Vertrauen fördert Bildung. Familie als Bildungsort
Famile und Kita sind Orte der Bildung
Heute ist es selbstverständlich, dass Kinder ab drei Jahren eine Kita besuchen. Kita und Familie sind aufeinander angewiesen. Daniela Kobelt Neuhaus erklärt im Interview mit Kerstin Trüdinger von "Meine Kita", warum nur ein vertrautes Miteinander die Entwicklung der Kinder stärkt.
- Die Kita ist als wichtiger Bildungsort anerkannt. Wie sieht es mit der Familie aus?
- Denken Sie, dass sich die Familien ihres Einflusses als wichtigster Bildungsort für die Kinder bewusst sind?
Es gibt Familien, die sich dessen sehr bewusst sind und sich große Mühe geben, in die Bildung ihrer Kinder zu investieren. Und es gibt Familien, die stolpern ins Elternsein hinein und werden durch den Alltag getrieben. Dass sie zudem noch Bildungsort sein könnten, sehen sie nicht. Das sind oft belastete Familien, die sich selbst kaum durchbringen.
- Wie könnte man diese Familien unterstützen?
Für sie braucht es viel mehr Engagement. In Hessen bauen wir mit Unterstützung des Landes gerade flächendeckend 99 Willkommensorte auf. Sie sollen Gelegenheiten schaffen, dass die Fachkräfte mit den Eltern ins Gespräch kommen, zum Beispiel beim Kaffeetrinken. Dabei kann man viel bewusst machen und den Blick der Elternauf die Entwicklung der Kinder lenken. Deutlich machen, wie toll es ist, wenn Kinder sich entwickeln: „Ist Ihnen aufgefallen, was Ihr Kind da gerade tut? Das kann der schon!“ Solche Orte des Willkommens bräuchte es noch viel mehr.
- Was unterscheidet eigentlich die Kita als Bildungsort von der Familie als Bildungsort?
Die Kinder wachsen in der Familie in einem bestimmten traditionellen, kulturellen Geschehen auf, während es in der Institution klare Zielsetzungen wie ein Konzept und ein Leitbild gibt. In der Kita gibt es eine kompromisshafte Übereinkunft, welche Regeln gelten. In der Familie steht nicht Kenntniserwerb im Vordergrund, hier ist Bildung in erster Linie Kompetenzentwicklung. Zu lernen, wie man isst, sich anzieht, auf die Straße geht, also handlungsbetonte, praktische Bildung. Und die emotionale Stärkung der Kinder ist hier bedeutsam.
- Und in der Kita?
Dort spielen die Peergroups eine große Rolle. Die Kinder müssen sich untereinander verständigen und haben dadurch die Chance, neue Blickwinkel zu erwerben.
- Welchen Stellenwert hat die Familie?
Betrachtet man den hessischen oder den bayerischen Bildungsplan, hat sie einen wichtigen Stellenwert. Die Familie ist Bildungsort. Denn alle primären Kenntnisse, wie zum Beispiel Verhaltensweisen oder Moralvorstellungen, erwirbt man in der Familie.
- Wie sieht es in den Bildungsplänen der anderen Länder aus?
Die meisten beziehen sich auf die Zeit ab dem ersten Kita-Jahr. Dort wird die Familie weitestgehend ausgeblendet. Sie haben die Familie zwar im Blick und betonen, dass die Zusammenarbeit mit Eltern wichtig ist. Aber sie beschreiben die Familie nicht als Bildungsort.
- Ist das in Ihren Augen ein Defizit?
Absolut. Für mich ist Familie ein zentraler Bildungsort. Dies ist auch der Ansatz der Karl Kübel Stiftung. Wir versuchen, Eltern mit Beginn der Schwangerschaft zu stärken und zu begleiten. Denn wenn wir nicht die Eltern befähigen, ihre Kinder gut in dieser Welt zu empfangen und sie gut zu begleiten, werden die wertvollsten Jahre der Gehirnentwicklung verpasst.
- Warum ist es wichtig, dass Kita und Familie zusammenarbeiten?
Das größte Vertrauensverhältnis haben Kinder zunächst zu ihren Eltern. Je mehr sie sehen, dass ihre Eltern gemocht werden und sie eine gute Beziehung zu den Erzieherinnen und Erziehern haben, desto leichter kann sich ein Kind auf die Kita einlassen. Dann hat es das Gefühl: Es ist in Ordnung hier. Hier darf ich sein und meine Mama findet es auch gut. Alles, was dem Kind gut tut und es seelisch stärkt, fördert die Bildung. Denn Kinder bilden sich dort unbeschwert, wo es ihnen gut geht. Je mehr sich Eltern und Fachkräfte vertrauen, desto mehr kann man voneinander profitieren – zum Wohl des Kindes.
- Können Sie ein Beispiel nennen?
Jedes Kind hat ein bestimmtes Einschlafritual. Erzählt die Mutter der Erzieherin, wie ihr Kind am leichtesten zu Bett zu bringen ist, kann die Erzieherin davon profitieren. Umgekehrt erleben Fachkräfte Kinder in anderen Situationen, zum Beispiel im Spiel mit unterschiedlichen Kindern und können den Eltern davon berichten. Sie sehen, wo die Interessen ihres Kindes liegen und könnte diese Entwicklung zu Hause weiter unterstützen. Das Miteinander stärkt die Bildungsgeschwindigkeit der Kinder.
- Wie entsteht eine gute Bildungspartnerschaft?
Man muss zusammenkommen – ohne Kontakt gibt es keine Partnerschaft. Es geht um Transparenz, also dass man von sich und dem Geschehen erzählt, die Neugierde des Partners stärkt und begleitet. Es geht um Wertschätzung und Respekt für das, was die Einzelnen tun. Die Fachkraft ist dabei diejenige, die das steuert. Je freundlicher sie mit den Eltern ist, je respektvoller sie die Kompetenzen der Eltern würdigt – auch wenn sie anderer Meinung ist –, desto leichter fällt es einer Mutter sich einzubringen und zu öffnen. Was besonders wichtig ist bei Familien aus anderen Kulturen. Da ist man leicht versucht, weniger Kontakt aufzunehmen, weil die Verständigung schwieriger ist. Ich erlebe oft in Kitas, dass Frauen und Männer, die nicht Deutsch können, sehr viel kürzere Tür- und Angelgespräche bekommen als Eltern, die Deutsch sprechen und die man vielleicht aus dem Turnverein kennt.
- Wie kann man hier gegensteuern?
Es ist wichtig, dass sich Erzieher bewusst sind, dass sie sich besonders um diese Familien kümmern und Verständigungsmöglichkeiten schaffen müssen. Manchmal braucht es hierfür Dolmetscher. Das sollten jedoch nicht die Kinder sein, sondern Erwachsene. Man kann sich einzelne Wörter in der Sprache der Kinder aufschreiben, um den Kindern zu zeigen: Ich bemühe mich, euch zu verstehen. Eure Sprache ist eine schöne Sprache, aber ich kann sie leider nicht. Das macht die Wertschätzung deutlich.
- Wie steht es eigentlich um die Wertschätzung der Kita als Bildungsort in der gesellschaftlichen Wahrnehmung?
Es wird wertgeschätzt und akzeptiert, dass Kinder immer früher in öffentliche Einrichtungen gehen, weil viele Familien auf den Zweitverdienst angewiesen sind oder beide Partner ihre Karriere verfolgen wollen. Heute ist es selbstverständlich, dass ein Kind in eine Kita geht. Durchschnittlich 94 Prozent der Familien bringen ihr Kind in eine Kita. Das finde ich richtig so. Das heißt aber auch, dass die Qualität der Zusammenarbeit mit den Eltern sehr gut sein muss und man die familiäre Bindung in die Kita mit reinholt.
- Wie sieht die Bildungspartnerschaft in anderen Ländern aus?
Das ist sehr unterschiedlich. Länder wie Finnland oder Schweden sind uns ein paar Schritte voraus. Hier sind Eltern viel selbstverständlicher in die Kitas eingebunden. In Frankreich ist die Kita ab der École maternelle mit drei Jahren sehr verschult. Eltern kommen wie in der Schule zu Elternsprechtagen, sind aber ansonsten nicht in den Kita-Alltag eingebunden. Dafür gehen fast alle Kinder unter drei Jahren in die Crèche, in die Krippe. Die Bindung zu der Bezugserzieherin ist eng und die Kinder genießen einen intensiven Schutz. Da kann sich Deutschland etwas abschauen. In England gibt es die sogenannten Early Excellence Center. Die sind sehr offen und integrieren viele andere Dienstleistungen. U-Untersuchungen finden in der Kita statt, aber auch Trainings und Kochkurse für Eltern. Der Knotenpunkt für die Familie ist in diesen Zentren. In Deutschland versuchen wir, so etwas mit den Familienzentren sukzessive aufzubauen.
Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus Meine KiTa, 3/2017, S. 4-7
Daniela Kobelt Neuhaus ist auch Mitautorin des Elternleitfadens: Qualität der Zusammenarbeit mit Eltern. Ein Leitfaden für den frühpädagogischen Bereich, den Sie hier downloaden können.
- Zuletzt bearbeitet am: Mittwoch, 04. Oktober 2017 14:49 by Meike Sauerhering