Jungen in der dritten und vierten Klasse haben keinen geringeren Wortschatz als gleichaltrige Mädchen – aber einen zum Teil anderen. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie, die am Institut für Schulentwicklungsforschung (IFS) in Dortmund von einem Team um Professorin Nele McElvany in Kooperation mit Professorin Ursula Kessels von der Freien Universität Berlin durchgeführt wurde. Der Befund hat praktische Relevanz für Eltern und Lehrkräfte.
In fast allen Ländern, die an der jüngsten PISA-StudiePISA-Studie|||||
In der PISA- Studie der OECD werden alle drei Jahre seit 2000 in den Mitgliedsstaaten der OECD die alltags- und berufsrelevanten Fähigkeiten von 15- Jährigen durch Testfragen gemessen. Die mittelmäßigen bis schlechten Ergebnisse 2001 in Deutschland führten dazu, dass vielfach von einem PISA-Schock geredet wurde.
teilnahmen, schneiden 15-jährige Mädchen beim Lesen besser ab als Jungen. Das nährt den Verdacht, dass Jungen generell schlechter mit Sprache umgehen können als Mädchen. Die aktuelle IFS-Studie kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass Mädchen und Jungen in der Grundschule – getestet worden waren Dritt- und Viertklässler, also Neun- und Zehnjährige – sich im Allgemeinen nicht in der Anzahl der Wörter unterscheiden, die sie verstehen können. Wohl aber in der Art der Wörter: Während Mädchen signifikant häufiger Begriffe wie „innig“, „Laune“ oder „Bluse“ kennen, sind Jungen öfter Wörter wie „Disput“, „Kontrahent“ oder „waghalsig“ geläufig.
„Das lässt vermuten, dass Mädchen häufiger weiblich konnotierte Wörter kennen und Jungen häufiger männlich konnotierte. Solche qualitativen Unterschiede könnten unter anderem durch unterschiedliche Sozialisation von Mädchen und Jungen und durch die Entwicklung geschlechtsspezifischer Interessen entstehen. Für die Schulpraxis sind diese Unterschiede relevant, insbesondere wenn man an unterschiedliches Vorwissen bei spezifischen Lerneinheiten denkt“, erklärt Professorin Nele McElvany, Direktorin des IFS. Lehrkräfte sollten sich der möglicherweise unterschiedlichen sprachlichen Kompetenzen von Jungen und Mädchen bewusst sein – und Begriffe, die möglicherweise weiblich oder männlich belegt sind, im Unterricht gezielt erläutern. Und für Eltern sei es ratsam, ihren Söhnen auch mal Geschichten vorzulesen, die sich scheinbar an Mädchen richten – und umgekehrt.
Dass das gut möglich ist, weil das Interesse von Grundschulkindern an Kinderliteratur (noch) gar nicht so geschlechtsspezifisch ausgerichtet ist, hatte vor kurzem eine weitere Studie des IFS ergeben. Dabei waren Mädchen und Jungen Texte unterschiedlicher Genres und mit männlichen und weiblichen Identifikationsfiguren vorgelegt worden – und bei immerhin einem Drittel der Geschichten zeigten sich hinsichtlich des Interesses der Kinder keinerlei signifikante Geschlechtsunterschiede. Deutliche Geschlechtsunterschiede gab es dagegen zum Beispiel bei einer Geschichte mit dem Titel „Der tollpatschige Junge“: Die Story mit einem männlichen Anti-Helden war für Jungen dann doch erkennbar weniger attraktiv als für Mädchen.