Was machst du, wenn es zu traurig wird?

Wer sich ins vordigitale Zeitalter zurückwünscht, wird es heute in Kitas schwer haben. Denn: Medienpädagogik sollte zum Alltag gehören – und zwar in allen Bildungsbereichen. Wie können wir Medien als Werkzeug einsetzen und den Kindern einen reflektierten Umgang mit dieser schönen neuen Welt ermöglichen?

Schon verrückt, was Medien alles können: Sie helfen beim Kommunizieren, bei der Aneignung von Wissen und sie unterhalten uns. Kein Wunder, dass digitale Medien im Alltag der meisten Menschen allgegenwärtig und nicht mehr wegzudenken sind.

Vom Web 1.0, das als erste Epoche des Web-Zeitalters bezeichnet wird und dem Nutzer nur Information zur Verfügung stellt (noch ohne die Interaktion der Nutzer untereinander zu ermöglichen), haben wir uns zum Web 4.0, dem Internet der Dinge, weiterentwickelt. Inzwischen bewegt sich die breite Masse der Nutzer nicht mehr nur als anonyme Zuschauer in einer parallelen virtuellen Welt, sondern als aktive Akteure in einem Wechselspiel zwischen dem Abrufen und Einstellen von Informationen mit ganz realen Auswirkungen.

Der Einkauf im Netz wird vom echten Konto abgebucht und kommt ganz gegenständlich mit dem Paketboten. Inzwischen können wir auf einer digitalen und einer realen Ebene Orte, Dinge und Personen verbinden, wie selbstfahrende Autos, Fitnessarmbänder und Steuerungs-Apps für die Heizung eindrücklich beweisen.

Damit ist die digitale Welt zu einer ganz eigenen Dimension unseres Alltags geworden, weit mehr als die Abbildung der Realität aus zweiter Hand. Kinder kommen daher meist schon von Geburt an mit diesen Medien und deren Inhalten in Berührung. Sie erleben, dass ihre Bezugspersonen sich mit dem Smartphone, Tablet und Computer beschäftigen.

Für Kinder wird dabei schnell deutlich, dass digitale Medien wichtige Mittel im Alltag sind. Darüber hinaus sind sie von den Geräten und ihren Möglichkeiten selbst fasziniert, weil sie den eigenen Wissensdurst stillen, Langeweile vertreiben und beispielsweise bei Spielen unmittelbar auf Handlungen reagieren. Für Eltern bedeutet die Mediennutzung ihrer Kinder, dass sie ihnen Freiräume für Tätigkeiten ohne Kinder ermöglicht. Zu Hause, bei langen Autofahrten oder Wartezeiten beim Arzt werden Smartphone und Tablet als Helfer geschätzt. Die kindliche Mediensozialisation geschieht dabei ganz automatisch und meist pädagogisch unreflektiert. Häufig steht im häuslichen Bereich das passive Konsumieren von Medieninhalten wie Filmen oder Hörgeschichten sowie das Spielen im Vordergrund.

Raus aus der Opferrolle

Die Medienwelt der Kita unterscheidet sich meist erheblich von derjenigen, die Kinder zu Hause erleben. Aber auch im Kita-Alltag sind deutliche Spuren der Medienwirklichkeit von Mädchen und Jungen wahrzunehmen. Im Freispiel werden Medienhelden fiktiv oder in gegenständlicher Form als Figuren und Stofftiere in das Spiel eingebaut. Eine Fülle von Medien-Motiven findet sich auf Strümpfen und T-Shirts und in den Gesprächen der Kinder kommen ihre Medienerfahrungen an vielen Stellen vor. Die pädagogische Aufgabe der Fachkräfte ist es, diese Wirklichkeit der Kinder in der Kindertagesstätte aufzugreifen und sie dabei zu unterstützen, sich zu orientieren und Kompetenzen für ihr Leben aufzubauen.

Im Umgang mit neuen Medien gilt heute mehr denn je, dass eine bewahrende, fernhaltende Pädagogik keine zukunftsorientierte Herangehensweise sein kann. Um Kindern einen reflektierten Zugang zu den Medienwelten zu ermöglichen und sie gleichzeitig vor den damit einhergehenden Risiken zu schützen, ist es notwendig, ihnen ein Lernen mit Medien und ein Lernen über Medien im Kita-Alltag zu bieten. Im Umgang mit den Medien sind Kinder keine passiven Opfer. Sie setzen sich aktiv und meist hoch motiviert mit der digitalen Welt auseinander und interpretieren die Inhalte auf ihre ganz eigene Weise. Sie gestalten selbst, wählen aus und bestimmen mit. Ihr Kompetenzzuwachs erfolgt dabei in der Handlung selbst, in den meisten Fällen ohne konkrete Lernabsicht.

Häufig bringen Kinder heute schon Erfahrungen im Umgang mit den digitalen Medien mit in die Kita. Das noch vor einigen Jahren oftmals vorrangig genannte Ziel, digitale Medien bedienen zu können, gerät somit immer mehr in den Hintergrund. An ihre Stelle tritt die Notwendigkeit, Kompetenzen zu erwerben, die es ermöglichen, hinter die Dinge zu schauen. Bewertungskompetenzen genau wie Nutzungs- und Verarbeitungskompetenzen nehmen somit einen immer wichtigeren Stellenwert ein. Ziel der Kita-Medienpädagogik ist heute, Kindern die Möglichkeit zu bieten, selbstbestimmt und kreativ mit Medien umzugehen und ihr Handeln kritisch und verantwortlich reflektieren zu können.
Grundsätzlich lässt sich die medienpädagogische Kita-Arbeit mit den Kindern in zwei große Aufgabenbereiche unterteilen:

1. Medienerfahrungen aufnehmen und pädagogisch beantworten

Ausgangspunkt für die Planung von medienpädagogischen Angeboten sind immer die Erfahrungen und Themen der Kinder. Dabei ist es notwendig, die Medienvorlieben und den Medienumgang genau wie individuelle Bedürfnisse und Anliegen aufzugreifen. Grundlage dafür ist, dass die pädagogischen Fachkräfte die Verarbeitung der Medienerlebnisse aktiv begleiten und eine echte Bereitschaft zeigen, sich auf die Welten der Kinder einzulassen.

Medienhelden:
Medienheldinnen und Medienhelden verkörpern für viele Kinder wichtige Entwicklungsthemen. Ihre Geschichten ermöglichen eine Auseinandersetzung mit Themen wie Gerechtigkeit, Gut und Böse oder auch Freundschaft. Medienhelden bieten Identifikationsflächen und ermöglichen es, in eine andere, mächtigere, attraktivere oder stärkere Rolle zu schlüpfen.

Belastende Medienerlebnisse:
Kinder bringen oft schon eine Reihe von Medienerlebnissen mit in den Kita-Alltag. Da es Kindern im Vorschulalter noch schwerfällt, zwischen der realen Welt und den fiktiven Bildern der Medienwelt zu unterscheiden, können Medieninhalte starke Emotionen auslösen. Im Dialog und im Spiel mit anderen können Kinder diese leichter ausdrücken und handelnd verarbeiten. In der Kita brauchen sie die Möglichkeit, über ihre Erfahrungen zu sprechen, um so eine Distanz zum Erlebten zu schaffen. Die Fachkräfte haben die Aufgabe, dies anzuregen und Kindern hierfür die Gelegenheit und den Raum zu bieten. Geeignet sind dafür etwa Rollenspiele. Mithilfe von (Verkleidungs-)Materialien und Requisiten, die zum Spiel mit den aktuellen Medienheldinnen und Medienhelden einladen, können Kinder ganz unmittelbar in diese Rollen schlüpfen. Auch das Spiel mit gekauften Medienfiguren oder selbst gestalteten Figuren ermöglicht das Nachstellen und die Aufarbeitung mit einer größeren Distanz. Denn hier agieren nicht die Kinder selbst, sondern Figuren an ihrer Stelle. Auch Materialien zum Malen und Basteln sind sehr wichtige Requisiten zur Verarbeitung von Medienerfahrungen.

Individuelle Strategien:
Genauso wichtig ist es, mit den Kindern Strategien zu erarbeiten, wie sie sich vor belastenden oder angstmachenden Medienerlebnissen schützen können. Dafür ist es notwendig, dass sich Fachkräfte mit einer fragenden Haltung auf ergebnisoffene Dialoge einlassen, die das Verstehen des Kindes zum Ziel haben. „Was machst du eigentlich, wenn es zu spannend oder traurig wird?“ Vorgehensweisen wie das Gerät abzuschalten, vorzuspulen und das Ende zuerst anzusehen, mit anderen gemeinsam zu schauen oder zu hören, ein Kuscheltier zum Schutz dabeizuhaben und ähnliche Strategien bieten Kindern die Möglichkeit, aktiv zu werden und selbstbestimmt eigene Lösungen zu entwickeln. Allein durch die Tatsache, dass andere sich bei bestimmten Medieninhalten ebenfalls fürchten oder traurig werden, ist für viele Kinder eine entlastende Nachricht.

2. Grundlegende und weiterführende Kompetenzen ermöglichen

Die zweite Seite der medienpädagogischen Medaille sind die Kompetenzen, die Kinder aus Sicht der Erwachsenen brauchen, um selbstbestimmt und kreativ mit Medien umzugehen und ihr Handeln kritisch und verantwortlich reflektieren zu können. Solche grundlegenden Kompetenzen entwickeln sich aus individuellen Erfahrungen, Interessen und dem (Medien-)Wissen der Kinder. Sie wachsen mit den jeweiligen Erfahrungen und dem individuellen Entwicklungsstand der Kinder und beinhalten sowohl Kenntnisse in der Bedienung als auch das Wissen über Inhalte: „Die sind nicht in echt tot, das ist nur im Film.“

Die Möglichkeiten für Kinder, diese Kompetenzen in der Familie zu entwickeln, sind aktuell sehr ungleich verteilt. Sowohl die kritische Reflexion als auch die Dauer und Art der Nutzung hängt zumeist vom Bildungshintergrund der Eltern ab. Gerade der Erwerb der hier beschriebenen grundlegenden Kompetenzen hat damit eine hohe Bedeutung im Sinne einer an Chancengerechtigkeit orientierten Pädagogik.

Vom Konsum zum Handeln:
Für viele Kinder steht im häuslichen Bereich das Konsumieren von Medieninhalten an erster Stelle. Die Aufgabe der pädagogischen Fachkräfte ist es, diese Erfahrungen durch selbst gestaltbare, kreative Angebote zu erweitern. Um konstruierte Wirklichkeiten der Medienwelt verstehen und begreifen zu können, brauchen Kinder die Möglichkeit, selbst kreativ und aktiv mit Medieninhalten umzugehen. Durch eigenes Erstellen zum Beispiel von Filmen, Tonaufnahmen oder beim Fotografieren können sie ganz praktisch erfahren, wie Inhalte erarbeitet werden und dass sie damit auch manipulierbar sind.

Inhalte kritisch hinterfragen:
Medieninhalte sind von Menschen konstruiert und stellen kein objektives Bild der Wirklichkeit dar. Dies müssen Kinder erst erfahren. Informationen nicht einfach zu glauben, sondern sie bewusst auszuwählen, zu prüfen, einzuordnen und zu hinterfragen, sind wichtige Voraussetzungen dafür. Schon in der Kita können Kinder so auch sensibilisiert werden für die Absichten hinter einer Nachricht und gleichzeitig eine kritische und vergleichende Vorgehensweise üben. Den Unterschied zwischen Information, Werbung und Unterhaltung zu kennen, ist eine entscheidende Kompetenz bei der Bewertung einer Nachricht. Wenn Kinder gelernt haben, zwischen seriösen Informationsquellen, werbefinanzierten Beiträgen und fiktiven Geschichten zu unterscheiden, sind sie weniger anfällig für manipulierte Nachrichten. In der Praxis können Fachkräfte zum Beispiel bei der gemeinsamen Recherche nach Spiel- oder Bastelmaterialien auf Werbeanzeigen und deren Absicht hinweisen.

Werte, Normen, Rollenbilder:
Der Konsum von Medien bedeutet immer auch einen Einstieg in die heutige globale Kultur mit all ihren Erwartungen. Gleichzeitig mit der Informationsvermittlung, der Unterhaltung oder der Steuerung von Prozessen transportieren Medien Werte und Normen ebenso wie Rollenbilder, Einstellungen und Sichtweisen. Diese haben einen nicht unerheblichen Einfluss auf Kinder – und Erwachsene. Die beispielsweise in einer Serie dargestellten Werte, wie Jungen oder Mädchen sich verhalten, was sie anziehen oder auch mögen, prägt so die Einstellungen der Kita-Kinder mit. Die wahrgenommenen Werte, Normen und Sichtweisen nicht unhinterfragt stehen zu lassen und Kindern gezielt die Gelegenheit zu geben, sich kritisch mit dem Dargestellten auseinanderzusetzen, ist eine Aufgabe sowohl der Eltern als auch der pädagogischen Fachkräfte in der Kita.

Selbstpräsentation und Kommunikation:
Welche Informationen gebe ich von mir preis? Welche Nachrichten stelle ich ein oder leite ich weiter? Diese Fragen der Informationsweitergabe im Netz müssen zunächst im häuslichen Bereich von Eltern und Bezugspersonen beantwortet werden. Aber auch in der Kita spielen bei der Weitergabe von Fotos oder beim Erstellen von PortfolioPortfolio||||| Ein Portfolio bezeichnet ursprünglich  eine Sammlung von Objekten eines bestimmten Typs. Im  Handlungsfeld frühkindliche Bildung werden Portfolios beispielsweise wie "Ich- .Mappen" für Kinder genutzt um eigene Fortschritte zu dokumentieren. Auch in Studiengängen gibt es Beispiele, wo Portfolios als Prüfungsleistung oder Dokumentation von Entwicklungen zählen können. s individuelle Persönlichkeitsrechte der Kinder eine Rolle. Die Aufgabe der pädagogischen Fachkräfte ist es, eine sensible und verantwortliche Weitergabe von Informationen, sowohl die eigene Person als auch andere betreffend, anzubahnen. Unabhängig von der medialen Weitergabe muss in der Kita jedes Kind beispielsweise das Recht haben, darüber zu entscheiden, ob es fotografiert oder gefilmt werden möchte.

Insgesamt sind medienpädagogische Angebote nicht einfach als ein weiterer isolierter Bildungsbereich zu verstehen, sondern als eine Querschnittsaufgabe, die in allen Bereichen bedeutsam ist. Dabei geht es nicht um eine Pädagogik, die die Medien um ihrer selbst willen in den Vordergrund rückt, sondern immer um ein Vorgehen, das die Erfahrungen der Kinder und ihre Bildungsinteressen aufgreift und im Sinne einer an Chancengerechtigkeit orientierten Pädagogik umsetzt.

Auch Medienpädagogik ist in erster Linie Pädagogik. Sie hat die Aufgabe, alle Faktoren, die Kinder umgeben und beeinflussen, aufzunehmen und so individuelle Entwicklungen zu fördern. Dabei greift sie die Mediensozialisation der Kinder auf und setzt Medien als Werkzeuge ganz bewusst ein.

Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus
TPS 5-2020, S. 9-11