Helene Klostermann (1858-1935)

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Quelle: Ida-Seele-Archiv
Helene Klostermann gehört zu den herausragenden Persönlichkeiten der deutschen Fröbelbewegung. Ihre umfassende Auseinandersetzung mit der Gedankenwelt des „Kindergartenstifters“, seinem Wirken und Schaffen, schlug sich in vielfältigen Veröffentlichungen und Editionen sowie der Sichtung seines Nachlasses im Fröbelmuseum in Bad Blankenburg nieder (vgl. Klostermann 1927a, S. 132 ff.; Leutheußer 1935, S. 158 f). Trotz ihrer Verdienste wird die „Wortführerin der ‚neufröbelschen‘ Richtung“ (Konrad 1997, S. 260) in der heutigen Sekundärliteratur über Friedrich Fröbel so gut wie nicht erwähnt und gewürdigt. Es bedarf gewiss noch weiterer eingehender Recherchen um die Bedeutung dieser Frau in Fröbels Dienst aus dem vergessenen pädagogischen Erbe der Geschichtsschreibung heraus gerecht zu würdigen.

Leben und Wirken

Helene L(o)uise Klostermann erblickte am 29. Juni 1858 als zweites von vier Kindern des Kaufmanns Julius Klostermann und dessen Frau Emilie Klostermann, geb. von Gonzenbach, in Messina (damals Königreich beider Sizilien) das Licht der Welt. Allzu früh wurden ihre glücklichen Kindertage von Trauer überschattet:

„Helenes einziger Bruder stirbt nach kurzer Krankheit im Jahre 1863; die Mutter, sehr zart und schon länger leidend, kann sich von dem Kummer über diesen Verlust nicht erholen. Als ihr im folgenden Winter der Tod noch eine geliebte Schwester raubt, siecht auch sie dahin - und es kommt der Tag, da der schwergeprüfte Vater mit seinen drei kleinen Töchtern am Grabe der Mutter steht. Im kommenden Sommer verliert Helene auch noch ihre liebste Spielgefährtin, ihre kleine Schwester Anna, und nur sie und ihre ältere Schwester Emilie bleiben in dem verwaisten Haus zurück“ (Lück 1937, S. 292).

1869 heiratete der Vater zum zweiten Mal. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor. Mit ihrer Stiefmutter und ihren Halbgeschwistern verband Helene Klostermann zeitlebens eine innige Beziehung, insbesondere mit Nesthäkchen Irma. Zusammen mit ihrer älteren Schwester nahm sie „am Unterricht der kleinen deutschen Schule teil, die inzwischen in Messina für die Knaben und Mädchen der deutschen Kolonie eingerichtete worden war“ (Lück 1935, S. 143). Äußerst unbeschwerte Tage verlebte sie im Landhaus der Familie, weit vor den Toren der Stadt gelegen. Zeitlebens erinnerte sie sich mit Vorliebe an den großen Garten „mit seinen duftenden Jasminlauben, an den Hof mit Hühnern und Tauben, an die angrenzenden Olivenhaie“ (zit. n. Lück 1937, S. 295), wo die Kinder aus Herzenslust tummelten.

1872 schickte der Vater seine Tochter nach Bonn. Dort leitete seit einem Jahr Julie Klostermann eine weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannte vierklassige „Höhere Töchterschule“, der eine Selekta zur Ausbildung von Lehrerinnen angegliedert war. Zwei Jahre verbrachte Helene in der Stadt am Rhein, nicht ahnend, dass diese noch einmal für sie von großer Bedeutung sein würde. Nach der Konfirmation kehrte sie ins Elternhaus zurück und führte für einige Zeit das Leben einer Haustochter: Sie kümmerte sich um den elterlichen Haushalt, die jüngeren Halbgeschwister und bildete sich in Sprachen und vor allem im musischen Bereich weiter. Obgleich an eine eigentliche Berufsausbildung und Berufsausübung nicht gedacht und auch seinerzeit für junge Frauen ihres Standes nicht üblich, kehrte Helene Klostermann im Frühjahr 1878 an die Bildungseinrichtung ihrer Tante zurück, um sich auf das Lehrerinnenexamen vorzubereiten. Nach bestandener Prüfung unterrichtete sie für ein halbes Jahr an der Klostermannschan Anstalt. Anschließend kehrte sie nach Messina zurück, um den Unterricht ihrer kleinen Geschwister und einiger anderer Kinder aus der Nachbarschaft und dem Bekanntenkreis zu übernehmen. Da die Geschäfte des Vaters nicht mehr sehr erfolgreich verliefen, übersiedelte die Familie Anfang 1880 nach Berlin. Dort fasste Helene Klostermann den Entschluss sich von der Familie zu lösen. Sie arbeitete zunächst für ca. sechs Monate als Privaterzieherin in einer irisch-englischen Grafenfamilie, die bald von England nach Brasilien und kurze Zeit später nach Nordirland übersiedelte. Während eines Aufenthalts in London lernte sie Julia Salis-Schwabe kennen, „die ihr großes Vermögen ganz für soziale und pädagogische Zwecke einsetzte“ (Hoffmannn 1962, S. 7) und deren Privatsekretärin sie alsbald wurde. Die wohlhabende Philanthropin hatte u.a. 1873 in Neapel, wo sie nach dem Tod ihres Mannes lebte, eine Fröbelsche Erziehungs- und Bildungsanstalt (Kindergarten, Elementarschule, Höhere Mädchenschule und Kindergärtnerinnenseminar) ins Leben gerufen. Dort, im „Instituto Froebeliano“, welches von Adele von Portugall geleitet wurde, lernte Helene Klostermann die „lebendige Verwirklichung der Fröbelschen Idee kennen“ (Hoffmann 1962, S. 8).

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Helene Klostermann (rechts außen sitzend) mit Schülerinnen und Mitarbeiterinnen (Quelle: Ida-Seele-Archiv)
1898 übersiedelte Helene Klostermann nach Bonn, um „das im fremden Land Erlebte auf deutschen Boden zurück zu verpflanzen“ (Hoffmann 1962, S. 8). Sie plante die Gründung eines Kindergartens sowie eines Kindergärtnerinnen- und Lehrerinnenseminars. Doch es kam anders. Die Höhere Mädchenschule ihrer Tante, in der sie selbst als Schülerin und für kurze Zeit als Lehrerin geweilt hatte, suchte „eine neue Leiterin, und Helene Klostermann wurde gebeten, sich der stark zurückgegangenen Schule anzunehmen. Sie empfand dieses Zusammentreffen als göttliche Fügung und tat den Schritt bewußt im Gehorsam gegen Gott. Sie durfte dann wie ihr Meister in der Erziehungskunst zuerst Schulkinder, nach der Gründung eines Kindergartens auch Kleinkinder und dann junge Mädchen erziehen, die sich im Lehrerinnen-Seminar und Kindergärtnerinnen-Seminar auf den Erzieherberuf vorbereiteten. Sie übernahm 1903 das von Friedrich Zimmer in Kassel gegründete Comenius-Seminar, das nach Bonn verlegt wurde. (Fröbel-Seminar konnte sie es nicht nennen, um seiner gesunden Entwicklung nicht zu schaden!) Zum Seminar kam eine Übungsschule, zum Kindergärtnerinnen-Seminar ein Volkskindergarten, ein Hort, im Krieg ein Tagheim für Kinder und eine Krippe" (Kley 1935, S. 540).



Großen Wert legte die Schulleiterin darauf, die Seminaristinnen in Friedrich Fröbels Gedankenwelt einzuführen, „mit nimmermüder Geduld aus den langen, schweren Sätzen von Fröbels ‚Menschenerziehung‘ die Goldkörner bloßzulegen und mit feinstem Verständnis und tiefster Einfühlung diese den Mädchen vertraut zu machen“ (Kley 1935, S. 541).

klostermann3Quelle: Ida-Seele-ArchivIm Jahre 1922 legte Helene Klostermann, die von 1918-1923 Vorsitzende des „Deutschen Fröbel-Verbandes“ (vorher Kassenführerin, nachher Ehrenvorsitzende) war, die Leitung der Bonner Erziehungs- und Bildungseinrichtung in jüngere Hände und übersiedelte zu ihrer Halbschwester Irma nach Putbus. Weiterhin galt ihr Interesse Friedrich Fröbel und sie blieb „allem Großen und Schönen, allen ewigen Wahrheiten zugewandt“ (Lück 1935, S. 156 f). Sie kümmerte sich um die Archivierung des Fröbelnachlasses im Friedrich-Fröbel-Museum in Bad Blankenburg und erarbeitete ein Findbuch, das noch heute benutzt wird. Außerdem veröffentlichte sie Texte von Friedrich Fröbels Pädagogik der höheren Altersstufen.



Die „Fröbeljüngerin“ (Hoffmann 1935, S. 161) starb am 27. Mai 1935 in Putbus. Noch wenige Monate vor ihrem Tod schrieb sie an Erika Hoffmann, der Fröbelexpertin in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts:

„Ich bin zwar eine alte Frau... aber das eine glaube ich ohne Überhebung von mir sagen zu dürfen: ich kenne Fröbel besser als irgend jemand sonst in Deutschland, und ich habe in Treue für die Ziele gearbeitet, die er uns in
seinem Lebenswerk gesteckt hat“ (Hoffmann 1935, S. 161).

Kindergarten und das Spiel des Kindes

Der Kindergarten (heute Kita genannt), diese international verbreitete Einrichtung für die Betreuung, Erziehung und Bildung drei- bis sechsjähriger Kinder, verdankt Friedrich Fröbel seinen Namen und seine Struktur (vgl. Klostermann 1928, S. 213 ff.). In dem erweiterten Lebenskreis „Kinder=Garten“, dessen „Aufgabe... wir als Ergänzung der Familie... erkennen“ (Klostermann1925, S. 217), sollen nach der romantischen Vorstellung des Pädagogen aus Thüringen die Kinder auf „das Leben, das Menschentum“ (Klostermann 1927b, S. 401) erzogen und wie Pflanzen gehegt und gepflegt werden:

„‚Wie in einem Garten unter Gottes Schutz und unter der Sorgfalt erfahrener, einsichtiger Gärtner im Einklange mit der Natur die Gewächse gepflegt werden, so sollen hier die edelsten Gewächse, Menschen, Kinder als Keime und Glieder der Menschheit, in Übereinstimmung mit sich, mit Gott und der Natur erzogen und zu einer solchen Erziehung soll der Weg allgemein gezeigt und angebahnt werden‘... Jedes Wort dieses Gleichnisses ist erschöpfend und unerschöpflich zugleich. Es atmet Natur=, Gott= und Menschheitseinigung, wie Fröbel sie zu verkünden nicht müde wurde, es gibt aber auch in allen Einzelforderungen der Erziehung Antwort auf die schwierigsten Fragen. Der Erzieher, ein Gärtner, kann wohl wie dieser säen, pflanzen, gießen, jäten, also pflegen, warten, schützen, fördern, aber immer nur nach naturgegebenen Anlagen und zu gottgewollten Zielen; sein Werk gedeiht nur in der Einheit mit den Gesetzen des Lebens, in ‚Lebenseinigung‘... Bezeichnend ist auch die Schreibweise Kinder=Garten... In der Trennung der beiden Wörter liegt die Neuheit des Gedankens“ (Klostermann 1928, S. 215).

Sicher, in unserer heutigen Zeit wird die vorschulische Bildungs- und Erziehungseinrichtung nicht mehr mit einem Garten verglichen. Doch nach wie vor gilt, um nur einen Aspekt der „Kinder=Gartenpädagogik“ aufzugreifen, dass das Spiel, „das Lebenselement des frühen Kindesalter“ (Klostermann 1932, S. 83), zur Weckung der Eigenaktivität im Mittelpunkt des Kindergartenalltags steht. Da wird „dem Einbildungsspiel [Symbolspiel; M. B.] freier Raum gewährt, so daß auch einmal mit gedachten Kannen und Tassen Tee getrunken werden kann, ohne daß das Spiel zur Spielerei wird“ (Klostermann 1927b, S. 399). Dem Kind ist es mit seinem Spiel ernst. Es ist ihm „ein Spiegelbild des Lebens und bietet alle Möglichkeiten zur Entfaltung der körperlichen und geistigen Kräfte, die später auf höherer Stufe der Aufgabearbeit und schließlich schöpferischer Tätigkeit dienen sollen“ (Klostermann 1927b, S. 401). So wird Friedrich Fröbels Einsicht bestätigt, dass die Welt des Kindes die Welt des Spiels ist, indem es seine einmalige, mit keinem anderen Menschen vergleichbare Persönlichkeit entwickelt (vgl. Klostermann 1932, S. 83 ff.). Aus des „Kindergartenstifters“ Bewertung des kindlichen Spiels „liegt seine Idee des Kindergartens als der Pflanzstätte sinnlich-geistigen Menschentums“ (Klostermann 1927d, S. 226 f) begründet.

Im Jahr 1913 veröffentlichte die „Post-Fröbelianerin“ (Franke-Meyer 2011, S. 168) „eine wertvolle Analyse“ (Heiland 1972, S. 99) über die Fröbelsche Auffassung von „Spiel“, „Arbeit“ und „Spielerei“. Ihr Beitrag wendet sich gegen die landläufige Auffassung, dass Spiel und Arbeit zwei zeitlich unterschiedene Stufen der Menschenentwicklung sind, „wobei der Kindheit das Spiel und dem späteren Alter die Arbeit zugewiesen wird“ (Klostermann 1913, S. 13). Dem ist nicht so, „sondern ein Wechsel von Spiel und Arbeit macht das ganze Leben auf allen Stufen aus“ (ebd.). Diese beiden Seiten des menschlichen Wesens hatte Friedrich Fröbel hinsichtlich der kindlichen „Selbstaktivität“ in seinem System der „Gaben und Beschäftigungen“ berücksichtigt:

„Manche möchten eines der beiden Worte streichen, sie übersehen dabei aber, daß die Gaben vorwiegend Spielmittel und die Beschäftigungen Arbeitsmittel sind. Bei den Gaben ist die Darstellungsform insofern eine freitätige, als das Material unverändert bleibt und immer wieder in seine ursprüngliche Form zurückkehrt. Das Kind übt daran eine freie, spielende Tätigkeit. Die Beschäftigungen hingegen bringen eine Veränderung an dem Material hervor. Der Stoff selber bindet das Kind an die ihm liegenden Bedingungen und an die Gesetze, nach denen er gestaltet werden soll. Das Bauen mit dem Baukasten, das Figurenlegen mit den Täfelchen und Stäbchen ist Spiel, wenn auch ein Spiel, das, wie Fröbel sagt, hohen Ernst und tiefe Bedeutung hat. Ausnähen, Falten, Flechten, Ausschneiden sind Arbeiten, und zwar solche, bei denen das Kind etwas hervorbringt, etwas gestaltet, zugleich aber durch Stoff und Gesetz gebunden ist. Die Anforderungen, die dabei an seine Kraft gestellt werden, müssen dieser vollständig entsprechen. Solange diese Forderung erfüllt ist, findet das Kind in der Arbeit Befriedigung, es empfindet Freude, wie es bei der Arbeit nicht weniger als beim Spiel der Fall sein soll. Häufig macht man die Erfahrung, daß das Kind, wenn die geforderte Arbeit seine Kräfte übersteigt, oder wenn die Arbeit für seine Kräfte zu gering ist, die Freude verliert und mit der Arbeit spielt, das aber ist nicht Spiel.... Sondern das ist wirklich Spielerei, eine der größten Gefahren des Kindesalters und immer ein Beweis, daß die Grenzen von Spiel und Arbeit verwischt sind, die Kraft des Kindes nicht richtig verstanden und geübt worden ist. Aber auch das Spiel kann in Spielerei ausarten, wenn nämlich die Spielmittel, die dem Kinde zur Betätigung seines inneren Lebens dienen sollen, derart sind, daß sie seine freie Tätigkeit hemmen..., wie dies vielfach bei den Spielwaren der Fall ist, womit unsere heutige Jugend beglückt werden soll“ (Klostermann 1913, S. 14

Die Idee des Kindergartens hatte für die „Fröbeljüngerin“ am besten Henriette Schrader-Breymann, Großnichte des „Kindergartenstifters“, „zur Darstellung gebracht. Die Art, wie sie in ihrer Anstalt in Berlin, dem Pestalozzi-Fröbel-Haus, das Spiel der Kinder mit der Wirklichkeit verknüpfen ließ, wie dort das ganze Gebiet der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, die Herstellung von Nahrung, Kleidung, Wohnung, ferner Handwerk, Haushalt, Pflanzen- und Tierpflege, in die Kindertätigkeit hineingewoben und zweckdienlich ausgeübt wurde, ist vorbildlich geworden für den größten Teil der neuzeitlichen Kindergärten. Da ist überall die Brücke geschlagen von der anomen Spieltätigkeit zur heteronomen Aufgabenarbeit, und der Gefahr der Entartung des Spieles zur Spielerei ist in jeder Weise entgegengewirkt“ (Klostermann 1927b, S. 398).

Montessori oder Fröbel?

Nach Ende des Ersten Weltkrieges verstärkte sich die Diskussion innerhalb der Kindergartenbewegung zum Für und Wider der „neuen Erziehung“, der Montessoripädagogik. „Montessori oder Fröbel? (Klostermann 1920a, S. 155) lautete der „Kampfruf“. Gemeinsam ist ihnen, dass sie „nach geeigneten Stoffen zu einer entwickelnden Befriedigung des kindlichen Tätigkeitsdranges [suchten; M. B.] suchten. So fanden sie beide Bildungsmittel für die Kindheit. Nur in der Zielsetzung gingen sie auseinander. Montessori nannte ihre Bildungsmittel ‚Didaktisches Material‘, denn sie suchte Belehrung, Selbstbelehrung für das Kind. Fröbel nannte die seinigen ‚Gaben und Beschäftigungen zur Pflege des schaffenden Tätigkeitstriebes der Kindheit und Jugend‘, denn er suchte Lebenserneuerung der Menschheit durch die Behandlung des Kindes als ‚schaffendes‘, ‚sich bewußt werdendes‘ Wesen“ (Klostermannn 1927b, S. 403). Helene Klostermann war jedoch davon überzeugt, „daß Fröbels Gaben und Beschäftigungen nicht nur die Selbstbelehrungsstoffe der Montessori nach jeder Richtung hin weit überragen, sondern daß sie auch niemals von irgendwelche Erfindung ähnlicher Art übertroffen werden können“ (Klostermann 1920b, S. 63). An anderer Stelle wie sie darauf hin, dass die montessorianische Erziehungsweisheit bereits „schon vor hundert Jahren unser großer Kinderfreund [Friedrich Fröbel; M. B.] ausgesprochen“ (Klostermann 1927, S. 68) hatte.

Dass die Montessorirezeption in Deutschland auf so fruchtbaren Boden fallen konnte, führte Helene Klostermann u. a. auf den prekären Zustand vieler Fröbelkindergärten zurück, die geprägt waren „von plärrendem Gesang“, „Drill“ und „Händeklatschen als ordnender Faktor“ (Klostermann 1927b, S. 402). Doch längst bevor die Montessoripädagogik so an Aufwind gewann, wurde in dem von Henriette Schrader-Breymann in Berlin gegründeten „PestalozziPestalozzi||||| Johann Heinrich Pestalozzi`s (1746 - 1827) pädagogisches Ziel war es eine ganzheitliche Volksbildung zu erreichen, und die Menschen in ihrem selbstständigen und kooperativen Wirken in einem demokratischen Gemeinwesen zu stärken. Er legte Wert auf eine harmonische und ganzheitliche Förderung von Kindern in Bezug auf intellektulle, sittlich-religiöse und handwerkliche Fähigkeiten. Grundidee ist dabei, ähnlich wie in der Montessori-Pädagogik, dass die Menschen die Fähigkeit entwickeln, sich selbst zu helfen.   -Fröbel-Haus“ ein pädagogischer Ansatz verwirklicht, der Elemente der „neuen Erziehung“ vorweg nahm:

„Daß dort die Kinder alle Gegenstände zur Pflege ihrer Umgebung in einem ihrer Größe angepaßten Format haben und täglich gebrauchen, ist so selbstverständlich, daß für Deutschland die Hervorhebung dieser Einrichtung in den Montessorihäusern als einer Neuerung überflüssig erscheint. Ebenso hat jedes Kind seinen ihm erreichbaren Haken für seine Kleidungsstücke und kennt ihn: unter jeden guten Kindergärtnerin kleidet sich das Kind selbständig an und aus, knöpft ohne Hilfe seinen Mantel und bindet seine Schuhe, ohne daß dafür Rahmen mit Knöpf-, Schnür- und Bindeeinrichtungen zum Arsenal des Hauses und zwecklose Übungen damit zur Aufgabe der Kinder gehören. Die Bearbeitung eigener Gärten, und zwar nicht nur mit Zierblumen, sondern auch mit Nutzgewächsen, ist im Kindergarten mindestens ebenso wesentliche Einrichtung wie in den Montessorihäusern; sie geht auch unmittelbar auf Fröbel zurück, dessen eigener Entwurf zu einer Gartenanlage für die Kinder, die in gleichem Maße der Schönheit wie dem Nutzen, dem Eigenbesitz wie dem Gemeinschaftssinn Rechnung trägt, immer noch als vorbildlich gelten kann“ (Klostermann 1927b, S. 400).

Bereits 1920 fragte sich Helene Klostermann wie der „Kampf“ um Fröbel und Montessori ausgehen wird. Sie vertrat die Ansicht, dass Friedrich Fröbels Jünger und Jüngerinnen nur ein Weg offensteht, nämlich sich die „Schätze nicht rauben zu lassen, die sie ihm verdanken“ (Klostermann 1920, S. 157). Ihrer Überzeugung entsprechend steht den Vertreter_innen des Fröbelschen Erziehungsgedanken nur ein Weg offen: sie müssen sich „ganz und gar mit den Bestrebungen der Montessori bekannt machen; sie müssen von ihr lernen, was es bei ihr zu lernen gibt – und das ist nicht wenig -, und dann müssen sie sich mit den neu gewonnen Einsichten Fröbels wieder zuwenden. Sollte sie dann zu der Erkenntnis kommen, daß die Montessori ihnen mehr und Besseres bietet, als Fröbel, dann ist es Zeit, daß Fröbel durch Montessori ersetzt wird. Fröbel selbst hätte bereitwillig den Platz dem geräumt, der den Gedanken der Menschenbildung tiefer erfaßt und befriedigender gelöst hätte, als er. Unwillkürlich drängt sich uns die Erinnerung als Lessinges Fabel von den drei Ringen auf. Auch wir wollen den Urteilsspruch dem Richter überlassen, dem Nathan der Weise ihn anheimgab!“ (Klostermann 1920, S. 157). Wie der Wettstreit der beiden großen Pädagog_innen 100 Jahre später ausgegangen ist, wage ich an dieser Stelle nicht zu entscheiden und überlasse das Ihrer jeweiligen Einschätzung!

Werke (Auswahl)

  • Wie können nach den neuen Bestimmungen die Fröbelschen Ideen in der Schule eingeführt werden?, in: Die Lehrerin in Schule und Haus 1909, S. 1-12
  • Die Bestimmungen über die Neuordnung des höheren Mädchenschulwesens in ihrer Einwirkung auf die Privatschule, in: Die Lehrerin in Schule und Haus 1909a, S. 419-425 und 453-458
  • Spiel und Arbeit, in: Kindergarten 1913, S. 12-14 und 37-40
  • Was verleiht den Fröbelschen Bewegungsspielen ihren Wert?, in: Kindergarten 1914, S. 2-12
  • Montessori oder Fröbel?, in: Kindergarten 1920a, S. 155–157
  • Der Einfluß auf die Entwicklung des Volkscharakters durch die Pflege der Selbsttätigkeit in Kindergarten und Schule, in: Kindergarten 1920b, S. 57–69
  • Zum neuen Jahr, in: Kindergarten 1921, S. 1–3
  • Fünfzig Jahre Fröbel-Verband, in: Kindergarten 1923, S. 1–3
  • Henriette Schrader-Breymann, in: Kindergarten 1923, S. 45–48
  • Die seelischen Bedürfnisse des kleinen Kindes, in: Kindergarten 1925, S. 209–218
  • Dr. Maria Montessori in Berlin, in: Kindergarten 1927, S. 67
  • Das Fröbelmuseum in Bad Blankenburg, in: Kindergarten 1927a, S. 132-135
  • Ausgangspunkt und Zielsetzung der frühkindlichen Entwicklung bei Fröbel und Montessori, in: Die Erziehung 1927b, S. 395–414
  • Friedrich Fröbels Werdegang und sein Wirken als Knabenerzieher, Leipzig 1927c
  • Fröbels Idee des Kindergartens, wie sie sich in der Lebens- und Weltanschauung ihres Schöpfers darstellte, in: Kindergarten 1927d, S. 222–227
  • Der Name „Kindergarten“ eine Offenbarung, in: Kindergarten 1928, S. 213–217
  • Friedrich Fröbels Ideen über das Spiel des Kindes, in: Kindergarten 1932, S. 83–88
  • Friedrich Fröbel, in Kindergarten 1935, S. 162–163
  • Grundlagen des Rechenunterrichts, in: Kindergarten 1935, S. 178-184
  • Einleitung, in: Blochmann, Elisabeth/Nohl, Herman/Weninger, Erich (Hg.): Fröbels Theorie des Spiels II. Langensalza/Berlin/Leipzig o. J. S. 3-6

Literatur

  • Berger, Manfred: Frauen in der Geschichte des Kindergartens. Ein Handbuch, Frankfurt 1995. S. 107-111
  • Franke-Meyer, Diana: Kleinkindererziehung und Kindergarten im historischen Prozess. Ihre Rolle im Spannungsfeld zwischen Bildungspolitik, Familie und Schule, Bad Heilbrunn 2011
  • Heiland, Helmut: Literatur und Trends in der Fröbelforschung, Weinheim 1972
  • Hoffmann, Erika: Letzte Begegnung mit Helene. L. Klostermann, in: Kindergarten 1935, S. 161–162
  • Hoffmann, Erika: Nachwort, in: Blochmann, Elisabeth/Geißler, Georg/Nohl, Herman/Weniger, Erich (Hg.): Kleine Pädagogische Texte Fröbels. Theorie des Spiels II, Weinheim 1962, S. 7-8
  • Kley, Maria: Helene L. Klostermann, in: Die Erziehung Jhg. 1935, S. 540-542
  • Kley, Maria: Festschrift zum 80-jährigen Bestehen des Lyzeums Klostermann in Bonn, Bonn 1927
  • Konrad, Franz-Michael: Kindergarten oder Kinderhaus? Montessori-Rezeption und pädagogischer DiskursDiskurs|||||Der Begriff Diskurs kann verschiedene Bedeutungen haben, wurde ursprünglich jedoch als  „hin und her gehendes Gespräch“ verwendet. Weitere Bedeutungen sind: theoretische Erörterung, systematische, methodische Abhandlung, gesellschaftliche Auseinandersetzung, Erörterung. Sinnverwandt sind auch Debatte, Diskussion, Disput.  in Deutschland bis 1939, Freiburg/Brsg. 1997
  • Leutheußer, Elisabeth: Helene Klostermann und das Blankenburger Fröbelhaus, in: Kindergaten 1935, S. 158-159
  • Lück, Conradine: Helene Luise Klostermann, in: Die Frau 1934/35, S. 631-639
  • Lück, Conradine: Helene Luise Klostermann. Ein Lebensbild, in Kindergarten 1935, S. 141–161
  • Lück, Conradine: Frauen. Acht Lebensschicksale, Reutlingen 1937, S. 285-330
  • Schulte, Klara: Helene L. Klostermann zum 70. Geburtstage, in: Kindergarten 1928, S. 142-145
  • Steinen, Carla. V.: Helene Klostermann und die Kinder, in Kindergarten 1935, S. 159-161
  • Strnad, Elfriede: Helene L. Klostermann zu ihrem Hundertsten Geburtstag, in: Blätter des Pestalozzi-Fröbelverbandes 1958, S. 118-122
  • Wiener-Pappenheim, Anna: Helene l. Klostermann zum 70. Geburtstage. 29. Juli 1928, in: Kindergarten 1928, S. 141

Online
https://www.nifbe.de/component/themensammlung?view=item&id=541:julie-salis-schwabe-1819-1896&catid=37 (zuletzt abgerufen 16.9.2019)
https://kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/geschichte-der-kinderbetreuung/manfred-berger-frauen-in-der-geschichte-des-kindergartens/431 (zuletzt abgerufen 16.9.2019)

https://www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/geschichte-der-kinderbetreuung/manfred-berger-frauen-in-der-geschichte-des-kindergartens/226 (zuletzt abgerufen 16.9.2019)



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