Selber denken macht schlau

Philosophieren mit Kindern als pädagogische Grundhaltung

Inhaltsverzeichnis

  1. Mit dem Hebammen-Prinzip zur Sinnfrage
  2. Anlässe für nachdenkliche Gespräche
  3. Dem Streit auf der Spur
  4. Werte(n) lernen durch Philosophieren

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Dem Streit auf der Spur

Im Folgenden mochte ich eine exemplarische, philosophische Denkbewegung aufzeigen. Dies kann mit Hilfe eines kurzen Textes, in diesem Falle eines Gedichts aus dem Band „Ich lieb dich trotzdem immer“ (Angela Sommer-Bodenburg, dtv) geschehen:

Wenn/auf dem Hof/die Großen/uns Kleine/immer/stoßen.
Dann/war ich/gerne/auf dem Mond,/denn der/ist unbewohnt.

Indem ich den Text in zwölf Teile gliedere, schaffe ich die Voraussetzungen für ein Texttheater mit zwölf Mitspielerinnen und einer Dirigentin. Jedes Kind spricht nur seinen Textteil, wenn die Dirigentin mit dem Finger auf es zeigt (auch mehrmals hintereinander). Wie das Kind seinen Text spricht, bleibt ihm überlassen. Es fängt an, sich auf diese Weise in der Kunst des Deutens zu üben, eine Grundfähigkeit (Basiskompetenz) für das Philosophieren und eine angenehme Alternative zum Vorlesen.

An diesen Text werden Fragen geknüpft, die vier Stufen einer philosophischen Denkbewegung exemplarisch markieren:

(1) Ist es wirklich immer so, dass die Großen die Kleinen stoßen?
Was tun die Großen außerdem noch? Wie verhalten sich die Kleinen? Tun wirklich alle Großen immer dasselbe? (Mit diesen Fragen regen wir das Hinterfragen einer gegebenen Situation an.)

(2) Was heißt überhaupt „groß“ bzw. „klein“? Kann man zugleich groß und klein sein? Gehörst du eher zu den Großen oder zu den Kleinen? (Mit diesem Fragen klären wir miteinander die relativen Begriffe groß und klein.)

(3) Was ist schon daran, groß zu sein? Gibt es auch Gutes beim Kleinsein? Was warst du lieber? Warum? Wie fühlt man sich, wenn man klein ist? Was meinst du, wie sich wohl die Großen fühlen? (Mit diesen Fragen holen wir persönliche Wertungen ins Bewusstsein und versuchen uns in andere einzufühlen/Empathie.)

(4) Was tust du, wenn es Streit gibt? Warum gibt es überhaupt Streit (Streitgründe)? Würdest du auch manchmal gern auf den Mond oder sonst wohin verschwinden? Weshalb? Warum nicht? Was nutzt es, wenn man davon läuft? Gabe es noch anderes, was du tun könntest?

Dieses Beispiel einer philosophischen Denkbewegung läßt sich in entsprechend abgewandelter Form auf viele Texte anwenden und hilft allen Beteiligten, philosophisches Denken erfahrbar und begreifbar zu machen – auch und gerade im Kindergarten.

Philosophieren mit Bilderbüchern
Mit dem Buch „Die Geschichte vom Löwen, der nicht schreiben konnte“ (Martin Baltscheit, Beltz Verlag) findet eine Form des Philosophierens statt, die noch relativ selten vorkommt, die situative Rollenbefragung. Die Vorleserin greift eine Stelle der Geschichte heraus, die eine szenische Leerstelle enthält, also Raum für Fragen bietet. Sie fordert die Zuhörenden auf, sich in den Löwen hinein zu versetzen und sich zu überlegen, was der Löwe in dieser Situation denken konnte. Die Kinder antworten in knappen Sätzen und offenbaren damit ihre Fähigkeit zur Empathie (die unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann), ebenfalls ein wichtiges Handwerkszeug des Philosophierens.

Bei Kindern im Kindergartenalter kommt es darauf an, Fähigkeiten durch philosophische Fragestellungen zu entwickeln, die sich am ehesten mit den Begriffen „Differenzierendes Wahrnehmen“, „Differenzierendes Denken" und „Differenzierendes Handeln“ beschreiben lassen.


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