Zusammenarbeit zwischen Kita und Familie

Studie der Bertelsmann Stiftung beleuchtet Perspektiven und Herausforderungen


Für Kinder sind die Familie und die Kita in den ersten Lebensjahren ihre zentralen Lebenswelten. In täglichen Bring- und Abholsituationen, bei gemeinsamen Kita-Festen, Elterngesprächen oder Elternabenden treffen sie, ihre Eltern und die Fachkräfte in der Kita aufeinander. In der fachlichen Debatte wird das Ziel formuliert, dass Familie und Kita zum Wohl des Kindes eine Bildungs- und Erziehungspartnerschaft eingehen und gut zusammenarbeiten sollen. Und auch Eltern, Fachkräfte und Kinder selbst haben selbstverständlich ein hohes Interesse an einem guten Verhältnis zueinander. Was aber passiert eigentlich an den vielfältigen Schnittstellen zwischen Familie und Kita? Welche Vorstellungen und Wünsche haben Eltern und Fachkräfte mit Blick auf die Zusammenarbeit? Unter welchen Rahmenbedingungen im Kita- und im Familienalltag kann und muss das Verhältnis zueinander gestaltet und gelebt werden? Und welche Rolle spielen dabei die Kinder? Welche Chancen, aber auch welche Barrieren entstehen für sie durch den Kontakt und die verstärkte Zusammenarbeit zwischen Familie und Kita?

Beobachtungen aus der Praxis


Dies interessiert besonders mit Blick auf das Ziel, durch Zusammenarbeit zu fairen Bildungschancen beizutragen. Diesen Fragen geht eine neue Studie der Bertelsmann Stiftung nach. Dafür haben Tanja Betz von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und ihre Kolleginnen über ein Jahr hinweg den Alltag in vier Kitas in sozial unterschiedlich gut situierten Stadtteilen beobachtet. Zudem haben sie zahlreiche Interviews und Gespräche mit Fachkräften, Kita- Leitungen und Eltern zur Zusammenarbeit zwischen Kita und Familie geführt. Mit ihrer Forschung geben sie einen empirischempirisch|||||Empirie bezeichnet wissenschaftlich durchgeführte Untersuchungen und Erhebung, die gezielt und systematisch im Forschungsfeld oder im Labor durchgeführt werden. Empirische Forschungen können durch verschiedene Methoden praktisch angewendet werden.en Einblick in die tägliche Ausgestaltung der Schnittstellen zwischen Kita und Familie, den es so bisher nicht gibt.

Zu wenig Ressourcen und Stereotype erschweren Zusammenarbeit

Die Befunde machen deutlich, wie vielfältig die Perspektiven und Wünsche von Eltern und von Fachkräften auf die Zusammenarbeit sind und vor welchen Herausforderungen sie dabei stehen: Fachkräfte thematisieren schlechte Rahmenbedingungen in vielen Kitas, wie Personalmangel, zu wenig Zeit und die hohe Arbeitsbelastung, die einen kontinuierlichen Vertrauensaufbau und gute Arbeit mit den Eltern erschweren. Aber auch die Tatsache, dass nicht alle Eltern über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen, diese aber für die Kommunikation in aller Regel Voraussetzung sind, ist im Alltag eine enorme Herausforderung für die Fachkräfte. Für diese müssen sie kreative, aber oftmals auch sehr zeitintensive Lösungen finden. Zudem stellen auch defizitäre Bilder von vermeintlich „sozial schwachen“ oder „bildungsfernen“ Familien oft eine schwer zu überwindende Hürde für ein gutes Miteinander dar. Hier spiegeln sich im Kita-Alltag in Teilen auch Vorbehalte und Stereotype der öffentlichen Debatte in unserer Gesellschaft.

Eltern haben sehr unterschiedliche Vorstellungen

Eltern formulieren wiederum sehr heterogene Vorstellungen, was Formen und Intensität der Zusammenarbeit mit der Kita angeht. Während sich manche Eltern einen intensiven Austausch und Erziehungstipps wünschen, empfinden andere solche Tipps als unangemessene Belehrung. Einigen Eltern fehlt aufgrund ihrer Berufstätigkeit schlicht die Zeit, sich in der Kita stärker einzubringen oder sie sehen dazu auch nicht unbedingt die Notwendigkeit. Andere Eltern möchten hingegen möglichst viel über den Kita-Alltag und ihre Kinder erfahren. Sie bringen sich selbst gerne in die Kita ein oder elfen – gerade angesichts der oft schwierigen Personalsituation – aus. Wieder andere Eltern ziehen sich z. B. aufgrund von Sprachbarrieren aus der Kita zurück und trauen sich eine Beteiligung im Elternrat oder ähnlichen Mitwirkungsgremien in der Kita nicht zu.

Und wo bleiben die Kinder?

Welche Rolle und welche Wünsche Kinder in der Zusammenarbeit haben, ist den meisten Erwachsenen auf den ersten Blick gar nicht bewusst und auch nicht Gegenstand der fachlichen Debatte. Auch das zeigen die Befunde der Forscherinnen. Dabei übermitteln Kinder Informationen, sind Boten und versuchen durchaus auch bewusst, entweder Fachkräfte oder Eltern für ihre eigenen Interessen zu gewinnen und diese in der Zusammenarbeit durchzusetzen. Aus den Beobachtungen und Interviews wird zudem sehr deutlich, dass die Kooperation der Erwachsenen nicht automatisch zum Wohl der Kinder erfolgt. Vielmehr verbünden sich Eltern und Fachkräfte gerade in Bring- und Abholsituationen auch, um sich bisweilen gegen den deutlich artikulierten Wunsch eines Kindes durchzusetzen.

Zusammenarbeit ist eine anspruchsvolle und herausfordernde Aufgabe

Insgesamt weisen die Ergebnisse der Studie darauf hin, dass die Gestaltung der Schnittstellen zwischen Familie und Kita eine anspruchsvolle und herausfordernde Aufgabe für alle Beteiligten ist. Sie erfordert einen ständigen Dialog und Aushandlungsprozesse, damit die unterschiedlichen Wünsche und Vorstellungen bearbeitet werden können. Zudem müssen die Lebens- und Arbeitskontexte sowohl von Fachkräften als auch Familien mitbedacht und kulturelle wie soziale Unterschiede reflektiert werden. Und schließlich sollte die bisherige (Nicht-)Beteiligung von Kindern in der Zusammenarbeit von Familie und Kita noch stärker in den Blick genommen werden, um ihren Beitrag in der Zusammenarbeit sichtbar, aber auch mehr und andere Formen ihrer Mitwirkung möglich zu machen.
Um allen Kindern eine Chance auf gutes Aufwachsen und faire Bildung zu eröffnen, ist es unabdingbar, intensiv und zugleich reflektiert und ausgewogen darüber zu diskutieren, wie genau das Verhältnis zwischen Kita und Familie gestaltet sein soll. Der Wunsch bzw. das Ziel einer – auf den ersten Blick sehr harmonisch und einfach klingenden – Bildungs- und Erziehungspartnerschaft allein reicht nicht aus. Vielmehr muss man die unterschiedlichen Perspektiven aller Beteiligten und insbesondere die notwendigen Rahmenbedingungen für gute pädagogische Arbeit in den Blick nehmen. Denn ohne die dafür notwendige Ressourcenausstattung in der Kita, gute Personalschlüssel, Zeit für Gespräche und Reflexion sowie Aus- und Weiterbildung ist eine kultur- und ungleichheitssensible Arbeit an den Schnittstellen von Familien und Kita, die auch die Perspektiven der Kinder mitberücksichtigt, nicht zu haben.
 

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