Das professionelle Selbstverständnis frühpädagogischer Fachkräfte

Inhaltsverzeichnis

  1. Rahmenbedingungen und professionelle Haltung
  2. Drei grundlegende Orientierungen
  3. Fazit

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Rahmenbedingungen und professionelle Haltung

Strukturelle Rahmenbedingungen stellen zweifelsfrei einen ganz wesentlichen Einflussfaktor im Hinblick auf die pädagogische Qualität in den Einrichtungen dar. Aber es leben und arbeiten immer Menschen in bestimmten Rahmenbedingungen – hier kommt also die personale Dimension ‚qualitätsvoller‘ professioneller Praxis ins Spiel. Die bzw. eine Art und Weise, wie Teams und Fachkräfte mit den aktuellen Anforderungen umgehen, gibt es nicht. Der Prozess der praktischen Herstellung von pädagogischer Qualität ist ganz wesentlich von der professionellen Haltung der Fachkräfte bestimmt.

Diese erleben es vielfach als Zumutung, dass sie mit der Aufgabe des „Krisenmanagements“, wie sie es selbst nennen, allein gelassen werden. Die Grenzen der eigenen zeitlichen, psychischen und körperlichen Belastbarkeit werden aus ihrer Perspektive sehr oft überschritten. Alle befragten Teams zeichnen sich dabei durch ein hohes Verantwortungsbewusstsein gegenüber den Kindern und ihrem Wohlergehen aus – man könnte dies insgesamt auch als (fatale) „Verausgabungsneigung“ (Siegrist & Dragano 2008) bezeichnen.

Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass die Fachkräfte generell mehr Anerkennung und Wertschätzung erhoffen – dies dokumentiert sich in unterschiedlichen Wünschen: Sie wünschen sich etwa mehr Zeit für die mittelbare pädagogische Arbeit, für die Vor- und Nachbereitung. Sie wünschen sich auch mehr Zeit, um die Zusammenarbeit mit Familien wirklich im Sinne einer Partnerschaft gestalten zu können. Und natürlich wünschen sich viele auch eine bessere und ihrer Verantwortung angemessene Bezahlung.

Letztlich lassen sich alle diese Wünsche darauf zurückführen, dass die Fachkräfte professionell arbeiten sollen und möchten, sich aber nicht als Angehörige einer Profession behandelt fühlen – weder fühlen sie sich angemessen bezahlt, noch gesellschaftlich wertgeschätzt, noch in ihrer professionellen Handlungsautonomautonom|||||Autonomes Handeln beinhaltet den Zustand der Selbstständigkeit, Unabhängigkeit Selbstbestimmung, Selbstverwaltung oder Entscheidungsfreiheit.ie und Eigenverantwortung gefördert.

 

Die Kita als Bildungsort

Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass die Fachkräfte ihre eigene elementarpädagogische Perspektive sehr stark an dem ausrichten, was ihrer Meinung nach Schule und damit verbunden auch Eltern von der Kita erwarten – Kita wird zunehmend als Bildungs- und schulvorbereitende Institution wahrgenommen, die Kinder möglichst fit und ‚schulkompatibel‘ in die Schule übergeben soll. Auch wenn die Fachkräfte zum Teil durchaus selbstbewusst ein Bildungsverständnis vertreten, das sich von dem der Schule unterscheidet, wenn sie den Eigenwert der Kita als Beziehungs- und Bildungsort für alle Kinder, in all ihrer Unterschiedlichkeit stark machen, arbeiten sie sich doch immer wieder an dem ab, was sie für die Messlatte von Schule und Lehrer_innen halten. Deutlich wird hier ein noch nicht hinreichend gefestigtes professionelles Selbstverständnis und Selbstbewusstsein.

 

Der fachliche Austausch und was ihn behindert

Generell sind Fachkräfte der Meinung, dass die Zeit für den fachlich-kollegialen Austausch viel zu gering ist. Es geht ihnen dabei nicht nur um ein Mehr an Zeit für (organisatorische) Absprachen im Team, sondern vielmehr um eine andere Qualität, um einen fachlich-inhaltlich ausgerichteten Austausch und die Bearbeitung grundsätzlicher pädagogischer Fragen.

Eine die Teamarbeit ganz wesentlich erschwerende Bedingung ist offenbar eine hohe Personalfluktuation. Immer wieder müssen sich Teams neu zusammenfinden. Die fehlende Kontinuität in der pädagogischen Arbeit erschwert die Entwicklung und Festigung gemeinsam getragener handlungsleitender Orientierungen. Einem Team fehlt dann die zentrale Basis für eine von allen getragene Organisationskultur, die das Spezifische einer Einrichtung ausmacht und eben nicht ‚beliebig‘ bzw. je nach momentaner Zusammensetzung des Teams ‚zufällig‘ ist.

 

Erwartungen an die Leitung

Generell ließ sich auch eine hohe Erwartungshaltung der Fachkräfte gegenüber ihren Leitungen rekonstruieren: Diese sind die entscheidenden Schnittstellen zum Träger und werden als Interessenvertreter_innen ihrer Teams betrachtet. Die Handlungsspielräume der Leitung werden dabei zum Teil überschätzt, die Leiter_innen selbst sind mit der hohen Aufgabenkomplexität und einem professionellen Multitasking oft überlastet bzw. überfordert, haben viel zu wenig Zeit für die pädagogische Leitung und die fachliche Begleitung und Beratung ihres Teams.

Wenn Teams in ihrer Arbeit Partizipations- und Gestaltungsmöglichkeiten haben und dafür von der Leitung (und dem Träger) Anerkennung erfahren, wenn in einer Einrichtung eine diskursive, auch Unterschiede wertschätzende Kooperation im Team realisiert werden kann und es Freiräume für die Entwicklung und Umsetzung eines eigenen Profils gibt, dann erwies sich dies als beste Grundlage für einen reflektiert-kritischen, fachlich gut begründeten Umgang mit den Bildungsprogrammen, der nicht ‚Arbeit nach Plan‘ ist, sondern sich an den Bedarfen und Bedürfnissen der Kinder und Familien vor Ort und auch der Fachkräfte selbst orientiert.

Die Leitung hat dabei eine zentrale, idealerweise eine offene, fragende und zugleich teamführende Haltung.

„Sie verlässt sich einfach auch auf uns, weil sie dann auch sagt, ich war in der Situation schon so lang nicht mehr dabei, Mensch, sagt mir mal, wo hängt es denn da, oder wo ist da grad der Haken? Sie hört uns dann auch, also was diesen pädagogischen Alltag angeht, fragt sie dann erst mal nach, und macht nicht irgendwas über unseren Kopf hinweg (…)“.

 

Herausforderungen durch DiversitätDiversität|||||siehe Diversity und Multiprofessionalität

Diversität bzw. Multiprofessionalität im Team wird immer als etwas wahrgenommen, zu dem man sich ins Verhältnis setzen muss. Ein Team muss sozusagen für sich einen Umgang damit finden – sei dieser nun Diversität anerkennend oder aber ignorierend. Hier erweist sich die Professionalität einer pädagogischen Leitung als besonders zentral:

In den Teams, deren Leitungen den offenen und manchmal auch kontroversen DiskursDiskurs|||||Der Begriff Diskurs kann verschiedene Bedeutungen haben, wurde ursprünglich jedoch als  „hin und her gehendes Gespräch“ verwendet. Weitere Bedeutungen sind: theoretische Erörterung, systematische, methodische Abhandlung, gesellschaftliche Auseinandersetzung, Erörterung. Sinnverwandt sind auch Debatte, Diskussion, Disput.  über Unterschiedlichkeit im Team anregen, dies als Bereicherung grundlegend positiv rahmen und die gemeinsame fachliche Reflexion unterstützen, kann Diversität im Team als fachlich-professionelle Herausforderung und Bereicherung erlebt werden.

In den Teams, in denen die Leitung die Verschiedenheit der Arbeitsweisen und Perspektiven der Kolleg_innen nicht anerkennt und nicht unterstützt, ein gutes Teamklima eher rituell beschworen und der inhaltliche Diskurs über pädagogische Fragen von der Leitung nicht forciert wird, betonen Fachkräfte zwar häufig, dass sich alle im Team persönlich sehr gut verstehen und zufrieden sind, ein Diskurs über kontroverse fachliche Perspektiven wird aber eher nicht geführt. Neue Kolleg_innen, besonders diejenigen, die ihre hoch- oder fachschulische Ausbildung gerade beendet haben, werden als ‚Störungen‘ wahrgenommen und zum Teil offen gemaßregelt und exkludiert – sie haben wenig Chancen mit ihren neuen Ideen in der Praxis Fuß zu fassen.

„In letzter Zeit haben wir auch keine Neuen dazu gekriegt, in dem Sinne war im Prinzip kein Störfaktor da - ja genau, der Neue ist der Störfaktor.“

 



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