Zugang zur Krippenbetreuung hindernisreich

Eltern mit Migrationshintergrund und bildungsferne Eltern müssen besonders hohe Hindernisse überwinden

Inhaltsverzeichnis

  1. Infografik
  2. Empfehlungen

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Eltern mit Migrationshintergrund und bildungsferne Eltern stehen vor besonders hohen Hürden, wenn sie einen Krippenplatz für ihr Kind suchen. Viele wollen ihr Kleinkind in die Krippe geben, können aber die Zugangshürden nicht überwinden. Eltern mit geringer Schulbildung – mit und ohne Migrationshintergrund – erhalten häufig gar keinen Betreuungsplatz. Als Hürde nennen Eltern mit Migrationshintergrund vor allem die mangelnde interkulturelle Öffnung der Einrichtungen und die aus ihrer Sicht geringe Qualität der Betreuung.

„Bildung der Eltern wirkt sich massiv auf die Startchancen von Kindern aus“

Eine Untersuchung des Sachverständigenrates Deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR), die in Kooperation mit der Vodafone Stiftung Deutschland entstanden ist, stellt große Unterschiede zwischen der ersten und zweiten Zuwanderergeneration fest: während die erste Generation ein- und zweijährige Kinder überwiegend zuhause betreut, entscheidet sich die zweite Generation fast genauso häufig für eine Betreuung in der Krippe wie Eltern ohne Migrationshintergrund. Fast die Hälfte (48,6 %) der Familien der zweiten Generation und der binationalen Familien nutzt einen Krippenplatz für ihre Kleinkinder, wenn ein Elternteil Abitur hat. Bei den Familien ohne Migrationshintergrund sind es 51,3 Prozent. “Ob sich Eltern mit Migrationshintergrund für eine Kindertagesbetreuung entscheiden, hängt maßgeblich von ihrem Bildungsstatus ab”, sagte Dr. Jan Schneider, Leiter des Forschungsbereichs beim SVR. “Damit zeigt sich bei der Kindertagesbetreuung das gleiche Muster wie im Schulbereich: die Bildung der Eltern wirkt sich massiv auf die Startchancen von Kindern aus.”

Für den unten zum Download breit gestellten Policy-Brief mit den detaillierten Ergebnissen wurden die Antworten von 1.875 Eltern mit und ohne Migrationshintergrund ausgewertet, die im Rahmen der Studie “Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten” (AID:A) des Deutschen Jugendinstituts (DJI) befragt wurden. Die Ergebnisse des SVR-Forschungsbereichs, die auf eigenen Berechnungen beruhen, sind repräsentativ.

Qualität der Krippen wird in Zweifel gezogen

Familien mit Migrationshintergrund stehen je nach Zuwanderergeneration und Bildungsstatus vor unterschiedlichen Zugangshürden. Eltern der ersten Generation nennen die als gering wahrgenommene Qualität als Hürde. Erste und zweite Generation geben an, dass sie ihr Kind in die Krippe geben würden, wenn es besser auf die Schule vorbereitet würde. Gewünscht wird auch eine stärkere Berücksichtigung von Kultur oder Religion. Die Kosten spielen für Eltern mit Migrationshintergrund sogar eine geringere Rolle als für Eltern der Mehrheitsgesellschaft. Niedrig gebildete Eltern geben u.a. die Kosten und weite Wege zur Kita als Hindernis an. Unabhängig von Migrationshintergrund und Bildungsstatus äußern Eltern den Wunsch nach einer engeren Zusammenarbeit der Kindertageseinrichtungen mit den Eltern.

Keine echte Wahlfreiheit aufgrund der Hürden

Der SVR-Forschungsbereich kommt zu dem Schluss, dass Eltern angesichts der zahlreichen Zugangshürden häufig keine echte Wahl zwischen den Betreuungsalternativen ‚Erziehung zuhause‘ und ‚Krippenplatz‘ haben. Mit dieser Wahlfreiheit hat die Bundesregierung die Einführung des Betreuungsgeldes zum 1. August 2013 begründet. Nun ist zu befürchten, dass die Anreize für eine ausschließliche Erziehung zuhause durch das Betreuungsgeld verstärkt werden. Denn über ein Drittel der Eltern (36,9 %), die ihr Kind zuhause erziehen, werden von den Kosten der Kinderbetreuung abgeschreckt – und dies trifft insbesondere für Familien mit niedrigem Bildungsniveau zu. “Es spricht vieles dafür, dass sich diese Eltern in Abwägung von Kosten und Nutzen noch eher für eine Betreuung ihres Kindes zuhause entscheiden”, sagte Dr. Jan Schneider.

“Solange die Zugangshürden zur Kindertagesbetreuung nicht beseitigt werden, gibt es keine echte Wahlfreiheit zwischen einem Krippenplatz und einer ausschließlichen Betreuung in der Familie”, sagte Schneider. Dabei profitieren gerade Kinder aus Zuwanderer- und bildungsfernen Familien besonders von dem Besuch einer Kindertageseinrichtung, z.B. beim Spracherwerb. “Deshalb muss alles daran gesetzt werden, Zugangshürden zur Kindertagesbetreuung abzubauen”, sagte Schneider. “Sonst wird diesen Kindern die Chance auf sozialen Aufstieg und gesellschaftliche Teilhabe verbaut.”

 

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Der SVR-Forschungsbereich empfiehlt folgende Maßnahmen für den Abbau der Zugangshürden zur Krippenbetreuung:


(1) Mehr Betreuungsplätze schaffen und Qualität der Betreuung sicherstellen Neben dem notwendigen Ausbau der Kinderbetreuungsplätze muss auch die Qualität der Betreuung verbessert werden. Damit sich Eltern ein besseres Bild von der Qualität der Kindertagesbetreuung machen können, sollte durch ein freiwilliges Gütesiegel mehr Transparenz geschaffen werden. Der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für unter Dreijährige erstreckt sich nicht auf einen Ganztagesplatz. Dies ist insbesondere für berufstätige Eltern unbefriedigend. Perspektivisch sollte ein einklagbarer Anspruch auf einen Ganztagesplatz geschaffen werden.

(2) Interkulturelle Öffnung und Kooperative Elternarbeit flächendeckend etablieren Die interkulturelle Öffnung der Kindertageseinrichtungen sollte vorangebracht und flächendeckend gesichert werden. Interkulturelle Kompetenzen sollten in den Lehrplan der Erzieherausbildung und -weiterbildung standardmäßig aufgenommen werden. Der Wunsch der Eltern nach einer besseren Einbindung in die Arbeit der Kindertageseinrichtungen sollte erfüllt werden. Bislang gibt es noch keine Verständigung auf einheitliche Standards für gute Elternarbeit. Viele Angebote haben nur Modellcharakter und sind zeitlich begrenzt. Bewährte Ansätze Kooperativer Elternarbeit sollten bundesweit als dauerhafte Angebote etabliert werden.

(3) Finanzielle Hürden senken: Krippenbetreuung kostenfrei gestalten Ergänzend zur Gebührenfreiheit für die letzten Kitajahre sollte ein Rechtsanspruch auf eine beitragsfreie Kindertagesbetreuung auch für Kinder unter drei Jahren angestrebt werden. Dies bietet Eltern einen Anreiz, ihr Kind frühzeitig institutionell fördern zu lassen. Statt Familien direkt durch Geldleistungen zu unterstützen, sollte die Krippenbetreuung perspektivisch kostenfrei gestaltet werden.

(4) Eltern unterstützen, die ihr Kind zuhause erziehen Eltern, die sich – bewusst oder notgedrungen – dafür entscheiden, ihr Kind zuhause zu betreuen, sind mit ihrer Erziehungsaufgabe weitgehend auf sich allein gestellt. Ihnen sollte verstärkt Unterstützung angeboten werden, indem sie über bestehende Angebote wie z.B. Familienzentren informiert werden.

Die Akteure in Bund, Ländern und Kommunen müssen mit aller Kraft daran arbeiten, Hürden abzubauen und Chancengleichheit beim Zugang zur Krippenbetreuung in den ersten drei Lebensjahren herzustellen.


Quelle: SVR-Pressemitteilung