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Kinder (1) im Kontext von häuslicher Gewalt

Inhaltsverzeichnis

  1. Gewalt in Geschlechter- und Generationenverhältnissen
  2. Häusliche Gewalt und Kindeswohl (8)
  3. Häusliche Gewalt und die Entwicklungsrisiken für Kinder und Jugendliche
  4. Frauenhäuser als vorübergehende Schutz- und Unterstützungsorte
  5. Häusliche Gewalt und die Bedeutung von Kindertagesstätten
  6. Ressourcen stärken und Resilienz durch Partizipation befördern
  7. Fazit und Ausblick
  8. Anmerkungen
  9. Literatur

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Häusliche Gewalt und Kindeswohl (8)

Häusliche Gewalt bezeichnet Gewaltstraftaten zwischen Personen, die in einer partnerschaftlichen Beziehung leben, die entweder noch besteht, sich in Auflösung befindet oder bereits aufgelöst ist (unabhängig vom Tatort, auch ohne gemeinsamen Wohnsitz) oder die (mit gemeinsamen Wohnsitz) in einem Angehörigenverhältnis zueinander stehen, soweit es sich nicht um Straftaten ausschließlich zum Nachteil von Kindern handelt (vgl. Ministerium für Inneres, Familie, Frauen und Sport des Saarlandes 2005). Dieses Gewalthandeln kann sowohl als systemisch-interaktionistisch und kontextabhängiges dynamisches Geschehen als auch als geschlechtsspezifische Form männlicher Lebensbewältigung (vgl. Böhnisch/Winter 1993; Gause/Schlottau 2002), die mit der Abwertung des und der Herrschaft über das andere Geschlecht einhergehen kann, beschrieben werden. Häusliche Gewalt wird vor allem durch ein systematisches Dominanz- und Kontrollverhalten begünstigt und selten als spontane Einzeltat verübt. Sie entsteht in mehr oder minder stabilen sozialen (Liebes-)Beziehungen, die durch ein Machtungleichgewicht gekennzeichnet sind und tritt in Zyklen auf (vgl. Walker 1979), weshalb Wiederholungsgefahr besteht (vgl. Henschel 2019, S. 27 f.).

Häusliche Gewalt (Domestic Violence) wird gemäß dieser Definition also als Partnerschaftsgewalt verstanden, auch wenn sich in der Literatur hierzu weitere Begrifflichkeiten verzeichnen lassen, wie z. B. der Begriff Familiengewalt oder auch Gewalt im sozialen Nahraum. Mitunter werden unter dem Begriff der häuslichen Gewalt auch unterschiedliche Formen der Kindeswohlgefährdung erfasst. Die Autorin erachtet es jedoch aus analytischen Erwägungen und aufgrund von unterschiedlichen Auffassungen innerhalb der Kinderschutzdebatten als hilfreich, häusliche Gewalt nicht von vornherein mit Kindesmisshandlung oder Kindesvernachlässigung gleichzusetzen. Auch wenn es bei dem Phänomen der häuslichen Gewalt um die gleichberechtigten Ansprüche von Gerechtigkeit und Hilfe für Frauen und ihre Kinder geht, auf die der Staat und das Gemeinwesen durch abgestimmtes, zeitnahes Vorgehen, durch Rechtsmittel und Sanktionen, aber auch durch Stärkung und Bereitstellung von Ressourcen für die von Gewalt Betroffenen reagieren muss, um den Opfern Schutz und Sicherheit zu gewährleisten (vgl. Stövesand 2007), so ermöglicht ein differenzierter Blick auf das Phänomen hinsichtlich Präventions- und Interventionsangeboten auch unterschiedliche Zugänge.

Die Istanbul-Konvention (2011) (9) adressiert nicht nur Frauen, die von Partnerschaftsgewalt betroffen sind, sondern stärkt auch den Schutz von Kindern vor allen Formen von Gewalt, indem sie anerkennt, dass Kinder immer Opfer häuslicher Gewalt sind, auch als Zeuginnen und Zeugen von Gewalt in der Familie. Der Artikel 26 (Schutz und Unterstützung für Zeuginnen und Zeugen, die Kinder sind) erfordert daher die Bereitstellung von Schutz- und Hilfsdiensten für Opfer unter der Beachtung der Rechte und Bedürfnisse von Kindern. Auch der Artikel 13 (Bewusstseinsbildung) weist darauf hin, dass Programme und Kampagnen zur Bewusstseinsbildung gegen Formen von Gewalt sowie ihre Auswirkungen auf Kinder notwendig sind, um die Gewalt zu verhindern. Artikel 23 (Schutzunterkünfte) erfordert die Einrichtung von geeigneten, leicht zugänglichen Schutzunterkünften in ausreichender Zahl, um Frauen und ihren Kindern eine sichere Unterkunft zur Verfügung zu stellen. In Bezug auf Sorge- und Umgangsrechtsregelungen und somit auch hinsichtlich des Kindeswohls erweist sich Artikel 31 (Sorgerecht, Besuchsrecht, Sicherheit) als hilfreich und unterstützend, da er dazu auffordert, gewalttätige Vorfälle bei Entscheidungen über das Besuchs- und Sorgerecht zu berücksichtigen. Als besonders bedeutsam erweist sich der Artikel 56 (Schutzmaßnahmen), durch den besondere Schutzmaßnahmen unter Berücksichtigung des Wohls des Kindes bei Zeugenschaft von häuslicher Gewalt zu etablieren sind. Dies ist deshalb wichtig, weil bis heute nur unzureichend berücksichtigt wird, dass allein die Zeugenschaft von Partnerschaftsgewalt bereits als Kindeswohlgefährdung zu verstehen ist.



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