Erfolgreiches Führen in der Kindertagesstätte

Humanistische Führungskonzepte gewinnen immer mehr an Bedeutung – auch in Kitas

Co-Autorin: Dr. Ariane Wahl


Leitungskräfte in Kindertagesstätten suchen Lösungen, um sinnvoll mit sich permanent wandelnden Anforderungen, veränderten Rahmenbedingungen und der Komplexität des Kita-Alltags umzugehen. Für die Führung von elementarpädagogischen Einrichtungen finden sich bislang jedoch nur wenige spezifische Führungskonzepte, die den Besonderheiten dieser Bildungseinrichtungen gerecht werden.

Eine zentrale Herausforderung für Leitungskräfte in Kitas liegt in der hohen Komplexität, die durch die Vielzahl der beteiligten Akteure (Kinder, pädagogische Fachkräfte, Leitungskräfte, Kita-Träger, öffentliche Kinder- und Jugendhilfe, Einrichtungen der Administration, Elternschaft) sowie durch umfassende Managementaufgaben (Bildungs-, Qualitäts-, Personal-, Haushaltsmanagement, Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung) bedingt ist. Des Weiteren verfügen Kita-Leitungskräfte zwar über die erforderliche Sach- und Führungskompetenz, die Personal- und Entscheidungskompetenz kann jedoch auch auf den zuständigen Träger verlagert sein.

Die Vielfalt der Akteure, Aufgabengebiete und Rollen einer Leitungskraft bedürfen eines Führungsmodells, das diesen Kita-spezifischen Anforderungen angemessen ist. Genauso wie jeder Mensch unterschiedlich ist, ist auch jede Kita unterschiedlich und hat eigene Stärken und Schwächen. Es gibt also nicht das eine Modell für Führung, das alle Leitungskräfte verfolgen können, um erfolgreich zu sein. Führung ist immer individuell und entsteht im Zusammenwirken von unterschiedlichen Akteuren (Leitungskräfte, pädagogische Fachkräfte, Kinder, Eltern, Träger) mit ihrem Umfeld.

Moderne Führungskonzepte ermöglichen Zusammenarbeit auf Augenhöhe

So wie sich die Gesellschaft, die Menschen und die Anforderungen an Organisationen wandeln, so ist auch Führung im Wandel begriffen. Bisherige Führungsmodelle scheinen ihre Grenzen erreicht zu haben. Nach Sprenger (2012, S. 55) zählt das Ermöglichen von Zusammenarbeit zu einem Bestandteil moderner Führungsansätze. Laloux (2015) ist in seinem Buch »Reinventing Organizations – ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit« der Frage nachgegangen, wie die Zusammenarbeit in Organisationen sinnvoll und zukunftsfähig gestaltet werden kann.

Seiner Meinung nach liegen die Schwierigkeiten in großen Teilen an der hierarchischen Struktur von Organisationen, die häufig als Maschinen betrachtet werden, in denen eine Führungskraft »die Hebel betätigt und dadurch die Mitarbeiter weiter unten in Bewegung setzt, wie Zahnräder in einer Maschine« (Laloux 2015, S. 54).

Auch die Metapher der Organisation als Familie lässt seines Erachtens Raum für Zweifel: »Wenn ich Ihr Chef bin und Sie mir über Ihre Arbeit berichten, gehen wir dann davon aus, dass ich der Vater bin und Sie das Kind?« (ebd., S. 54). Er spricht sich für »evolutionäre Organisationen« aus, die er als »lebende Organismen« – analog der Natur – beschreibt: in der Natur »zeigt sich der selbstorganisierende Drang, der jeder Zelle und jedem Organismus innewohnt. Dabei braucht es keine zentrale Autorität, die Befehle gibt und die Entscheidungen trifft« (Laloux 2015, S. 54).

Dem schließt sich auch Fingerle (2013, S. 15) an, der postuliert, dass moderne Führungskräfte
  • weniger kontrollieren, mehr ermöglichen,
  • Hierarchien abbauen,
  • verstärkt moderieren,
  • Selbstorganisation fördern,
  • Individualität und Diversität aktiv nutzen sowie
  • die Gestaltung der Arbeitsumgebung unterstützen sollten.

Rogers, ein Vertreter des Humanistischen Ansatzes, hat bereits 1981 den hierarchischen Aufbau von Organisationen kritisiert: »Das Paradigma der westlichen Gesellschaft lautet, daß der Mensch im Grunde gefährlich ist; deshalb müsse er belehrt, geführt und kontrolliert werden. Doch unsere Erfahrung hat gezeigt, daß ein anderes Paradigma für den einzelnen als auch für die Gesellschaft weitaus effektiver und konstruktiver ist. Dieses besagt, daß die Menschen, sofern ein geeignetes Klima vorhanden ist, vertrauenswürdig, schöpferisch eigenmotiviert, tatkräftig und konstruktiv sind« (Rogers 1981, S. 103 f.).

Auch nach dem Menschenbild von Berne (1966, S. 259), das der Transaktionsanalyse zugrunde liegt, sind Menschen »von Art, Wesen und Entwicklungsmöglichkeiten her in Ordnung, so wie sie sind. Jedes normale menschliche Kind kommt mit der Fähigkeit auf die Welt, seine Möglichkeiten zu seinem und zum Vorteil der Gesellschaft zu entwickeln, sich seines Lebens zu freuen, produktive und kreative Arbeit zu leisten und frei von psychischen Störungen zu sein«.

Das Herzstück einer Kita sind die Menschen, die dort zusammenkommen – sie sind die wichtigste Ressource. Wenn sie die Gelegenheit haben, sich sinnvoll einzubringen, tragen sie auch zum Erfolg bei. Es stellt sich die Frage, wie Kitas zu einem Ort werden können, an dem sowohl die pädagogischen Fachkräfte als auch die Kinder ihre Potenziale entwickeln können und mit Begeisterung in die Einrichtung kommen.

Die von Laloux (2015, S. 54 f.) angeführten evolutionären Organisationen zeichnen sich durch drei wesentliche Bausteine aus: Selbstführung, Ganzheit und evolutionärer Sinn, die nachfolgend genauer betrachtet werden.

Selbstführung
Selbstführung bedeutet, dass Organisationen hierarchiefrei funktionieren und Führungskräfte auf Machtausübung, die sich nach Laloux negativ auf die Motivation auswirkt, verzichten (vgl. Laloux 2015, S. 60). Selbstführende Teams übernehmen die Verantwortung für alle Aufgaben, die vorher auf verschiedene Abteilungen oder Zuständigkeiten verteilt waren (ebd., S. 63). Für die Koordination und den Wissensaustausch zwischen den Teams sind ausgewählte Teammitglieder, die sich in regelmäßigen Abständen treffen, zuständig (ebd., S. 77).

Dass dies im Bildungsbereich keine Utopie ist, zeigt ein Beispiel aus dem Schulkontext. Die Direktorin des »ESBZ« (Evangelische Schule Berlin Zentrum) ist überzeugt davon, dass Bildung dem wahren Potenzial und wahren Wesen der Kinder gerecht werden sollte« (ebd., S. 95). An dieser Schule tragen die Schüler die Verantwortung für ihr Lernen, unterrichten sich in großen Teilen selbst und die Erwachsenen stehen ihnen vor allem als Beratende und Begleitende zur Verfügung. Jedes Kind hat seinen eigenen Lernrhythmus, Ältere helfen Jüngeren, Schnellere den Langsameren und trotzdem gibt es klare Vorstellungen, was bis zum Ende eines Schuljahres mindestens von allen erreicht werden soll (ebd., S. 96). Fortschritte werden in Lerntagebüchern dokumentiert und mit Tutoren besprochen, Praxisbezüge werden durch Projekte hergestellt. Nicht nur die Heranwachsenden, auch die Lehrkräfte und die Eltern arbeiten in Teams, die auch ohne Einverständnis der Direktorin Entscheidungen treffen können (ebd., S. 98). Grundlage der Entscheidungsfindung sind Beratungsprozesse, d.h. grundsätzlich können alle Beteiligten einer evolutionären Organisation alle Entscheidungen treffen, wenn sie sich vorher den Rat aller davon Betroffenen einholen und externe Expertise berücksichtigen (ebd., S. 100).

Auch in der Kita-Praxis zeigen sich zahlreiche Ansätze für Partizipation. Kinder entscheiden beispielsweise im Kinderrat ihrer Gruppe über die Festlegung von Umgangsregeln oder die Planung von Festen und Ausflügen. In der Kinderkonferenz, die sich aus Vertretungen der Gruppen zusammensetzt, wird über die Verteilung des Budgets für die Anschaffung neuer Spielgeräte entschieden (vgl. Mieth et al. 2018, S. 25 ).

Ganzheit
Aus Angst vor Kritik oder Ablehnung verbergen Menschen Teile ihres Selbst im beruflichen Kontext und damit auch wichtige Aspekte ihrer Kreativität und Energie. In evolutionären Organisationen hingegen werden Menschen ermutigt, ihr ganzes Selbst zum Ausdruck zu bringen (vgl. Laloux 2015, S. 145). Wichtig dafür sind neben Reflexionsräumen u.a. das Schaffen einer sicheren Arbeitsumgebung sowie Möglichkeiten der Beratung, Supervision und persönlichen Weiterbildung (ebd., S. 147).

Da organisatorisches Handeln immer im Kontext von Gesellschaft und Umwelt stattfindet, sind auch ökologische und soziale Aspekte einzubeziehen. So hat z.B. die Firma Patagonia, ein Hersteller von Outdoorbekleidung, ein »Child Development Center« für Kinder der Mitarbeitenden gegründet. Hier gehört es zum Alltag, dass Kinder ihre Eltern am Arbeitsplatz besuchen oder gemeinsam zu Mittag essen (ebd., S. 147).

Im Kita-Bereich kann durch Inklusion und die gemeinsame Betreuung von Kindern mit und ohne Förderbedarf sowie soziale und kulturelle Vielfalt ein breites Spektrum gesellschaftlicher Realität abgebildet werden. Die Leiterin einer Einrichtung formuliert diesen ganzheitlichen Anspruch treffend mit »Wir wollen gemeinsam freudig wachsen und uns entfalten, so verschieden wir auch sind« (vgl. Mieth et al. 2018, S. 32 f.).

Evolutionäre Organisationen sind nicht mehr nur auf Selbsterhalt durch Konkurrenz, Marktanteile und Wachstum fixiert, sondern fokussieren einen übergreifenden höheren Sinn, der sich in allen Aktivitäten niederschlägt. Er ergibt sich aus der Identität, der Berufung und dem kreativen Potenzial einer Organisation, mit dem Ziel einen wertvollen Beitrag für die Welt zu leisten (Laloux 2015, S. 194 f.). Da evolutionäre Organisationen lebendig sind und über eine eigene Energie und Richtung verfügen, kann der Sinn sich auch weiterentwickeln. Alle Mitarbeitenden können z.B. wahrnehmen wo sich gerade Gelegenheiten und Möglichkeiten bieten (ebd., S. 206). D.h. nicht allein die Leitung legt eine Strategie fest, der alle folgen müssen, sondern die Mitarbeitenden werden ermutigt, ihrer Wahrnehmung für den Sinn und die Richtung der Organisation zu trauen (vgl. ebd., S. 208). Wenn der individuelle Sinn von Mitarbeitenden sich mit dem Organisationssinn verbindet, wird die tägliche Arbeit zu einer Quelle der Freude und Inspiration (vgl. ebd., S. 221 f.).

Als Beispiel kann die Entwicklung von Familienzentren betrachtet werden im Sinne von Kitas, die ein Netzwerk bilden, das Kinder individuell fördert und Familien umfassend berät und unterstützt. Familienzentren sind entsprechend Bildungs- und Erfahrungsorte, die an den Lebenszusammenhängen des Standorts orientiert sind, Selbsthilfepotenziale der Beteiligten aktivieren und soziale Netzwerke fördern (vgl. Mieth et al. 2018, S. 32).

Fazit

Für die Zukunftsfähigkeit von Kitas werden Leitungskräfte gebraucht, die
  • Veränderungsprozesse aktiv gestalten
  • Mut haben, Abläufe zu hinterfragen und ggf. loszulassen
  • Vertrauen in die Fähigkeiten ihrer MitarbeiterInnen haben
  • Aufgaben und Verantwortlichkeiten abgeben
  • Daran glauben, dass Menschen motiviert sind, gemeinsame Ziele zu verfolgen
  • auf Augenhöhe mit allen beteiligten Akteuren arbeiten.

Literatur

  • Berne, E. (1966): Principles of Group Treatment. Oxford: University Press.
  • Buhl, M./Freytag, T./Iller C. (2016): Organisationsentwicklung im Elementarbereich. URL: http: / /
  • www. pedocs. de/ volltexte/ 2016/ 12368.
  • Fingerle, B. I. (2013): Sich und andere führen. Wandel in Bibliotheken aktiv gestalten. Berlin/Boston: de Gruyter.
  • Laloux, F. (2015): Reinventing Organizations – ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der
  • Zusammenarbeit. München: Vahlen.
  • Mieth, C./Baier, J./Buhl, M./Freytag, T./Iller, C. (2018): Organisationsentwicklung in Kitas. Beispiele
  • gelungener Praxis. Hildesheim: Universitätsverlag. URL: https: / / doi. org/ 10. 18442/ 771.
  • Rogers, C. (1981): Der neue Mensch. Stuttgart: Klett-Cotta.
  • Sprenger, R. (2012): Radikal führen. Frankfurt/ New York: Campus.


INFO
Der vorliegende Beitrag entstand vor dem Hintergrund der Ergebnisse eines von der Robert-Bosch-Stiftung geförderten Projekts (www. bosch- stiftung. de/ de/ projekt/handbuch- organisationsentwicklung- kitas- beispiele- gelungener- praxis). In einer ersten Phase wurde gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus Praxis, Politik und Wissenschaft eine vom Projektteam im Vorfeld erstellte Bestandsaufnahme zu konzeptionellen Grundlagen für die Organisationsentwicklung im Elementarbereich diskutiert (vgl. Buhl/Freytag/Iller 2016). In der zweiten Projektphase wurde im Sinne eines Good-practice-Ansatzes auf der Grundlage von Fallstudien in verschiedenen Einrichtungen des Elementarbereichs ein Praxishandbuch erstellt, welches von den Trägern, den Leitungen oder auch in den Teams dazu genutzt werden kann, um die Qualität der eigenen Einrichtung zu diskutieren und Organisationsentwicklungsprozesse anzustoßen (vgl. Mieth et al. 2018). In der aktuell laufenden Projektphase geht es um die Analyse verschiedener Verbreitungsstrategien und den Wissenschaft-Praxis-Transfer.

Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus
KiTa aktuell ND, 06-2019, S. 141 - 143




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