Von der Integration zur Inklusion

Kinder mit Behinderungen in Krippe und KiTa

Inhaltsverzeichnis

  1. Organisationsformen der gemeinsamen Bildung, Betreuung und Erziehung
  2. Das Potenzial der Peergruppe
  3. Modell der integrativen Prozesse
  4. Literatur

Gesamten Beitrag zeigen

Mit dem inkrafttreten der UN-Konvention zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderung in der Bundesrepublik Deutschland am 26. März 2009 stehen Krippen und Kindergärten vor der Aufgabe, die Forderung nach einem inklusiven Bildungssystem in die pädagogische Praxis umzusetzen. Nicht mehr die Frage, ob ein Kind mit einer Behinderung aufgenommen werden kann, sondern vielmehr die Frage danach, wie sich eine Einrichtung verändern muss, um ein Kind mit seinen individuellen Bedürfnissen aufnehmen zu können, bestimmt das frühpädagogische Handeln. Mit dem Begriff der Inklusion verbindet sich in der Frühpädagogik somit der Gedanke, allen Kindern das gemeinsame Aufwachsen in einer Kindertageseinrichtung zu ermöglichen (vgl. Albers 2011).

Von keinem anderen Begriff geht innerhalb der frühpädagogischen Praxis derzeit so viel Dynamik aus wie von Inklusion. Die Ursprünge der aktuellen Diskussion gehen dabei auf die Integrationsbestrebungen der 1970er Jahre zurück, die sich zum Ziel gesetzt hatten, die gemeinsame Bildung von Kindern mit und ohne Behinderung in Kindergarten und Schule voranzutreiben. Im Unterschied zu der damals üblichen Praxis, Kinder mit Behinderung in dafür spezialisierten Sondereinrichtungen unterzubringen, waren es insbesondere Eltern, die auf die Umsetzung einer wohnortnahen, gemeinsamen Erziehung von Kindern mit und ohne Behinderung im pädagogischen Alltag von Regeleinrichtungen drängten.

Ein Meilenstein der theoretischen Auseinandersetzung mit der Integration von Kindern mit Behinderung kann in den Ergebnissen der Forschergruppe um Helmut Reiser gesehen werden, die in der Begleitung des Modellversuchs zur Integration von Kindern mit Behinderung in Frankfurt (vgl. Klein et al. 1987) Voraussetzungen für das Gelingen des gemeinsamen Aufwachsens auf verschiedenen Ebenen formuliert hat, die auch in jüngeren Positionen (Prengel 2010; Kron 2011) aufgegriffen werden und in der Diskussion um Inklusion von hoher Aktualität sind. Die soziale Integration eines Kindes wird im Verständnis von Reiser nicht allein dadurch gewährleistet, dass für das Kind ein Integrationsplatz in einer Regeleinrichtung bereitgestellt wird. Integration stellt vielmehr einen Prozess dar, der sich auf mehreren Ebenen vollzieht:
 
»Als integrativ im allgemeinsten Sinn bezeichnen wir diejenigen Prozesse, bei denen ›Einigungen‹ zwischen widersprüchlichen innerpsychischen Anteilen, gegensätzlichen Sichtweisen, interagierenden Personen und Personengruppen zustande kommen. Einigungen erfordern nicht einheitliche Interpretationen, Ziele und Vorgehensweisen, sondern vielmehr die Bereitschaft, die Positionen der jeweils anderen gelten zu lassen, ohne diese oder die eigene Person als Abweichung zu verstehen« (Klein et al. 1987, S. 38).

Nach dieser Definition von integrativen Prozessen reicht der Kontakt eines Kindes mit Behinderung zu Kindern ohne Behinderung allein nicht aus. Vielmehr müssen integrative Prozesse auf verschiedenen Ebenen ineinandergreifen, um gemeinsame Bildung, Betreuung und Erziehung ohne Aussonderung ermöglichen zu können (vgl. Kron 2006):

  • Auf der subjektiven, der innerpsychischen Ebene: Reflexion der eigenen Einstellung und Haltung gegenüber Andersartigkeit
  • Auf der interaktionellen Ebene: Herstellung von gemeinsamen Spielsituationen und Handlungen innerhalb der Peergruppe, aber auch die Zusammenarbeit im (multiprofessionellen) pädagogischen Team
  • Auf der institutionellen Ebene: Bereitstellung einer angemessenen Lernumgebung in der Kindertageseinrichtung, Öffnung gegenüber Familien, Fachdiensten und Stadtteil bzw. Kommune – Barrierefreiheit
  • Auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene: Positionierung gegenüber Diskriminierung, Öffentlichkeitsarbeit als bedeutsame Aufgaben einer inklusiven Kindertageseinrichtung.
 
Während Klemm (2011, S. 13) den Kindergärten mit einer »Inklusionsquote« (alle Kinder mit Behinderung, die in unterschiedlichen Organisationsformen zusammen mit Kindern ohne Behinderung einen Kindergarten besuchen) von 61,5 Prozent eine grundsätzlich inklusive Ausrichtung attestiert, besteht im Zuge des Ausbaus der Kindertagesbetreuung von Kindern im Altersbereich bis drei Jahre ebenfalls hoher Handlungsbedarf: Das Angebot an Plätzen für Kinder mit Behinderung reicht hier bei Weitem nicht aus, um den von Eltern formulierten Bedarf zu decken. Das Recht auf Bildung, wie es in den Bildungsplänen der Länder formuliert wird, darf jedoch keinem Kind verwehrt werden!

 


Verwandte Themen und Schlagworte