Psychomotorische Förderstelle Osnabrück feiert 40. Geburtstag und blickt auf Europa
„Psychomotorik hat meinem Sohn die Freiheit gegeben, sich in seinem ganz eigenen Tempo zu entwickeln und heute Fahrrad und Roller zu fahren wie andere Kinder auch“ – mit diesen Worten und begleitet von bewegenden Bildern schilderte der Vater des mit Down-Syndrom geborenen Jannis* den Effekt von dessen regelmäßigen Besuch der Psychomotorischen Förderstelle in Osnabrück. Diese feierte jetzt über zwei Tage mit einem Festakt und einem internationalen Symposium ihren 40. Geburtstag – womit sie auch eine der ältesten Förderstellen in ganz Deutschland ist.Gegründet wurde sie 1978 durch Prof. Dr. Renate Zimmer und Prof. Dr. Meinhart Volkamer an der Universität Osnabrück, um dann ab 2007 integraler Bestandteil der Forschungsstelle „Bewegung und Psychomotorik“ des Niedersächsischen Instituts für frühkindliche Bildung und Entwicklung“ (nifbe) zu werden. Neben der praktischen Arbeit mit den Kindern zwischen einem und zehn Jahren kam hier auch die wissenschaftliche Evaluation der psychomotorischen Förderung hinzu. Bis zu 60 Kinder in sechs Gruppen nehmen jährlich an der psychomotorischen Förderung teil, seit 1978 summiert sich ihre Zahl auf rund 2.500.
Gründerin Prof. Dr. Renate Zimmer erläuterte in ihren einführenden Worten die Psychomotorik als „Verbindung des Körperlich-Motorischen mit dem Geistig-Seelischen“. Ziel der Psychomotorik sei es, über den „Motor der Bewegung“ die Persönlichkeit, das Selbstwertgefühl und das Selbstvertrauen der Kinder zu stärken. „Über die Bewegung entdecken Kinder ihre Kraftquellen und die Psychomotorik ermöglicht ihnen entscheidende Selbstwirksamkeitserfahrungen“, so Zimmer. Kinder würden sich und ihren Körper gemeinsam mit anderen erleben, etwas wagen und sich mehr zutrauen und auch lernen, Risiken und Grenzen abzuschätzen. Als unabdingbare Grundprinzipien der Psychomotorik nannte sie die „Anerkennung und Wertschätzung der Kinder durch die Erwachsenen“ und resümierte: „In der Psychomotorik geht es um das Erfahren des ‚Glücks der gelungenen Tat‘ und eine der schönsten Dinge in meinem Leben war es, in den Psychomotorik-Stunden die Freude und den Stolz dieser Kinder zu erleben, wenn sie etwas geschafft hatten.“
Und so erzählte auch der Vater von Jannis, dass sein Sohn alles könne: „Aber er braucht nur etwas mehr Zeit, mehr Geduld und mehr Liebe als andere Kinder - und die hat er in der Psychomotorischen Förderstelle bekommen“. Ganz in diesem Sinne berichtete auf der Jubiläumsfeier auch die Mutter von Tom*, dass ihr Sohn, der autistische Züge aufweist, in den Psychomotorik-Stunden „Vertrauen und echte Zuwendung erfahren hat und die Freiheit hatte, das zu tun, was er wollte und konnte.“
Dass die Wirksamkeit der psychomotorischen Förderung nicht nur subjektiv gefühlt ist, konnte Fiona Martzy, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am nifbe, mit der Vorstellung einer eigenen Studie untermauern. Diese habe eine „signifikante positive Veränderung in der Reduzierung des Angsterlebens, in der Wahrnehmung der körperlichen Effizienz und Selbstsicherheit“ sowie insgesamt eine „erhöhte Identitätssicherheit“ gezeigt.
Auch in Zukunft soll die Psychomotorische Förderstelle in Kooperation des nifbe mit der Universität Osnabrück weiter geführt werden und, so Zimmer, „den wechselseitigen Transfer zwischen Forschung und Praxis weiter befördern“. Als Service bietet sie auch eine deutschlandweite Datenbank für psychomotorische Förderangebote auf dem Portal www.nifbe.de an.
Psychomotorik in Europa
Wie ist die Psychomotorik in Europa aufgestellt und wie unterscheiden sich in Theorie und Praxis ihre therapeutischen und pädagogischen Ansätze? Diese Frage und das Ziel einer weiteren Intensivierung der Vernetzung stand im Fokus eines Internationalen Symposiums in der Schlossaula der Universität Osnabrück, an dem rund 70 Fachkollegen aus vielen europäischen Ländern und sogar aus Japan teilnahmen. „Psychomotorik ist ein interdisziplinäres Konzept mit vielen Facetten“ leitete Symposiumsleiterin Prof. Dr. Renate Zimmer ein und konkret zeigte sich dies in der Folge auch in den Vorträgen von ReferentInnen aus Deutschland, Finnland, Griechenland, Norwegen, Österreich, Polen und der Schweiz.Zum Auftakt stellte Prof. Dr. Thomas Moser von der Stavanger-Universität in Norwegen das Bildungssystem seines Landes vor und verblüffte mit der Aussage, dass der Begriff Psychomotorik hier unbekannt sei. Allerdings sei der verbindliche zentrale Bildungsplan für die öffentlichen und privaten Kindergärten stark von psychomotorischen Elementen geprägt. So spiegele sich die ganzheitliche Betrachtung von Körper und Geist in den Abschnitten zu Bewegung, Ernährung und Gesundheit wieder. Explizites Ziel sei ein positives Körpergefühl und Selbstbild und dazu sollten im Kindergarten-Alltag auch ganz gezielt Herausforderungen gestellt und Grenzen erfahren werden. „Der Umgang mit scharfen Messern und Sägen ist dabei ganz normal und führt bei PädagogInnen aus anderen Ländern oft zu Entsetzen“ berichtet Moser. Der hohe Stellenwert von Bewegung zeichne sich auch in den vielen Außenaktivitäten ab, die im Sommer einen Anteil von 70 und selbst im bitterkalten norwegischen Winter noch einen Anteil von 30 Prozent ausmache.
In einem zweiten Hauptvortrag zeigte Prof. Dr. Antonis Kambas von der Democritus Universität zu Thrazien (Griechenland) die Entwicklung der Psychomotorik in seinem Land aus der Praxis heraus zu einer wissenschaftlichen Disziplin auf.
Feste Verankerung in Deutschland
Die feste Verankerung der Psychomotorik in Deutschland zeigte Horst Göbel von der Deutschen Gesellschaft für Psychomotorik auf. Ihre Einsatzbereiche liegen dabei von der klinischen Therapie über die Sonderpädagogik und Heilpädagogik bis zum Kindergarten und der Grundschule. Ausgangspunkt lag dabei in den 1960er Jahren beim Pionier Jonny Kiphard, der als Clown und Zauberer unter anderem im Zirkus Althoff auftrat. In der Folgezeit wurden Testverfahren entwickelt, psychomotorische Vereinigungen und Zeitschriften sowie Förderstellen gegründet, Weiterbildungen geschaffen und ein Masterstudiengang Motologie an der Universität Marburg entwickelt. In diesem Sinne, so Göbel, „ist die Psychomotorik in Deutschland eine Erfolgsgeschichte, die auch ganz eng mit dem Namen Renate Zimmer verbunden ist“. Als Entwicklungsaufgaben für die Zukunft zeigte er „einheitliche Qualitätskriterien“, eine „einheitliche Refinanzierung“ und eine „noch bessere internationale Vernetzung“ auf. Für den letzten Punkt bot das Symposium reichlich Gelegenheit und es endete mit vielen bilateralen Gesprächen und Ideen für länderübergreifende Kooperationen.* Namen von der Redaktion geändert
Karsten Herrmann