Zur Begrüßung unterstrich Martin Albinus, Leiter des Fachbereichs Kinder, Jugend und Familie in Braunschweig, den „hohen Bedarf an Handlungskonzepten für den Umgang mit einer bunten Vielfalt“. Daher seien Tagungen wie die heutige wichtig, um Wissen zu vermitteln, aber auch um kritische Fragen zu stellen und innovativ zu denken. „Grundsätzlich“, so Albinus, „hat unsere Gesellschaft durch die zu uns geflüchteten Menschen eine Bereicherung erfahren und kann bei gelingender Integration langfristig davon profitieren.“ Ganz entscheidend komme es darauf an, die Menschen kommunikationsfähig zu machen - doch hier machte Albinus noch „riesige Baustellen“ bei der „Vermittlung der deutschen Sprache als Schlüssel zur Integration“ aus.
Als Beiratsvorsitzender für das nifbe SüdOst hob Reinhard Zabel die Bedeutung des Netzwerkens hervor, „um Grenzen zwischen den System zu überwinden und Vertrauen zwischen den Menschen aufzubauen“. Die gelte insbesondere auch für die Integration für die Kinder und Familien mit Fluchterfahrung. Als „Netzwerk- und Unterstützungssystem“ ermögliche das nifbe in diesem Sinne den bereichsübergreifenden Diskurs zwischen den System und organisiere sowohl fachlichen Input wie auch den offenen Dialog.
„Vielfalt fördert! Vielfalt fordert!“
Nach den Grußworten unterstrich Verena Sagrabelna vom Niedersächsischen Kultusministerium die Bedeutung der KiTa für eine Integration und für gleiche Bildungschancen von Anfang an. Im Sozialraum KiTa könne die Vielfalt tagtäglich er- und gelebt werden und so hätten viele Pädagogische Fachkräfte auch schon große Erfahrungen im Umgang mit Interkulturalität. Für die Aufnahme von Kindern und Familien mit Fluchthintergrund in die KiTa seien allerdings noch „erweiterte Handlungskompetenzen“ notwendig. Zur Unterstützung der Praxis habe das Kultusministerium in Kooperation mit dem nifbe, der Agentur für Erwachsenen- und Weiterbildung, dem Kindertagespflegebüro und dem Kinderschutzbund so auch die Qualifizierungsinitiative „Vielfalt fördert! Vielfalt fordert!“ initiiert, die aus zwei Säulen bestehe: Der Ausbildung von bis zu 200 MultiplikatorInnen und der Durchführung von zehn Regionalkonferenzen rund um das Thema Flucht. Über die auf nun 12 Millionen Euro verdoppelten Mittel für die Sprachförderung in den Städten und Kommunen könnten auch Fortbildungen zu den verschiedenen Aspekten des Umgangs mit Kindern und Familien mit Fluchthintergrund in der KiTa durchgeführt werden.Komplexe Lebensrealitäten
Einen Einblick in die komplexen Lebensrealitäten von Kindern und Familien mit Fluchterfahrung gab Dr. Sina Motzek-Öz von der Universität Kassel den TeilnehmerInnen. Sie unterschied dabei die durch rechtliche Bedingungen wie den Aufenthaltsstatus, die Wohn- oder Gesundheitssituation bestimmte Lebenslage und die durch die subjektive Wahrnehmung bestimmte alltägliche Lebenswelt. Im Gesamtblick auf die sozioökonomischen und kulturellen Hintergründe sowie unterschiedlichste Fluchterfahrungen ergäben sich für Kinder und Familien mit Fluchterfahrung „sehr heterogene und dynamische Lebensrealitäten“.Hoch belastend seien für viele geflüchtete Kinder und Familien aber Trennungserfahrungen und traumatische Erlebnisse auf der Flucht sowie eine unsichere Aufenthaltsperspektive in Deutschland, die mit langem Verbleiben in Erstaufnahmeeinrichtungen und entsprechender Unsicherheit und Perspektivlosigkeit sowie einer „prekären Gesundheitssituation“ verbunden sei. „Bei Massenunterbringung sind die Kinderrechte und das Kindeswohl stark gefährdet“ unterstrich Motzek-Öz, da hier ständig die Gefahr von gewaltsamen Übergriffen bestehe und „kein Raum für Spiel, Bildung oder Rückzug“ sei. Letztlich seien Kinder mit Fluchterfahrung zwar nicht rechtlos in Deutschland, „aber gegenüber deutschen Kindern stark benachteiligt“. Es greife aber zu kurz, Kinder mit Fluchterfahrung nur als Opfer zu sehen, da sie viele Ressourcen mitbrächten und im subjektiven Erleben und Wahrnehmen die Sicherheit, das Spielen und die Möglichkeit neue Freunde zu finden als hohes Gut empfänden. In diesem Sinne plädierte Motzek-Öz für die „Rückbesinnung auf eine ganzheitliche (sozial-) pädagogische Perspektive“, die die unterschiedlichen Perspektiven der Lebensrealität und der Familienkulturen in den Blick nehme. Dafür sei die Verbindung von kultursensitiver Pädagogik mit der vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung gute Ansatzpunkte.
Zur Dialektik und zum Dilemma der Differenz
Im Anschluss schärfte Lisa Rosen insbesondere den Blick für die „Dialektik der Differenz“, die zwischen den Polen der „Differenzblindheit“ und der „Differenzfixierung“ hin und her pendele. Kommunikation mit geflüchteten Familien und ihren Kindern finde in einem komplexen Feld aus „Machtasymmetrie, dem jeweiligen Kulturellen Skript, Kollektiverfahrungen und Fremdbildern“ statt. Hier sei in jeder Situation von neuem eine „hohe Reflexionskompetenz“ der pädagogischen Fachkräfte gefragt.Für die konkrete Praxis müsse es Ziel sein, die KiTa als sicheren Ort zu gestalten und dem durch Belastung oder Traumata hervorgerufenen Strukturverlust mit einem sicherer Rahmen und geregelten Tagesabläufen zu begegnen. Wichtig sei ein „empathischer und wertschätzender Umgang“ und dass den Kindern Zugehörigkeit signalisiert werde.
Mehrsprachigkeit als Normalität
Die Mehrsprachigkeit stand im Fokus eines zweiten Impulsvortrages von Prof. Dr. Argyro Panagiotopoulou. Diese, so führte sie aus, werde zwar zunehmend anerkannt, aber eine mehrsprachige Praxis in der KiTa sei noch lange nicht selbstverständlich – und dies obwohl nach einer Studie 63% der 4-5jährigen Kinder mit Migrationshintergrund zu Hause überwiegend nicht Deutsch sprächen.Sehr kritisch nahm Panagiotopoulou die „fehlende Wirksamkeit der bisherigen Sprachförderung“ in den Blick. So hätten die wenigen vorhandenen Evaluationen gezeigt, dass eine „kompensatorische“ Sprachförderung in isolierten Settings „keine oder nur geringe Effekte“ habe. Positive Effekte habe dagegen eine alltagsintegrierte Sprachförderung in der KiTa, wie zum Beispiel das dialogische Bilderbuchlesen. Diese müsse aber zukünftig „systematisch und authentisch um die mehrsprachige Dimension“ erweitert werden. „Mehr- und Quersprachigkeit muss in der KiTa zur Normalität werden“, forderte Panagiotopoulou abschließend.
In fünf Workshops wurden im Anschluss die Themen der Haupt- und Impulsvorträge vertieft und weitere Aspekte zum Thema Kinder und Familien mit Fluchterfahrung wie „Traumatisierung“ oder der „Ressourcenorientierte Umgang mit Familien mit Fluchterfahrung“ vorgestellt und diskutiert. Dabei wurden vom „DialogWerk Braunschweig“ und der Stadt Wolfsburg auch Good Practice-Beispiele vorgestellt.