„Das macht uns Sorge ...“

Kinderschutz bei Eltern ansprechen

Mit Eltern reden, wenn wir ein problematisches Verhalten bei Eltern oder Kind beobachten oder wenn Mütter und Väter unzufrieden sind und sich beschweren, kann für Bauchschmerzen sorgen. Schwierigen Elterngesprächen würden viele Erzieher*innen am liebsten aus dem Weg gehen, weil sie verunsichern, Angst machen und uns so man-ches Mal an persönliche Grenzen bringen.

Die beste Strategie, mit schwierigen Situationen umzugehen, ist, sie gar nicht erst auftreten zu lassen. Das lässt sich gut in Kitas beobachten, die von sich selbst sagen, dass sie ein wertschätzendes und enges Verhältnis zur Elternschaft pflegen. Dahinter steht die Erkenntnis, dass in Konflikten fast immer der persönlichen Beziehung zwischen den Gesprächspartnern entscheidende Bedeutung zukommt. Das ist oft wichtiger, als die Auseinandersetzung auf der inhaltlichen Ebene, bei der sachliche Argumente ausgetauscht und auf dieser Grundlage Kompromisse oder Lösungen gesucht werden.

Anders gesagt: Wenn Eltern und Erzieher*innen sich gut verstehen, lassen sich auch schwierige Sachverhalte leichter ansprechen und klären. Selbst wenn es dann einmal zu keiner Einigung kommt, ist es einfacher, mit den unterschiedlichen Auffassungen weiter gut zusammenzuarbeiten. Wenn jedoch keine gute Beziehung besteht, werden aus kleinen Unstimmigkeiten schnell große Konflikte.

Doch auch, wenn „Ihre“ Kita und die Eltern sich grundsätzlich gut verstehen – zu Differenzen, Streitereien und Konflikten kommt es immer. In solchen Situationen Elterngespräche zu führen, fällt vielen nicht leicht – wenn eine Meinungsverschiedenheit über pädagogische Fragen, eine Unzufriedenheit der Eltern oder eine andere Störung im Raum steht, werden Gespräche von beiden Seiten bereits im Vorfeld als „schwierig“ empfunden.

Gespräche im Kontext Kindeswohlgefährdung

Als besonders problematisch empfinden Fachkräfte das Gespräch, wenn die Vermutung im Raum steht, das Kindeswohl sei gefährdet. Gerade in diesem Fall kommt einem offenen Gespräch aber besondere Bedeutung zu.

Eltern oder ein Elternteil zu einem Gespräch über eine vermutete Kindeswohlgefährdung einzuladen und dieses Gespräch zu führen, erfordert Empathie und Klarheit, vor allem aber eine gute Vorbereitung. Dazu gehört auch, dass Erzieher*innen sich über die eigene Einstellung den Eltern gegenüber sowie über die konkreten Erwartungen an das Gespräch im Klaren sind.

Denken Sie daran: Auch bei einem Gespräch über eine vermutete Kindeswohlgefährdung geht es nicht nur über das Einholen bzw. Bestätigen von Informationen. Ziel ist vielmehr einen Dialog zu führen, um die tatsächliche Gefährdung einschätzen zu können und mit den Eltern zu einer Kooperation zu gelangen. Aufgabe der Kita ist es dabei, die gemachten Beobachtungen sachlich darzustellen und der Sorge um das Kind Ausdruck zu verleihen. Gleichzeitig soll aber die Sichtweise der Eltern eingeholt und ihre Perspektive auf die (vermutete) Kindeswohlgefährdung erfragt werden. Nur wenn Sie die konkrete Situation verstehen und die Reaktion und Sichtweise der Eltern im Gespräch erfahren, können Sie auf dieser Grundlage geeignete Unterstützungsmöglichkeiten anbieten.


Gedanken im Gesprächsvorfeld:
  • Beobachten Sie Auffälligkeiten und Verhalten des Kindes und dokumentieren alles sorgfältig schriftlich und mit Datum.
  • Informieren Sie die Leitung über Ihre Beobachtungen und tauschen sich im Team aus. Die Fallverantwortung liegt letztlich bei der Leitung der Kindertagesstätte, im Team können Sie aber überlegen, welche Hilfen im konkreten Fall erforderlich und geeignet wären, um eine (weitere) mögliche Gefährdung abzuwenden.
  • Falls sich Ihr Verdacht im Austausch erhärtet, ziehen Sie (bzw. Ihre Leitung) eine erfahrene externe Fachkraft hinzu, um Ihre Vermutungen abzusichern und eine Risikoabschätzung vorzunehmen. Das geschieht anonym, also ohne Namen und Daten der betroffenen Familie zu nennen. Geeignete Ansprechpartner sind z. B. Jugendamt oder freie Träger der Jugendhilfe wie Caritas, Diakonie etc.
  • Anschließend sprechen Sie zeitnah mit den Eltern. Falls nur ein Elternteil als Verursacher*in vermutet wird, suchen Sie zunächst das Gespräch mit dem anderen Elternteil. Ein solches Gespräch führen Sie nach Möglichkeit nicht allein, sondern zusammen mit einer Kollegin oder einem Kollegen bzw. mit Ihrer Leitung. Das ist schon deshalb sinnvoll, weil eine von Ihnen ein Protokoll des Gesprächs anfertigen muss.

Gesprächs-Vorbereitung

Steht ein Termin fest, bereiten Sie sich – über die oben genannten Punkte hinaus – gründlich vor. Nicht nur Ihre konkreten Beobachtungen, auch Ihre Einstellung und Ihr Gefühl den Eltern gegenüber tragen wesentlich zum Gelingen des Gesprächs bei. Die folgenden Fragen können Ihnen dabei helfen:
  • Wie sehe ich die Eltern in der aktuellen Situation?
  • Bin ich noch in der Lage/offen genug, mit ihnen einen Dialog zu führen?
  • Welche Sorgen und Vorbehalte habe ich, die mich unter Druck setzen? (Sorge um das Kind, Ärger auf die Eltern, Angst vor ihrer Reaktion, Unsicherheit, Zeitdruck um weitere Gefährdung abzuwenden etc.)
  • Welche konkreten Ziele habe ich für das Gespräch?
  • Sind meine Ziele realistisch?
  • Wieviel Zeit räume ich ein, um zu einem Ergebnis zu kommen?
  • Welche Ressourcen hat die Familie/das Kind, an die ich anknüpfen kann?
  • Auf welche externen Hilfen (z. B. das Jugendamt oder freie Träger) kann ich verweisen?
  • Wie gehe ich vor, wenn die Eltern nicht kooperieren?


So gehen Sie im Gespräch vor
Auftakt/Gefährdung ansprechen: Nach der Begrüßung kommen Sie gleich zur Sache. Es ist wichtig, Ihre Beobachtungen konkret und sachlich anzusprechen, ohne „um den heißen Brei herumzureden“. Seien Sie konkret und genau, ohne zu interpretieren, subjektive Meinungen vorzutragen oder anzuklagen. Versuchen Sie, die Sachlage so zu formulieren, dass die Eltern sich nicht gleich verurteilt oder in eine Ecke gedrängt fühlen, sonst reagieren sie wahrscheinlich mit Misstrauen, Beschwichtigen oder einem Gegenangriff.

Zum Beispiel so: „Wir möchten heute mit Ihnen sprechen, weil wir etwas beobachtet ha-ben, das uns große Sorge macht. Uns ist aufgefallen, dass Lara .... Wir vermuten, dass sie Gewalt erlebt hat.“

Sorge um das Kind thematisieren: Sagen Sie deutlich, dass es Ihnen um das Kind geht. Ihr Ziel ist es, die Eltern in dieser Hinsicht „ins Boot zu holen“ und gemeinsam mit ihnen einen Plan zu schmieden, wie eine gute Entwicklung des Kindes sichergestellt werden kann. Begründen Sie Ihre Sorge mit der aktuellen Situation des Kindes bzw. mit konkret zu erwartende Schwierigkeiten bei dessen weiterer Entwicklung.

Zum Beispiel so: „Gewalt in der Erziehung ist verboten und fügt Ihrem Kind schlimmen Schaden zu, der sich nicht mehr rückgängig machen lässt.“

Sichtweise der Eltern einholen: Beschreiben Sie gründlich, aber führen Sie nur an, was zum Thema gehört. Geben Sie dann den Eltern die Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen. Ein wichtiges Ziel Ihrer Ausführung ist es, die Eltern aufzufordern, ihre Sichtweise zu schildern.
Zum Beispiel mit diesen Fragen:
  • Wie erleben/erklären Sie die Situation/das Verhalten Ihres Kindes?
  • Welche Lösungsvorschläge/Ideen haben Sie?
  • Was wünschen Sie sich für Ihr Kind?
  • Was glauben Sie, was Ihr Kind braucht – Sie kennen Ihr Kind am besten?
  • Was/Wer könnte Sie unterstützen (wie, womit, wann)?

Verständnis zeigen: Signalisieren Sie Interesse für die Situation der Familie und die Not der Eltern (das bedeutet nicht, dass Sie mit dem Geschehen einverstanden sind!) So können Sie vielleicht auch die Gründe für eine gewalttätige Reaktion oder anderes ge-fährdendes Verhalten thematisieren.

Zum Beispiel so: „Ich kann verstehen, dass Sie sich dann gar nicht mehr anders zu helfen wissen/Ihnen die Sicherung durchbrennt, wenn....“
„Was passiert in dem Moment bei Ihnen, wenn ...?“

Vereinbarung treffen: Den Abschluss des Gesprächs sollte eine klare, überprüfbare Vereinbarung bilden. Zum Beispiel, dass die Eltern ihr Kind einem Arzt vorstellen, weitere Gespräche stattfinden, eine Beratungsstelle aufgesucht oder das Jugendamt hinzugezogen wird. Halten Sie die Vereinbarung in Ihrem Gesprächsprotokoll schriftlich fest und lassen sie auch von den Eltern unterschreiben. Überprüfen Sie getroffene Absprachen nach einiger Zeit und leiten Sie ggf. weitere Schritte ein, wenn Eltern sich nicht daran halten.

Achtung: Wenn Eltern nicht bereit sind, Hilfen anzunehmen, und weiterhin das Wohl des Kindes gefährdet bleibt, müssen Sie letztlich das Jugendamt informieren, das sich schließlich mit der Familie auseinandersetzt und den weiteren Verlauf begleitet. Darüber müssen Sie die Eltern selbstverständlich informieren. Seien Sie sich jedoch bewusst, dass Sie auch in diesem weiteren Verlauf eine wichtige begleitende Position haben, weil Sie eine Vertrauensperson für die Familie sind und das Kind weiter in seiner Entwick-lung fördern.

Gesprächs-Strategien


Eigene Haltung klarmachen
Alles, was wir sagen oder verschweigen, unsere Mimik, unsere Körperhaltung beinhaltet eine Botschaft an unser Gegenüber. Gerade vor „schwierigen“ Gesprächen ist es deshalb hilfreich, sich die eigene Haltung und die Gefühle gegenüber einem Thema sowie der Person, mit der wir dieses besprechen wollen, bewusst zu machen.

Ressourcen benennen
In einem Gespräch über „schwieriges Verhalten“ eines Kindes oder seiner Eltern entsteht schnell der Eindruck, dass „kein gutes Haar“ an der Person gelassen wird. Sprechen Sie deshalb auch darüber, welche Ressourcen Sie wahrnehmen, die zu einer Verbesserung der Situation genutzt werden können. So erreichen Sie eher die Kooperation der Eltern.

Gut Zuhören
Wenden Sie sich im Gespräch Ihrem Gegenüber zu und halten Sie Blickkontakt. Hören Sie genau hin, was Ihr Gegenüber sagt und achten Sie darauf, wie es auf Sie wirkt.

Eigene Gefühle ansprechen
Sprechen Sie offen an, was Sie bewegt. Vermeiden Sie Vorwürfe und versuchen Sie wertfrei zu schildern, womit Sie sich unwohl fühlen.

Ich-Botschaften
Sprechen Sie in der „Ich-Form“, statt ins unpersönliche „man“ zu verfallen. Wenn Sie aus Ihrer Perspektive schildern, worum es Ihnen geht, vermeiden Sie, dass Ihr Gegenüber das Gefühl bekommt, sich verteidigen zu müssen.

Konkret sein
Vermeiden Sie Begriffe wie „nie“ und „immer“. Derartige Verallgemeinerungen fordern Ihr Gegenüber heraus, Gegenbeispiele zu benennen. Beschreiben Sie sachlich und konk-ret, ohne moralische Urteile oder Aggression.

Beim Thema bleiben
Vermeiden Sie, Vergangenes wieder „aufzuwärmen“. Dies führt in der Regel zu neuen Auseinandersetzungen, die die Lösung der aktuellen Schwierigkeiten nur erschweren. Wenn Eltern abstreiten, leugnen oder sich wehren, überlegen Sie welche Motivation hin-ter diesem Widerstand steht.

Nachfragen
Offene Fragen ermöglichen es dem Gegenüber, frei zu antworten und geben nicht schon eine Antwort vor (sie beginnen häufig mit den Fragepronomen „Wie“, „Weshalb“, „Wodurch“, „Woher/ Wohin“). Mit offenen Fragen zeigen Sie auch, dass Sie den Eltern zugewandt sind und trotz des schwierigen Gesprächsanlasses einen wohlwollenden Blick auf Kind und Eltern richten. Das ist eine unverzichtbare Voraussetzung, um den den tatsächlichen Hilfebedarf zu klären und die Eltern für die Annahme dieser Hilfen zu motivieren.

Beharrlich sein
Wiederholen Sie mit Ihren eigenen Worten, was Sie verstanden haben. So hat Ihr Gegenüber die Möglichkeit zu überprüfen, ob das Gesagte richtig bei Ihnen angekommen ist und kann Missverständnisse korrigieren. Bleiben Sie aber bei Ihrem Standpunkt und wiederholen gegebenenfalls Ihre Argumente.


Literatur

  • Lindner, Ulrike: Klare Worte finden spezial: Schwierige Elterngespräche in der Kita. Verlag an der Ruhr 2019


Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus
klein&groß 1-2020, S. 12-15




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