MINT: "Mathe ist das, was wir schon jeden Tag tun"
Interview mit Erzieherin Sylke Meyer zur Mathe-Mitmach-Ausstellung
Im Rahmen des MatheHerbstes rund um den Dümmer machte 2012 die Mathe-Mitmach-Ausstellung der Universität Vechta Station im Schäferhof Lemförde. Zwei Gruppen des Sprachheilkindergartens Lindenblüte aus Sulingen-Lindern besuchten die Wanderausstellung. Erzieherin Sylke Meyer und ihre Kolleginnen ließen sich von den angebotenen Aktionen - vom Konstruieren über Knobeln bis zum Wiegen - begeistern. Die Pädagoginnen konnten sich dort in die Lage der Kinder versetzen und sie in ruhiger Atomsphäre beim Experimentieren beobachten. Ob beim Tischdecken oder beim Waldspaziergang: Die Erzieherinnen suchen und finden seither mit den Kindern Mengen und Muster im Alltag.- Frau Meyer, wie kam es dazu, dass Ihr Kindergarten an der Mathe-Mitmach-Ausstellung teilgenommen hat?
Wir wollten uns allgemein für die Kinder engagieren und bei einer Initiative dabei sein. Das Thema Mathematik kam eher zufällig. Angefangen hat es damit, dass wir als erste KiTa im Landkreis Diepholz das Zertifikat „Haus der kleinen Forscher“ bekommen haben. Danach wurden wir zum Mathe-Entwicklungs-Workshop eingeladen und haben vom Projekt „Mats und Minna“ der Uni Vechta erfahren. Im Frühjahr 2012 waren wir dann mit einem Stand am Tag der kleinen Forscher in Bassum vertreten. Als wir dort von der Mathe-Mitmach-Ausstellung hörten, haben wir uns sofort angemeldet. Uns ist es wichtig, dass wir uns an Projekten beteiligen, die alltäglich und für die Kinder zum Anfassen sind. Das kommt gerade bei unseren Kindern mit Sprachförderbedarf sehr gut an.
- Welchen Eindruck hatten Sie und die Kolleginnen von der Ausstellung in Lemförde?
Wir fanden es dort sehr abwechslungsreich, sehr gut strukturiert und erinnern uns an die guten Rahmenbedingungen: Der Raum, die entspannte, ruhige Atmosphäre, die zeitliche Planung und die kinderfreundlichen Betreuerinnen, die auf Kinderhöhe runtergingen und langsam in kurzen Sätzen mit ihnen sprachen – das war optimal. Die zwei Stunden Zeit, die wir dort verbracht haben, ist nur so verflogen.
- Inwieweit haben die Kinder von der Ausstellung profitiert?
Wir haben jedes Kind frei herumgehen lassen. Es gab für jedes Alter und jede Entwicklungsstufe etwas zum Ausprobieren. Wer wollte, dem haben wir ein bisschen Hilfe angeboten. Am Ende hat jedes Kind das Experiment oder Spiel gefunden, das es lösen konnte. Manchmal hat es sich sogar richtig etwas getraut. Manchmal war das sogar mehr, als wir dem Kind zugetraut hätten.
- Gab es eine Sache oder einen Bereich, die die Kinder am meisten fasziniert hat?
Die Waage mit den Erbsen und der Sandhaufen waren vielleicht die Favoriten. Und an dem runden Tisch mit sechs Feldern und sechs Stühlen rundherum saßen die Kinder am längsten. Dort gab es Denk- und Legespiele oder Logikspiele zum Erkennen von Mustern und Regeln. Manche haben sich erst lange angeschaut, was der andere gegenüber macht. Als der dann aufgestanden ist, hat das Kind dann dasselbe selbst ausprobiert.
- Welche Anregungen haben Sie mitgenommen und nutzen Sie in Ihrer Einrichtung?
Jede Menge. Das Experiment mit Waage und Erbsen machen wir häufig – da sehen die Kinder, was mehr und weniger ist statt nur bis zehn zu zählen. Oder wir arbeiten mit Wasser und untersuchen, wie viele Erbsen, Steine oder aber Murmeln ein Gefäß mit Wasser zum Überlaufen bringen. Beim Backen füllen wir Tassen mit verschiedenen Zutaten ab, zählen die Anzahl und wiegen. Am Tisch bitten wir die Kinder, so viele Stühle wegzustellen wie Personen krank sind oder fehlen, um dann herauszufinden, wie viele Personen tatsächlich mitessen. Beim Waldspaziergang fragen wir die Kinder oder die Kinder fragen, ob links oder rechts mehr Kinder gehen. Die Seite mit der Mehrheit entscheidet dann, wo wir langgehen. Oder aber die Kinder wollen über einen Graben springen und schätzen die Entfernung ab. Zudem haben wir bei der Ausstellung mal wieder in Ruhe die Kinder beobachten können. Es wäre schön, wenn es regelmäßig eine solche Ausstellung gäbe.
- Was hat Mathematik für Sie und die Kolleginnen bedeutet, bevor Sie sich in Ihrer KiTa an den Projekten beteiligt und die Mathe-Ausstellung besucht haben?
Wenn wir von Mathematik gehört haben, war das immer verbunden mit „Oh Gott, Mathe ist gleich Schule“ und hat nicht unbedingt etwas mit Spaß zu tun. In der KiTa-Praxis bedeutete es Zählen, Würfelbilder und Rechnen. Mathe lief ganz gezielt ab nach dem Motto „heute zählen wir“ als Vorschulprogramm, bevor die Kinder im Sommer zur Schule kommen.
- Wie hat sich das nach der Beteiligung an der Mathe-Ausstellung geändert?
Dadurch ist mir bewusst geworden, dass Mathe mit Mengen anfängt. Der Begriff Mathe stört mich, es müsste in der KiTa eigentlich Mengenlehre heißen. Menge und Mathe sind zwei verschiedene Dinge, das eine baut auf dem anderen auf. Außerdem haben wir letztes Jahr eine neue Leitung in der KiTa bekommen, die HdkF auch vorher schon unterstützt hat und offen für ein Umdenken war. Unser Denken zu Mathe hat sich dadurch gedreht: Es ist eigentlich das, was wir schon tun. Mathe ist alltäglich und überall.
- Wie praktizieren Sie Mathe beziehungsweise Mengenlehre in Ihrer KiTa?
Frühkindliche Mengen- beziehungsweise mathematische Bildung bedeutet auch, sich mit Wochentagen, Jahreszeiten oder Monaten zu beschäftigen – was wir uns auch immer wieder in Erinnerung rufen. Außerdem reichen natürliche Materialien, verschieden große Förmchen, Kisten, Kartons, Verpackungsmaterial. Das wollen wir auch den Eltern bewusstmachen. Wir lassen diese Dinge einfach im Raum oder Garten stehen, die Kinder sollen selbst herangehen und ausprobieren. Wir greifen ihre Aussprüche auf, wenn sie zum Beispiel sagen „ich kann am weitesten werfen“. Dann nutzen wir Kastanien oder Eicheln, die wir draußen beim Spielen finden, und die Kinder probieren aus. Das entspricht dem Ansatz des Haus der kleinen Forscher. Und bei uns dürfen auch Missgeschicke passieren! Daraus lernen die Kinder am meisten. Sie fragen dann und staunen und sprechen darüber, warum etwas nicht geklappt hat. Wenn immer alles klappen würde, hinterfragt man nicht. Man verlernt, Dinge zu versuchen.
- Wo sehen Sie die Grenzen der frühen mathematischen Bildung in der KiTa?
Es muss noch klarer werden, dass das Erkennen von Mengen und Mustern sowie Regeln erst einmal beim Kind entwickelt sein muss, um überhaupt an Mathe zu denken. Darauf sollte in der frühen mathematischen Bildung noch mehr geachtet werden - und nicht nur darauf , ob ein Kind "gelernt" hat, bis 10 zu zählen. Es muss verstanden haben, was die Menge 10 überhaupt ist. Außerdem haben wir in unseren Projekten gemerkt, dass zu viele Experimente nichts bringen. Es bewirkt mehr, Experimente zu wiederholen und die Kinder stark mit einzubinden. Die, die kognitiv am weitesten sind, lassen wir zuerst experimentieren. Sie sind dann die Experten für die anderen. Bei der Mathe-Ausstellung haben auch wir Erzieherinnen unsere Grenzen kennengelernt und sind bei manchen Aufgaben zu keiner Lösung gekommen. Daran erinnern wir uns nun, wenn wir Erwachsenen von den Kindern manchmal (zu) viel verlangen.
Kontakt: Die Mathe-Mitmach-Ausstellung wird gerne an KiTas verliehen.
Claudia Gerken
E-Mail Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Telefon 05434 - 923332
Bauen und Konstruieren (Raum und Form) – Polydron-Material, Leonardo-Brücke, Stühle zum Stapeln, Schattenstadt mit Holzbauklötzen, Steckwürfel, Einheitswürfel aus Holz mit Schatten im Karton Schätzen, Messen, Vergleichen (Größen und Messen) – Balkenwaagen (3), digitale Küchenwaage, unterschiedliche Messzylinder, geometrische Füllkörper, eine große Menge an Reis, Erbsen und Steinen, große Wannen, Montessori-Einsatzzylinder Probieren und Kombinieren (Schlussfolgerndes Denken) – Spiele: Rush Hour Jr., Camelot Jr., Prinz und Drache, Safari, Tantrix, Logeo, Turm von Hanoi, Soduko Junior (Nach-)Bauen, (Nach-)Legen, (Um-)Spannen (Muster und Strukturen) – Spiele: Winkelplättchen, Zwölferpuzzle, Tangram, Ubongo, Nikitin-Würfel, Tag-und Nachti, Spiegel-Tangram, Spiegelbuch, Potz Klotz, Soma Würfel, Umspannwerk Staunen und Verstehen (Mathematische Phänomene) – Seifenhauttisch, Spiegeltisch, Farbige Schatten, Zahnräder
Hintergrund-Info
(von Gabriele Grieshop, Universität Vechta)
Mitmach-Bereiche, Mitmach-Mathematik und Mitmach-Materialien:
- Zuletzt bearbeitet am: Donnerstag, 03. Juli 2014 15:26 by Somebody