Sprachbildung in Corona-Zeiten

Auswirkungen von pandemiebedingten Kita-Schließungen auf Sprachentwicklung von Kindern und Sprachförderung in Kitas


Die Förderung der sprachlichen Entwicklung von Kindern in den ersten Lebensjahren wird als „zentraler Auftrag“ von Kindertageseinrichtungen (Kitas) gesehen (Niedersächsisches Kultusministerium 2018, S. 20), der seit 2018 auch gesetzlich verankert ist. Einschränkungen des Betriebs von Kitas aufgrund der Corona-Pandemie hatten zur Folge, dass viele Kinder ihre Kita längere Zeit nicht besuchen konnten und der pädagogische Alltag durch Hygienemaßnahmen stark beeinträchtigt war und ist. Vor diesem Hintergrund muss gefragt werden, wie sich längere Abwesenheitszeiten und Einschränkungen des Betriebs auf die Sprachentwicklung von Kindern auswirken und was Kitas benötigen, um damit umgehen und möglichen negativen Folgen entgegenwirken zu können.

Vor diesem Hintergrund haben Studierende der HAWK Hildesheim und der HS Emden Ende 2020 eine Online-Befragung von Kindertageseinrichtungen in Niedersachsen zu diesem Thema durchgeführt. Zwar liegen inzwischen verschiedene Studien vor, die sich mit den Auswirkungen von Covid-19 auf Kindertageseinrichtungen auseinandersetzen, aber bislang hat keine Erhebung explizit die sprachliche Entwicklung von Kindern in den Blick genommen. So untersuchte das Forschungsprojekt „Corona-KiTa“ des Robert Koch-Instituts (2020), welche Rolle (KiTa)-Kinder bei der weiteren Ausbreitung von SARS-CoV-2 spielen (vgl. Damerow et al. 2020). Daneben befasste sich die Studie auch mit der Frage, wie Kitas die Herausforderungen der Pandemie bewältigten und wie sich die Pandemie auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen auswirkt. Festgestellt wurde: „Für Kinder und deren Familien stellte die Zeit der wochenlangen Schließungen von Bildungs- und Betreuungseinrichtungen in Verbindung mit den anderen Eindämmungsmaßnahmen eine Herausforderung und Belastung hinsichtlich der Bewältigung des Alltags dar“ (Schlack et al. 2020, S. 26).

Nicht zuletzt von Seiten der Politik wird zudem immer wieder thematisiert, dass Schließungen von Kitas und Grundschulen sich nachteilig auf den Bildungserfolg von Kindern auswirken. Regelmäßig wird in diesem Zusammenhang davor gewarnt, dass durch die Schließung von Einrichtungen bereits existierende Bildungsbenachteiligungen noch verstärkt werden können. In diesem Zusammenhang kommt einer gelungenen Sprachentwicklung und ausreichender Beherrschung der deutschen Sprache eine entscheidende Bedeutung zu. Auch im Entwurf des neuen Niedersächsischen Gesetzes über Kindertagesstätten und Kindertagespflege (NKiTaG) wird daher der sprachlichen Bildung ein zentraler Stellenwert gegeben und die Verantwortung dafür eindeutig in das Feld der Kitas gelegt.

Etwa ein Viertel der Kinder in niedersächsischen Kitas haben einen Migrationshintergrund; die Mehrheit dieser Kinder spricht zu Hause eine andere Sprache als Deutsch (Statistisches Bundesamt 2020). Daher muss Sprachbildung/-förderung insbesondere mehrsprachige Kinder in den Blick nehmen (Dintsioudi & Krankenhagen 2020; Montanari & Panagiotopoulou 2019). Gerade für diese Kinder spielt die Sprachbildung und Sprachförderung in der Kita und das Zusammensein mit anderen Kindern eine entscheidende Rolle.

Erste Berichte zeigen, dass es in der Praxis durchaus Ansätze für Sprachförderung auch in Schließungszeiten und unter Corona-Bedingungen gibt (Bundesprogramm Sprachkitas 2020; Hamilton-Kohn 2020; Livshits & Greenberg 2020). Viele Aspekte alltagsintegrierter Sprachförderung können jedoch zurzeit nicht so realisiert werden wie vor der Pandemie. Vor allem aber fehlt eine systematische Erhebung der Auswirkungen von Schließungszeiten und Hygienebeschränkungen auf die Sprachentwicklung von Kindern. Angesichts eines hohen Anteils von Kindern mit sprachlichen Auffälligkeiten und Verzögerungen in der Sprachentwicklung sind hier schnelle und konkrete Antworten erforderlich, damit Fachkräfte in Kitas Kinder gezielt begleiten und unterstützen können.

Online-Erhebung: Methode und Stichprobe

Im Rahmen eines Kooperationsseminars der Hochschule Emden und der HAWK Hildesheim für Studierende der Kindheitspädagogik entstand daraufhin die Idee, dieses Thema zum Ausgangspunkt einer Befragung zu machen. Da bisher keine Studien zu diesem Thema vorlagen, wurde ein Online-Fragebogen für pädagogische Fachkräfte entwickelt. Ziel der Studie war dabei nicht zuletzt, Stimmen aus der Praxis Gehör zu verschaffen. Dazu wurden Fragen zum Umgang mit der Pandemie, zu pandemiebedingten Auffälligkeiten in der Sprachentwicklung von Kindern sowie zu Bedarfen der Fachkräfte und Einrichtungen im Kontext von Sprachbildung und Sprachförderung entwickelt. Der finale Fragebogen umfasste elf geschlossene Fragen mit Einfach- oder Mehrfachauswahl, vier offene Fragen und ein Zusatzfeld, das Platz für Wünsche und Anregungen der Teilnehmenden bot.

Durchgeführt wurde die Erhebung im November und Dezember 2020. Neben den Verteilern der beiden Hochschulen beteiligte sich das DialogWerk Braunschweig und das nifbe an der Verteilung der Erhebung. Insgesamt nahmen 78 Kindertageseinrichtungen aus Niedersachsen an der Studie teil. Aufgrund der Anlage der Studie ist diese Stichprobe nicht repräsentativ und kann nur erste Hinweise auf die Forschungsfragen geben. In diesem Beitrag werden die relevantesten Ergebnisse der Erhebung vorgestellt.

Ergebnisse

Ausgangsfrage der Studie war, welche Auswirkungen die Schließungen von Kitas auf die sprachliche Entwicklung von Kindern haben. Mehr als die Hälfte der Befragten (55,1%) nahmen sowohl positive als auch negative Veränderungen wahr, wobei in den offenen Textfeldern hauptsächlich negative Veränderungen beschrieben wurden. 17,9% der Befragten gaben an, nur negative Veränderungen beobachtet zu haben, immerhin 8,9% der Befragten nur positive. Etwa ein Fünftel der Befragten stellte den Ergebnissen der Studie zufolge keine auffälligen Veränderungen im Bereich der Sprachentwicklung fest.

Positive Veränderungen wurden von den Befragten mit der erhöhten gemeinsamen Zeit mit der Familie durch das Home-Office in Zusammenhang gebracht. So stellte eine Befragte fest: „Es hat vielen Kindern gut getan, ihre Eltern ‘mal intensiver für sich zu haben. Es wurde Zuhause mehr miteinander gespielt, gelesen (…)“. Auch eine „verbesserte Sprachfähigkeit des Kindes durch Vorlesen und Erzählen zu Hause“ wurde berichtet.

Bei den negativen Veränderungen wurde besonders oft eine rückläufige Sprachenwicklung, besonders bei Kindern mit Deutsch als Zweitsprache, genannt. Zusammengefasst wurde „besonders bei mehrsprachigen Kindern [ein] deutlicher Rückschritt in deutscher Sprache“ bzw. „bei Wortschatz, Grammatik und Sprachverständnis“ berichtet. Es wurde sogar festgestellt: „Kinder, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, konnten oft ihre Deutschkenntnisse kaum noch abrufen.“ In einigen Einrichtungen wurde nach der Schließzeit beobachtet, dass die Kinder keine ganzen Sätze mehr bildeten und sich nur noch mit Einwortsätzen oder „Comic-Sprache“ verständigten, was auf erhöhten Fernsehkonsum in der Schließungszeit zurückgeführt wurde.

Die Frage nach Unterstützungsbedarf im Bereich der Sprachförderung ergab ein sehr gemischtes Bild. Wie Abbildung 1 zeigt, fühlt sich die Mehrzahl der befragten Fachkräfte im Bereich der alltagsintegrierten Sprachförderung „ausreichend qualifiziert“. Dies sieht jedoch anders aus, wenn die Gruppe der mehrsprachigen Kinder in den Blick genommen wird: hier sieht sich nur ein knappes Drittel der Befragten als „ausreichend qualifiziert“, die Hälfte der Befragten dagegen nur „teilweise“ und ein Fünftel der Befragten „nicht“.

StudieAbbildung 1: Einschätzung der eigenen Qualifikation zur alltagsintegrierten Sprachförderung


In diesem Zusammenhang wird von den Befragten die Bedeutung von Unterstützungsstrukturen im Bereich Sprachförderung betont, wie eine Fachkraft formuliert: „Für Kolleginnen ist es wichtig, zu erkennen, dass die Sprachförderung die Basis der Kitas bildet, und [wir] benötigen Hilfe zur regelmäßigen Umsetzung und Implementierung in Konzept und Alltag.“ Insbesondere zum Thema Mehrsprachigkeit wird der Bedarf nach „mehr Fortbildungen“ zum Ausdruck gebracht.

Bei den individuell formulierten Wünschen und Anregungen der Teilnehmenden stachen der Wunsch nach einem besseren Fachkraft-Kind-Schlüssel und der Reduzierung der Gruppengröße heraus – „Das Grundproblem beim Thema ist der Fachkraft-Kind-Schlüssel.“ Hier ist ein bemerkenswertes Ergebnis der Studie hervorzuheben: Wiederholt wurde angegeben, dass die kleineren Gruppengrößen während der Phasen der Notbetreuung die Sprachförderung erleichtert hätten, da mehr Zeit für die einzelnen Kinder zur Verfügung stand.

Fazit

Insgesamt ergibt die Studie ein gemischtes Bild. Zwar überwiegen Hinweise auf pandemiebedingte Verzögerungen und Rückschritte in der Sprachentwicklung, aber manche Kinder haben sogar von der vermehrten Zeit in der Familie profitiert. Bemerkenswert ist auch die Aussage, dass – bei allen Belastungen durch die schwierige Situation – gerade in den Notgruppen Sprachförderung manchmal besser ermöglicht werden kann als im normalen Kita-Alltag. Dies verdeutlicht, dass viele pädagogische Fachkräfte in Kitas durchaus über Kompetenzen im Bereich Sprachförderung verfügen, diese aber im Alltagsbetrieb angesichts zu großer Gruppen oft nicht ausreichend zum Einsatz bringen können.

Dennoch ist ein Anteil von über 30% der Befragten, die sich nur teilweise oder nicht ausreichend für Sprachförderung qualifiziert fühlen, in Hinblick auf den gesetzlichen Auftrag zur Sprachförderung in Kitas grundsätzlich problematisch, und dies gilt in noch deutlich größerem Ausmaß für die Arbeit mit mehrsprachigen Kindern. Da die Ergebnisse der Studie an anderer Stelle darauf hindeuten, dass sich insbesondere Kitas beteiligt haben, die im Bereich der Sprachförderung bereits sehr aktiv sind, kann vermutet werden, dass der Anteil von Fachkräften, die in diesem Bereich nicht über eine ausreichende Qualifikation verfügen, insgesamt sogar noch größer ist. Angesichts des großen Anteils von mehrsprachigen Kindern in niedersächsischen Kitas besteht hier dringend
Handlungsbedarf.

Die vorliegende Erhebung hat nur einen ersten Blick auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Sprachentwicklung und Sprachförderung in Kitas ermöglicht. Weitere Forschung zu den Folgen der pandemiebedingten Einschränkungen auf die sprachliche Entwicklung ist dringend notwendig, um daraus Konsequenzen für die Weiterentwicklung von Sprachbildung und Sprachförderung ableiten zu können. Die Ergebnisse der Erhebung weisen zudem nachdrücklich darauf hin, dass in niedersächsischen Kitas weiterhin erheblicher Unterstützungsbedarf im Bereich der Sprachförderung besteht. Dabei geht es nicht nur um einen besseren Fachkraft-Kind-Schlüssel und um zusätzliches Personal in den Einrichtungen. Vielmehr wird ein erheblicher Bedarf in der fachlichen Begleitung und Qualifizierung insbesondere zum Thema Mehrsprachigkeit erkennbar, der nur durch professionelle und zuverlässige Unterstützungsstrukturen gewährleistet werden kann.

Literatur



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