Marte Meo – videogestützte Beratung in der Kita

Mit Marte Meo Entwicklungsbedürfnisse von Kindern neu wahrnehmen ■ Wenn man erfahrene Erzieher/innen und Leitungskräfte fragt, was sie – neben den problematischen Rahmenbedingungen – in ihrem Berufsalltag am meisten belastet, so ist das häufig der Umgang mit sogenannten »verhaltensoriginellen« Kindern. Mädchen oder noch häufiger Jungen, die sich schwer in ein gemeinsames Spiel mit anderen Kindern einfinden können oder Konflikte impulsiv und körperlich ausagieren, fordern Kita-Teams heraus. Viele Fachkräfte stellen fest, dass ihre eigenen pädagogischen Interventionen nicht unbedingt erfolgreich sind. Das macht unzufrieden – eine Negativspirale kann sich entwickeln.

Auf der Suche nach Unterstützung entdecken Kita-Teams die Marte Meo Methode. Sie suchen konkret anwendbares »Handwerkszeug« für schwierige Situationen. Marte Meo ist ein videogestütztes Beratungskonzept, das Fachkräften zeigen kann, wie sie im Alltag die Entwicklungsbedürfnisse von Kindern neu wahrnehmen, um sie dann gut zu unterstützen. Erklärtes Ziel ist die emotionale Stabilisierung der Kinder sowie die Verbesserung des Kontakts zwischen Erwachsenen und Kindern. Dabei sind Eltern wie Fachkräfte gleichermaßen angesprochen.

Information für Eltern als Ausgangspunkt

Wer Maria Aarts, die Begründerin der Methode, einmal in einem Vortrag erlebt hat, kennt die Entstehungsgeschichte von Marte Meo: Die Niederländerin war in den 70er Jahren als junge Therapeutin in einer Kinderpsychiatrie tätig. Ihr gelang es dort, Kontakt zu Kindern mit Autismus aufzubauen, die von Fachkräften und den Eltern als »unerreichbar« wahrgenommen wurden. Maria Aarts schaffte es, wechselseitige Kommunikation anzubahnen. Die Kinder reagierten auf ihre Ansprache und konnten neue Verhaltensweisen entwickeln. Die Eltern dieser Kinder wollten die entwicklungsfördernde Kontaktaufnahme ebenfalls erlernen. Um ihnen verständliche Information zu geben, konzipierte Aarts mit ihrem Kollegen ein videobasiertes Beratungssystem. Sie entwickelte es stetig weiter und nannte es später Marte Meo. Der Name ist dem Lateinischen entlehnt und weist darauf hin, dass die Personen es »aus eigener Kraft« schaffen können, ihre Situation zu verändern. Heute wird die Methode weltweit in den verschiedensten Bereichen genutzt. Von Familienhebammen über die Sozialpädagogische Familienhilfe bis zur Altenpflege – überall, wo Menschen mit Menschen arbeiten, kann diese ressourcenorientierte Methode neue Wege eröffnen, indem sie zur Reflexion des eigenen Handelns anregt. Marte Meo wird häufig als Unterstützung für schwierige Situationen quasi »therapeutisch« eingesetzt. Im Unterschied zu anderen, zeitlich begrenzten Therapieeinheiten wird hier aber eine alltagsbasierte Förderung eingeführt, die von allen pädagogischen Fachkräften erlernt werden kann. Auch als »Eltern-Einladungsprogramm« mit eher präventivem Ansatz wird Marte Meo von Müttern, Vätern und Fachkräften als wertvoll beschrieben. Ihre Fähigkeiten zum feinfühligen Dialog mit Kindern werden gestärkt. Der Entschluss, einer außenstehenden Marte Meo-Therapeutin Einblicke in das eigene pädagogische Handeln (oder das Familienleben) zu geben, ist allerdings für Viele ein Wagnis.

Auch in unseren medialen Zeiten, wo einerseits private Videoclips freiwillig mit der Öffentlichkeit geteilt werden, gibt es Bedenken gegenüber dieser Form der Beratung. Dabei gehört eine Vereinbarung über den Schutz der erhobenen Daten selbstverständlich zu den Voraussetzungen der Zusammenarbeit. Wer mit Marte Meo beginnt, kann erleben, wie die Arbeit mit den Videofilmen bewirkt, dass Eltern und Erzieher/innen wieder zufriedener mit sich sind.

Erzieher/innen in Entwicklungsstimmung

Der Ablauf einer Marte Meo-Beratung in der Kita könnte in etwa so aussehen: Die Filmaufnahme einer freien Spielsituation, in der das Kind und eine Bezugsperson zu sehen sind, wird von der hinzugezogenen Marte Meo-Fachkraft ausgewertet. Sie wählt eine kurze Sequenz aus und zeigt sie der Bezugsperson, dem Kita-Team (oder den Eltern, je nachdem wen sie berät).

Immer wieder hält sie sekundenweise den Film an und beschreibt genau und kleinschrittig, was zu sehen ist: sie zeigt Handlungen, Blicke, Mimik, Worte – durch das Medium Video werden viele Initiativen sichtbar, die uns im Alltag entgehen.

Diese erste sogenannte Interaktionsanalyse dient dazu, vorhandene Spielfähigkeiten des Kindes in den Blick zu nehmen und Entwicklungsmöglichkeiten zu entdecken. Oft ist das für die Person schon der erste Aha-Effekt: Schon die Bereitschaft, sich dem Kind, das durch Grenzüberschreitungen auffällt und dessen Verhalten die Fachkräfte hilflos oder ärgerlich macht, wieder mit ressourcenorientierter Sichtweise zu nähern, hat positive Auswirkungen.

Es geht darum, zunächst die Kompetenzen eines Kindes wieder in den Blick zu nehmen und die hinter dem als problematisch erlebten Verhalten verborgenen Entwicklungsbedürfnisse des Kindes zu erkennen. Das Verhalten der Erwachsenen in der Filmsequenz findet natürlich ebenfalls Beachtung. Auch hier gilt: der positive Blick auf entwicklungsfördernde Verhaltensweisen tut Eltern wie Fachkräften gut und versetzt sie in »Entwicklungsstimmung«. Die Marte Meo-Fachkraft wird also auch in den folgenden Sitzungen aus den neuen Videos immer solche Filmausschnitte wählen, in denen sie zeigen kann, wie die Bezugspersonen das Kind unterstützen und warum das so wichtig ist.

Positive Bilder zeigen Wirkung ...

»Zeigen, nicht erklären!« ist dabei die Maxime. Davon ausgehend, dass positive Bilder (von sich selbst als Fachkraft oder Elternteil und auch vom Kind) eine viel nachhaltigere Wirkung entfalten als eine rein verbale Beratung, können Marte Meo Therapeuten und Therapeutinnen in jeder Filmsequenz entwicklungsfördernde Handlungen der Bezugspersonen zeigen. Jede Interaktionssequenz beinhaltet (wenn auch manchmal nur ganz kleine) Ansätze davon. Es gilt, sie sichtbar zu machen und auf diesen Bildern die Beratung aufzubauen. »Mehr davon!« ist so viel leichter umzusetzen als reglementierende Ratschläge.

Dabei werden die sogenannten Basiselemente (aufmerksames Abwarten, den Initiativen des Kindes folgen, sie bestätigen und benennen) anhand der eigenen Filmsequenzen sichtbar gemacht und verstärkt. Die Bezugspersonen können also am Bildschirm sich selbst bei gelingender Interaktion zusehen und werden dadurch nebenbei motiviert andere, weniger konstruktive Verhaltensweisen abzulegen.

Durch die Kraft der Bilder ist Marte Meo auch gut einsetzbar für Entwicklungsgespräche mit Eltern – auch und besonders für diejenigen, die noch nicht so gut deutsch sprechen. Man kann sich leicht vorstellen, wieviel angenehmer und konstruktiver ein Entwicklungsgespräch verläuft, wenn den Eltern per Filmaufnahmen gezeigt werden kann, welche kooperativen Verhaltensweisen ihr Kind in der Kita zeigen kann. Schlussfolgerungen über eine geeignete Unterstützung dieser Verhaltensweisen können sehr konkret vorgestellt werden. Ein weiterer Vorteil ist, dass außer einer Kamera und eines Laptops keine weiteren Materialien nötig sind. Marte Meo findet im Alltag statt. Die Erkenntnisse sind auf viele alltägliche Situationen übertragbar.

Marte Meo geht davon aus, dass die meisten Menschen intuitive Fähigkeiten besitzen, einen entwicklungsunterstützenden Dialog mit ihren Kindern zu führen. Wenn wir Erwachsene beobachten, wie sie mit einem Baby sprechen, sehen wir bei Vielen, wie sie sich ihm ganz aufmerksam zuwenden und lächeln, ihre Stimme verändern, wie sie Sprechpausen machen und feinfühlig auf die Initiativen des Babys reagieren. Diese Fähigkeit zum Dialog wird im stressigen Alltag mit älteren Kindern oft vergessen, aber sie ist nicht verloren: Marte Meo kann zeigen, wie dieser Dialog altersgerecht gestaltet werden kann.

Die Auswirkungen der neu- oder wiederentdeckten erwachsenen Verhaltensweisen auf das Kind sind elementar: es fühlt sich gesehen, es wird bestätigt in seinen Spielinitiativen, es lernt seine eigenen Gefühle und die der Anderen besser kennen. Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten nimmt zu und die sprachlichen Fähigkeiten wachsen. Der Marte Meo-Beratungsprozess lädt dazu ein, den neuen Entwicklungsschritt zuhause im Alltag mit dem Kind (oder als Fachkraft bei der Begleitung des Kindes im Freispiel) auszuprobieren und sich erneut damit zu filmen. So werden Inhalte vertieft, Fortschritte sichtbar gemacht und können gefeiert werden.

Positive Effekte auch in der Ausbildung

Für die Ausbildung nach der Marte Meo Methode gelten übrigens die gleichen Prinzipien wie für die Kommunikation mit den Kindern. Auch hier stehen Ressourcenorientierung und Aufmerksamkeit für das Gegenüber im Mittelpunkt: So werden die angehenden Practitioner auf die gelingenden Momente in ihrer Interaktion mit Kindern hingewiesen. Und später lernen die angehenden Therapeuten und Therapeutinnen, sehr aufmerksam ihr Gegenüber wahrzunehmen, die Klienten nicht mit Informationen zu überschütten, sondern deren Gedanken und Gefühlen Raum zu geben. Und auch sie präsentieren anschließend in der Supervision ihre eigenen Reviews der Ausbildungsgruppe mit Fokus auf die gelungenen Elemente. Für manche Teilnehmer/in ist das eine ganz neue Erfahrung.

Letztlich kann ein Marte Meo-Beratungsprozess bei Eltern oder Fachkräften das Einnehmen einer neuen Haltung dem Kind gegenüber unterstützen: »Kinder haben das Recht auf positives und differenziertes Feedback«, sagt Maria Aarts. Wenn Erwachsene das berücksichtigen, kann vieles leichter werden.

Zertifizierte Marte Meo Kitas

Es gibt Tageseinrichtungen, die aufgrund ihrer positiven Erfahrungen mit Marte Meo die Methode in ihr pädagogisches Konzept aufnehmen. Häufig sind es Einrichtungen, die sich einer beziehungsorientierten Pädagogik verbunden sehen und ein Leitbild von Respekt, Nähe und Wertschätzung leben. Hier kann Marte Meo als konkretes Werkzeug für Elterngespräche, Fallbesprechungen und Dokumentation eine wertvolle Ergänzung sein. Auch die Reflexion des pädagogischen Handelns anhand von Filmsequenzen wird durch die Auseinandersetzung im Team stetig weiterentwickelt. Wenn die Mitarbeiter*innen einer Kita sich zu Marte Meo-Praktikerinnen qualifizieren und Supervision gewährleistet ist, kann die Kita sich zertifizieren lassen.

Fazit

Marte Meo wird von pädagogischen Fachkräften aufgrund der konkreten Anwendbarkeit im Alltag geschätzt. Mit dem Fokus auf handlungsbegleitende Sprache und Ressourcenorientierung ist die Methode eine sinnvolle Ergänzung für Reflexion und Elternarbeit.


Übernahme mit freundlicher Genehmigung aus
KiTa aktuell ND, 9-2019, S. 185-186


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