Beiträge chronologisch
Zur Geschichte des Natur- und Waldkindergartens
Inhaltsverzeichnis
- Pädagogische VordenkerInnen und Vorläufer
- Beitrag der Montessori-Pädagogik
- Entwicklung während der Nazi-Diktatur
- Beginn und Entwicklung nach 1945 bis zur Gegenwart
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Pädagogische VordenkerInnen und Vorläufer

Der seit seiner frühesten Kindheit zutiefst naturverbundener Friedrich Fröbel, der 1840 in (seit 1911 Bad) Blankenburg den ersten Kindergarten „stiftete“, betonte immer wieder eindringlich die „hohe Wichtigkeit inniger Bekanntschaft und Einigung des Kindes mit der Natur“ (4). Bereits 1806 konstatierte er:

Der Kindergartenstifter fügte wohl überlegt und begründet seiner Einrichtung einen Garten als „die vollständig ausgebildete Idee eines Kindergartens“ (6) hinzu, den die Kinder selbst pflegen und pflanzen „was und wie sie es wollen; auch mit den Pflanzen umgehen wie sie es wollen, damit sie aus unstatthafter Behandlung selbst erfahren, dass man auch sorgsam und gesetzmäßig mit den Gewächsen umgehen müsse“ (7).
Der Garten-/Naturgedanke Fröbels fiel durchaus auf fruchtbaren Boden. Bertha von Marenholtz-Bülow, „die herausragende Persönlichkeit innerhalb der Fröbelbewegung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts“ (8), unterstellte dem Kind einen „Trieb zum Bodenbau“, der von menschenwürdiger Nahrung“ abhängig ist:

Auch Fröbels Großnichte Henriette Schrader-Breymann legte in dem von ihr 1874 als „Berliner Verein für Volkserziehung“ gegründeten „Pestalozzi-Fröbel-Haus“ besonderen Wert auf eine naturnahe Erziehung. Die Kinder pflegten nicht nur ihrer Beete, sie sorgten sich auch um die Tiere, die in einem extra Gehege auf dem großzügig eingebetteten Gartengelände untergebracht waren. Schrader-Breymann konstatierte, sich dabei auf Fröbel berufend:
„Fröbel wollte ja vor Allem die Kinder mitten in das Leben der Natur führen und aus ihr die Hauptnahrung für den kindlichen Geist schöpfen; aber leider ist diese Seite des Kindergartenlebens noch am allerwenigsten verstanden und entwickelt... Das Kind ahnt gewissermaßen die tiefe Bedeutung des Lebens der Natur für den Menschen... Das Kindergartenleben soll vor Allem fest die Einheit gründen zwischen Mensch und Natur, um so nach und nach die große Trennung auszugleichen, in die wir von ihr bei unserem jetzigen Leben gerathen sind... So hat denn der Kindergarten das Kind früh mit dem Leben der Natur aufs Innigste vertraut zu machen, die geistige Erfassung derselben durch poetisches Leben in ihr anzubahnen, es fest zu halten in der schönen Einheit des Lebens, in dem ja die Natur alle Verhältnisse des menschlichen Daseins durchdringt und mit ihrem Banden fest zusammenkettet; aber sie hat auch dasselbe anzuleiten, die Natur gestaltend zu bewältigen und mit dem eigenen Geiste den Stoff zu durchdringen. Das Kind muß die Natur lieben mit aller Innigkeit seines kleinen Herzens; denn nur, was man zuerst innig liebt, wird man einst klar verstehen“ (10)

„Frühlingsblumen als Monatsgegenstand im Kindergarten... Die Kinder tragen ihr Teil bei zum Wachsen und Gedeihen der Pflanzen im Garten. Schon im März haben sie an schönen Tagen gesucht, ob sich nicht ein Blümchen zeigen werde; der grünenden Blätter gab’s manche und auch kleine, ganz eingewickelte Veilchenknospen haben sie entdeckt. Schneeglöckchen waren schon da, weiss wie ein Flöckchen Schnee auf grünem Stengel. Und die zarte Crocusblüte, lila und weiss ist auch erschienen! Im Herbste hatten die grösseren Kinder deren Zwiebel dort gelegt. Alle Tage ist ein Fortschritt da, und auch die Kinder sind geschäftig bei der Frühlingsarbeit für den Garten. Wenn die Kindergärtnerin den Ruf erschallen lässt:
‚Kommt, wir wollen in den Garten,
All‘ die Blümchen dort warten,
Wollen sie gar schön begiessen
Dass die Knospen sich erschliessen -‘
so greifen sie freudig zu der Giesskanne, der Harke, dem Spaten und folgen ihr. Während die grösseren Kinder Beete umgraben, Wein anbinden, den Epheu von schlechten Blättern säubern, suchen die kleinen Steinchen zusammen, fahren diese und welkes Laub etc. in ihren kleinen Wagen weg, reinigen die Wege u.s.w. – Und ehe die Kinder den Garten verlassen, schaut noch einmal jedes nach, ob nicht eine neue Blume entstanden sei. Ja, wirklich, hier bei den grossen grünen Blättern, hier ist eine hübsche goldene Blume erwacht. Das ist die Schlüsselblume, die Primel, eine der ersten Blumen, die uns der Frühling bringt; und die Veilchenknospen haben sich auch sacht und unbemerkt aufgewickelt; eine Menge blauer Äuglein schauen da unter den Blättern hervor! Ein zarter leiblicher Duft verbreitet sich und die Kinder knieen davor, ihn einzuatmen.
‚Die Knospen sich entfalten nun,
Sie grüssen uns mit süssem Duft,
Womit sie durchwürzen die ganze Luft,
Belohnend ist es wohl zu thun‘
spricht die Kindergärtnerin mit Fröbel’s Worten“ (11).

Im gleichen Sinne befürwortete die italienische Ärztin und Pädagogin Maria Montessori in ihrer Schrift „Selbsttätige Erziehung im frühen Kindesalter“ die Nützlichkeit der Arbeit in der Natur, sprich Garten, da dort die Seele des Kindes für die ersten religiösen Empfindungen erschlossen und ein anfanghaftes Naturgefühl/-verständnis geweckt und weiter entwickelt wird. Die Pflege von Pflanzen, die Versorgung von Tieren sind, wie Montessori konstatierte, ein „wertvolles Mittel moralischer Erziehung“ (13).
Mit Vorschulkindern den Alltag „wissentlich in der der sauerstoffreichen Natur, die frei von allen schädlichen Beimischungen ist“ (14), d. h. außerhalb begrenzter Räumlichkeiten zu verbringen, wurde in der von dem Maler und Lebensreformer Karl Wilhelm Diefenbach um 1886 gegründeten und bis 1890 existierenden naturphilosophisch orientierten Landkommune „Humanitas“, gelegen in einem verlassenen Steinbruch in Höllriegelskreuth (bei München), praktiziert. In der aus mehreren Blockhütten bestehenden Siedlung gab es auch „eine Art von Kindergarten in welchem alle konservativen Erziehungsvorstellungen aufgehoben waren. Die sechs bis acht noch nicht schulpflichtigen Kinder streiften bei schönem Wetter, meist nackt, mit einer erwachsenen Aufsichtsperson in den umliegenden Wäldern und Wiesen umher, spielten, turnten, bastelten, tanzten, sangen, sammelten Beeren, Pilze, Blätter, Steine, kleine Hölzer etc., badeten am seichten Flußufer, balancierten über Baumstämme oder ruhten sich einfach nur auf einer blumenreichen Wiese aus... Besonders gerne buddelten und bauten die Kleinen im feuchten Waldboden, dabei entstanden äußerst phantasievolle Gebilde... Das Licht-, Luft- und moderate Sonnenbaden im Wald, auf einer Wiese oder unter dem Laubdach eines Baumriesen gehörte ebenso zum Naturalltag wie die Beobachtung der Licht- und Schattenspiele zwischen den Baumkronen... Die Beköstigung der Kinder erfolgte nach vegetarischen Ernährungsformen, bestehend aus überwiegend pflanzlichen Lebensmitteln wie Getreide, Gemüse, Obst, Hülsenfrüchte, Nüsse und Samen, aber auch aus Eiern und Milch, wenn möglich aus eigener Erzeugung“ (15). Historisch gesehen wurde in der Landkommune „Humanitas“ das erste Samenkorn der „modernen“ Wald-/Naturkindergartenbewegung gelegt.
Im Gefolge der zunehmenden Industrialisierung entstand gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Freiluft-/Waldpädagogik, verbunden mit der Gründung von Ferienerholungsstätten für die Stadtkinder in ländlicher Natur. Initiator dieser Bewegung, mit weltweitem Einfluss, war der Züricher reformierte Theologe und Sozialreformer Walter Bion, welcher im Jahre 1876 im Kanton Appenzell die erste Ferienkolonie für den zweiwöchigen Aufenthalt von 68 Großstadtkindern (zwischen 9 und 12 Jahren) ins Leben rief. Die sozial-/heilpädagogische Einrichtung, mit direktem Zugang zu Natur und frischer Landluft, beabsichtigte „von vornherein gesundheitliche und erzieherische Zwecke“ (16). Diesem Vorbild folgend, nahm im Jahre 1875 der „Wohlthätige Schulverein zu Hamburg“ seine Arbeit für die Schuljugend auf und am 21. Februar 1879 konstituierte sich der „Stuttgarter Verein für Ferienkolonien“. Die beiden Interessenverbände betrieben Erholungsstätten, in denen Kinder, die an und für sich körperlich gesund, aber durch das Großstadtleben und ein ungünstiges häusliches Milieu geschädigt sind, in einer drei- bis vierwöchigen Ferienzeit Ruhe und Erholung finden. In ländlicher „Stille und Einsamkeit, durch „Loslösung von häuslichem Jammer und Unfrieden kommen sie [die Kinder; M. B.] durch gute Verpflegung und frische Luft zur körperlichen und seelischen Kräftigung... Die Anstalten dienen nicht nur der physischen und psychischen Erholung, ebenso der Emendation von Erziehungsdefiziten...1901 gab es im Deutschen Reiche bereits an die 185 Vereine für Ferienkolonien“ (17). Prinzessin Viktoria von Baden, die 1881 Kronprinz Gustav von Schweden und Norwegen heiratete, nahm die Idee der Ferienkolonien in ihre neue Heimat mit. Sie rief 1885 den „Verein für Schulferienkolonien“ ins Leben, der „die defizitäre Lebenssituation von Stadtkindern in der Beschaulichkeit und Zurückgezogenheit der Natur verbessern sollte... Schließlich entstand 1892 mit ‚Friluftsframjandet‘ eine Organisation, die ganzjährig Aktivitäten im naturpädagogischen Bereich für alle Altersstufen anbietet“(18).

Die Wald-/Freilufterziehung reichte weit über die Gründung von Schulen hinaus. In ihr laufen die ab Ende des 19. Jahrhunderts entstehenden Bestrebungen, Schulgärten, Jugendherbergen, Schullandheime sowie Landerziehungsheime zu errichten, zusammen. Gerade für letztgenannte Institutionen hatte der Aufenthalt in der Natur und im Freien (u.a. durch Garten- und Ackerbau), die Wanderungen und fakultativen Reisen, neben der obligatorischen Wissensvermittlung (die oft im Freien erfolgte), eine exzeptionelle pädagogische Qualität (21).
- Zuletzt bearbeitet am: Freitag, 30. Juni 2017 08:28 by Karsten Herrmann