Kita 2030: Wie sieht die Zukunft der Kitas aus?


Qualität, Fachkräftemangel und die demographische Entwicklung sind Themen, die die Kitas auch 2030 stark beschäftigen werden ■ Die Migrationsbewegungen von 2015 bis 2016 stellen Kitas vor zusätzliche Herausforderungen, die aber auch ihre herausragende Position für den Zusammenhalt in der Gesellschaft unterstreichen.

Das Zitat »Prognosen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen« wird gerne unterschiedlichen Personen zugeschrieben (unter anderem Kurt Tucholsky und Winston Churchill). Ebenso verhält es sich natürlich auch, wenn überlegt wird, wie die Kita 2030 aussehen wird. Dennoch lohnt sich diese Überlegung, um aktuelle (gesellschaftliche) Entwicklungen weiterzudenken und in Zusammenhang mit der Arbeit in Kindertageseinrichtungen zu bringen. Denn dann wird noch einmal besonders deutlich, welch wichtiger Auftrag zur Demokratiebildung Fachkräften von Kindertageseinrichtungen in der Gesellschaft zufällt und welches Potenzial für Bildung (und Bildungspolitik) in der Arbeit frühpädagogischer Fachkräfte liegt. Dieser Punkt soll als Schlüssel für die Kita 2030 nachfolgend eine nähere Beleuchtung erhalten.

Kitas sind Teil gesellschaftlicher Verhältnisse

Drei zentrale Aspekte – Migration (Ein- und Auswanderung und regionale Wanderungsbewegungen), Geburtenrate und Mortalität (Sterberate und Alter der Menschen, die sterben) – bestimmen die Entwicklung der Bevölkerungsstruktur. D.h., natürliche Bevölkerungsveränderungen haben besonderen Einfluss auf die Zusammensetzung der Bevölkerung (vgl. u.a. bpb 2017; Pötsch & Rößger 2015: 5 ff.). Migration als ein zentraler Faktor ist besonders hervorzuheben, denn Deutschland gilt als Einwanderungsland (vgl. bpb 2017). Zukunftsfähige Kita-Konzepte müssen die wachsende Heterogenität berücksichtigen und einen Ansatz verfolgen, der kulturelle und religiöse Vielfalt fördert und demokratische Bildung und Erziehung von Anfang an ausgestaltet.

Demokratische Bildung und Erziehung in der Kindertageseinrichtung
Dass Kitas sich schon seit Jahren in einem tiefgreifenden Reformprozess befinden, ist keine neue Erkenntnis. Die Delphi-Befragung zur Zukunft von Kindertageseinrichtungen in Deutschland »KiTa 2030« (de Haan 2014) baut auf dieser Erkenntnis auf und fasst auf Grundlage einer geschichtlichen Analyse Anlässe für den tiefgreifenden Wandel von Kindertageseinrichtungen zusammen.

Die Analyse – nunmehr 3 Jahre alt – scheint nicht an Aktualität verloren zu haben. Lediglich die Bedeutung der Anlässe erscheint angesichts der jüngeren Entwicklungen eine unterschiedliche Gewichtung zu verdienen. Insbesondere die Punkte »kulturelle Diversität« und »demographische Entwicklung« haben durch die Migrationsbewegungen von 2015 bis 2016 eine neue Bedeutung erhalten. Vielleicht würden die Autoren der Studie heute aber auch »Demokratieentwicklung« als einen neuen Anlass hinzufügen.

In der Altersgruppe der Kinder unter 5 Jahren ist der Anteil derjenigen mit Migrationshintergrund doppelt so hoch wie in der Gesamtbevölkerung (vgl. Sulzer 2013: 10). Es verwundert daher nicht, dass aktuelle rechtspopulistische Positionen sich auch bei den Teams, den Eltern und den Kindern in Kindertageseinrichtungen auswirken. Alltagsrassistische Äußerungen von Eltern gegenüber anderen Eltern oder Teammitgliedern und auch von Kindern untereinander sind je nach Lage der Einrichtung in bestimmten städtischen oder ländlichen Gebieten offensichtlich keine Einzelfälle mehr, wie sich aus Befragungen der Frühpädagogik-Studierenden an der Hochschule Koblenz ergibt, sondern mehren sich beunruhigender Weise.

Demokratie setzt informierte und engagierte Bürger voraus
Der Begriff Demokratie kommt aus dem Altgriechischen und kann übersetzt werden mit »Herrschaft des Volkes«. Gemeint ist damit, dass Macht und Regierung vom Volk ausgehen – entweder unmittelbar oder durch Auswahl von Entscheidungsträgern und Repräsentanten. Demokratische Systeme setzen den einzelnen Bürger, den Menschen in seiner Würde und Einzigartigkeit in den Mittelpunkt. Das partizipative Wesen von Demokratie steht und fällt daher mit engagierten und informierten Bürgern (vgl. Oeftering et al. 2006: 3).

Oben geschilderte Entwicklungen offenbaren, dass pädagogische Fachkräfte und auch Träger oft mit Situationen von Alltagsrassismus überfordert sind. Um Engagement von Fachkräften im Sinne von vorurteilssensibler und antirassistischer Früherziehung zu ermöglichen, bedarf es der Sensibilisierung der Fachkräfte für Demokratie und Alltagsrassismus.

Ganz konkret: Wie reagieren Fachkräfte auf rechtspopulistische Aussagen von Kindern und auch Eltern, ohne die Erziehungspartnerschaft nachhaltig zu gefährden? Und wie können Kinder und Eltern auch aus anderen Kulturkreisen einbezogen werden? Wie kann das Recht der Kinder auf Schutz vor Diskriminierung gewahrt werden (vgl. UN-Kinderrechtskonvention)?

In einer Befragung der Hochschule Koblenz bei einem großen kirchlichen Träger von Kindertageseinrichtungen (n=210) hat sich gezeigt, dass Fachkräfte oft über die eigene politische und kulturelle Haltung nur wenig reflektieren. Der politische und kulturelle Diskurs mit Eltern wird oftmals vermieden und (alltags)rassistische oder rechtspopulistische Aussagen werden von Fachkräften unkommentiert stehen gelassen. Hier wird im Alltag das Prinzip deutlich, dass die Bürger informiert sein müssen, um Demokratie leben zu können. Information heißt an dieser Stelle vor allem auch Selbstreflexion. Denn erst die Reflexion der eigenen Haltung befähigt Fachkräfte, »sattelfest« in den Diskurs mit Eltern zu gehen, sich abzugrenzen und demokratische Grundwerte aktiv zu vertreten.
Grundlegend ist, dass Fachkräfte einen offenen Diskurs über Probleme und Vorurteile sowie Stereotypen in der Einrichtung führen dürfen und mit ihren Ängsten vor allem von Leitungs- und Trägerseite ernstgenommen werden, sodass Selbstreflexionsprozesse angestoßen werden können.

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Der Kindergarten als zentrale Sozialisationsinstanz der Zukunft

Kitas sind zunehmend zentrale Sozialisationsinstanzen sowie Lern- und Lebensorte für Kinder und ihre Eltern. Sie bieten einen Erfahrungsraum vielfältiger kultureller Möglichkeiten sowie sehr unterschiedlicher zwischenmenschlicher Beziehungen, der von zentraler Bedeutung für ein friedliches Miteinander ist. Neben der direkten Arbeit mit dem Kind umfasst das Aufgabenspektrum der pädagogischen Fachkräfte die kontinuierliche Zusammenarbeit mit den Bezugspersonen und Eltern (vgl. Rönnau-Böse, Fröhlich-Gildhoff 2014: 27). Daran wird deutlich, dass Kindertageseinrichtungen einen wertvollen Beitrag zur Demokratieerziehung leisten können. Erstens, weil Kindertageseinrichtungen zu den ersten Institutionen gehören, die mit migrierten und geflüchteten Familien in einen Kontakt treten, der nicht von Überprüfung und Kontrolle geprägt oder zumindest flankiert ist. Zweitens, weil hier auch ein erster Kontakt zwischen Kindern und Eltern unterschiedlicher Herkunft stattfindet. Ganz im Sinne einer »demokratischen Bildung von Anfang an«.

Kitas als Lebens- und Erfahrungsraum für »Gleichwürdigkeit und Respekt vor Vielfalt«
Der Umgang mit Vielfalt wird auch für Kitas 2030 fachlich eine zentrale Herausforderung sein; ähnlich wie für unsere Gesamtgesellschaft (vgl. Warnecke 2013: www. nifbe. de). Wie kann der Umgang mit kultureller Vielfalt in Kitas, auch als Beitrag zur Chancengerechtigkeit, wertschätzend gelingen?

Der Blick in das Gesetz offenbart den gesetzlichen Auftrag der Einrichtungen, sich an der individuellen Lebenssituation der Kinder und Familien zu orientieren und die ethnische Herkunft zu berücksichtigen (§ 22 (2) SGB VIII). Fachkräfte sind somit herausgefordert, sich sensibel für Bedarfe und Verschiedenheit der Kinder und Familien zu zeigen und auf dieser Basis die Partizipation zu erhöhen (vgl. Sulzer 2013: 23). Daneben sollten die eigene Auseinandersetzung mit dem Verständnis von Kultur, Normalität, Vielfalt, Verschiedenheit, Heterogenität und Integration und die Aneignung von interkulturellem Wissen sowie die Vergegenwärtigung und Thematisierung der Kinder- bzw. Menschenrechte – auch als demokratischen Erziehung und Bildung – im Mittelpunkt stehen. Hieraus kann eine Haltung des Lernens und der Unvoreingenommenheit entstehen.

Soziales Lernen im Kontext interkultureller Vielfalt
Es ist entscheidend, dass das Bewusstsein für die Wichtigkeit der Reflexion entsteht. Vorrangig, um Anerkennung kultureller Unterschiedlichkeit zu entwickeln und dieses Verständnis ins eigene pädagogische Handeln transferieren zu können. Denn damit werden Erfahrungsmöglichkeiten im Umgang mit Verschiedenheit eröffnet, indem die diversen Lebenslagen und kulturellen Hintergründe der Kinder und Familien im pädagogischen Handeln aufgegriffen werden (vgl. u.a. Sulzer 2013: 23 ff.).

Das heißt ganz praktisch mit den Kindern spielerisch Gemeinsamkeiten zu erarbeiten und zu lernen oder auch Unterschiede zu akzeptieren (z.B. bezüglich der Herkunftsregion). Hierfür eignet sich z.B. die gemeinsame Herstellung eines »Kulturen-Memorys«, aber auch sprachreduzierte Varianten sind möglich. Wie etwa der Besuch der Kinder in unterschiedlichen kulturellen und religiösen Einrichtungen innerhalb des Sozialraums der Kita. Auf dieser Basis kann bei den Kindern Neugierde für andere Lebensweisen und Traditionen geweckt werden. Durch das gemeinsame Kennenlernen und Feiern von religiösen Festen und Bräuchen kann zudem für andere Kulturen sensibilisiert werden und Toleranz geübt werden. Es gilt, im Kleinen den Aufbau von Akzeptanz für andere Kulturen zu unterstützen, das gegenseitige Verstehen sowie die Verständigung zu fördern und somit einen Beitrag zu einem friedlichen und verständnisvollen Zusammenleben zu leisten.

Fazit

Frühpädagogische Fachkräfte sind vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Entwicklungen ein bedeutender Faktor bei der Herstellung und Beibehaltung von sozialem Frieden und gesellschaftlichem Zusammenhalt in Deutschland. Um die integrative Funktion ernst zu nehmen, braucht es Demokratieerziehung von Anfang an und Fachkräfte benötigen zeitliche Ressourcen für die Zusammenarbeit mit Familien und zur Selbstreflexion. Hier sind Träger und Politik gefragt, geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen.




ZUKUNFT AKTIV (MIT)GESTALT EN AUF EINEN BLICK!

 Kulturellen und ethischen Diskurs im Team führen: Was thematisiert wird, gewinnt an Bedeutung auch für jeden Einzelnen.
 Offen sein für persönliche Auseinandersetzung mit Vorurteilen, unterschiedlichen Kulturen und Praktiken und damit verbundenen persönlichen Grenzen: Rollen- und Perspektivwechsel vornehmen.
 Informieren und aufklären, Vielfalt leben und demokratische Grundwerte verteidigen.
 Auseinandersetzung mit Verschiedenheit fördern, Offenheit und Toleranz leben.
 Vernetzung im Sozialraum schaffen und funktionierende Netzwerke pflegen (u.a. Dolmetscherdienste, Migrationsberatung, Grundschulen ...).
 Beteiligungs- und Begegnungsmöglichkeiten für Kinder, Eltern und Fachkräfte schaffen: Dialog als Weg des Miteinanders.
 Multiprofessionelle und interkulturelle Teamstrukturen fördern.



Literatur

  • Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) (2017): Die demografische Entwicklung in Deutschland. Verfügbar unter: https: / / www. bpb. de/ politik/innenpolitik/ demografischer- wandel/ 196911/fertilitaet- mortalitaet- migration [letzter Zugriff 05.09.2017].
  • de Haan, Gerhard (2014): KiTa 2030. Eine Delphi- Befragung zur Zukunft von indertageseinrichtungen in Deutschland. Freie Universität Berlin. Institut Futur. Sozialwissenschaftliche Zukunftsforschung, Schriftenreihe 04/2015.
  • Oeftering, Tonio/ Metzler, Gabriele/ Mergner, Daniel/ Metzger, Daniel (2006): Demokratie (er-) leben. Ein Prinzip in Gesellschaft und Politik. Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg. Zeitschrift für die Praxis der politischen Bildung Politik & Unterricht. Heft 2/2 – 2006, 2./3. Quartal, 32. Jahrgang.
  • Rönnau-Böse, Maike/ Fröhlich-Gildhoff, Klaus (2014): Resilienz im Kita-Alltag. Was Kinder stark und widerstandsfähig macht. Freiburg, Basel, Berlin: Herder.
  • Pötzsch, Olga/Rößger, Felix (2015): Bevölkerung Deutschlands bis 2060. 13. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt.
  • Sulzer, Annika (2013): Kulturelle Heterogenität in Kitas. Anforderungen an Fachkräfte. München: Deutsches Jugendinstitut e.V.
  • Warnecke, Wiebke (2013): Inklusion und Chancengerechtigkeit. Diversity und Verschiedenheit in der Elementarpädagogik. Verfügbar unter: https: / / www.nifbe. de/ component/ themensammlung? view= item&id= 338& catid= 45& showall= 1& limitstart= [letzter Zugriff 01.07.2017].


Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus KiTa aktuell 12-2017, S. 244-246


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