“ Rahmen innerhalb der Einrichtung sprachlich gebildet wurde sowie eine Vergleichsgruppe von Kindern ohne Förderbedarf.

Sprachfördermaßnahmen ohne Effekte?

Kurz zusammen gefasst ergab die Untersuchung, dass alle Kinder im Programm „Sag´ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“ der Landesstiftung Baden-Württemberg Fortschritte machen. Allerdings ergab die zusätzliche Förderung im letzten Kindergartenjahr von ca. 120 Stunden keine messbare Wirkung. Kinder mit Sprachförderbedarf, die keine zusätzliche Förderung erhielten, erzielen zu allen Messzeitpunkten vergleichbare Leistungen wie die geförderten Kinder mit Förderbe-darf. Die beiden Gruppen mit Förderbedarf bleiben auch in der Schule im unteren Durchschnitts- bzw. unterdurchschnittlichen Leistungsbereich und weisen mit 35% eine hohe „Drop out“-Rate durch Zurückstellung oder Wiederholung der ersten Klasse auf. „Trotz großem Engagement aller Beteiligter insbesondere den Sprachförderkräften und hohem Ressourcen-Einsatz“, so Jeanette Roos, „ist es nicht gelungen Kinder mit Sprachförderbedarf an die Leistungen der Kinder ohne Sprachförderbedarf heranzuführen.“
Der gelingende Erwerb der Zweitsprache wird von vielen Faktoren beeinflusst. „Wenn im Jahr vor der Einschulung Kenntnisse der Erst- und Zweitsprache (in diesem Falle Deutsch als Zweitsprache - DaZ) noch nicht ausreichend vorhanden sind, so gelingt ihr Erwerb unter den derzeitigen Rahmenbedingungen in den Kindertageseinrichtungen nicht in dem Maße, wie es für die Partizipation am Bildungssystem notwendig wäre. Grundsätzlich stellte Jeanette Roos in Anbetracht dieser Ergebnisse den Sinn von punktuellen Sprachförderprogrammen am Ende der Kindergartenzeit in Frage. „Es gibt kein Patentrezept, sondern wir müssen an verschiedenen Stellschrauben gleichzeitig drehen und das System verbessern“ resümierte Jeanette Roos. Stellschrauben zur Optimierung sieht sie bei einer Verbesserung der Rahmenbedingungen sowie in den Bereichen Qualifizierung der Fachkräfte und Konzeptionierung der Sprachfördermaßnahmen. So müsse der Fachkraft-Kind-Schlüssel verbessert, die Gruppengröße verringert und die zeitliche Organisation flexibilisiert werden. Grundsätzlich müsse die Sprachförderung so früh wie möglich beginnen und die Zusammenarbeit mit den Eltern verstärkt werden. Eine zentrale Rolle spiele die intensive Qualifizierung und das fortlaufende Coaching der pädagogischen Fachkräfte, die immer auch responsives (Sprach-) Vorbild sein müssten. Als beste Fördermethode stellte Jeanette Roos eine angemessene und reflektierte sprachliche Kommunikation im Krippen- und Kindergartenalltag und das bewusste Schaffen und Anbieten von situativ verankerten Sprachanlässen im Rahmen verschiedener Aktivitäten dar.

Kultureller Aspekt der Sprache bisher unberücksichtigt

Wichtige Erkenntnisse zum Zusammenhang von Sprache bzw. Sprachförderung und Kultur stellten auf dem Workshop Prof. Dr. Heidi Keller und ihre wissenschaftliche Mitarbeiterin Paula Doege vor. Grundsätzlich, so Keller, gebe es zwei kulturelle Modelle: Das der Autonomie, in dem die Entwicklung zu individuellen, eigenständigen Persönlichkeiten im Fokus stehe, und das der Relationalität, in dem die Gemeinschaft und das Soziale Vorrang hätten. Diese kulturellen Modelle und ihre Mischformen seien die Grundlage aller Sozialisationsziele und –strategien. Wie Paula Doege weiter ausführte, wird in einem Modell der Autonomie ein eher elaborierter und interaktiver Konversationsstil, in einem Modell der Relationalität ein eher repetitiver Konversationsstil mit vielen nonverbalen Elementen und rhythmischer Vokalisation gepflegt, in dem das Kind eine passive Rolle einnimmt.

„Sprache“, so Doege, „ist kulturell gesättigt und bestimmt die soziale Wirklichkeit.“ Dieser kulturelle Aspekt der Sprache und damit verbundene unterschiedliche Sprach-, Denk- und Lernstrukturen blieben in bisherigen Sprachförderprogrammen allerdings unberücksichtigt. Eine Optimierung der Sprachförderung müsse daher den kulturellen Realitäten sowohl inhaltlich wie didaktisch Rechnung tragen und die Eltern viel intensiver als bisher einbeziehen.

Landesforum Sprachförderung geplant

Gemeinsam diskutierten die WissenschaftlerInnen und Netzwerk-ManagerInnen im Anschluss an die Vorträge Ansätze und Strategien für eine nachhaltige Verbesserung der Sprachförderung in Niedersachsen. Eine der geplanten Maßnahmen besteht in der Gründung eines Landesforums zur Sprachförderung, an dem sich die maßgeblichen Akteure aus Praxis, Ausbildung und Wissenschaft beteiligen können. Ziel ist es, sich über die bisherigen Ansätze und Modelle der Sprachförderung fachlich auszutauschen, Erfolgs- und Misserfolgs-Faktoren zu identifizieren und neue Perspektiven zu entwickeln. Eine Auftaktveranstaltung ist für den Beginn des kommenden Jahres geplant. Interessierte können sich schon jetzt bei Maria Korte-Rüther in der Ko- und Geschäftsstelle des nifbe unter Tel.: 0541 – 580 54 57-3 melden.