Verschiedenheit leben: Bildungshaus Verden

Beispiel guter Praxis

Im Gebäude und auf dem Gelände an der Jahnstraße 2 in Verden/Aller finden die vielfältigsten Begegnungen statt. Hier treffen sich Kinder im Alter von ein bis zehn Jahren, Kinder mit und ohne Beeinträchtigungen, aber auch ErzieherInnen, LehrerInnen, SonderpädagogInnen usw. leben hier gemeinsam Bildung. Es befinden sich vier Einrichtungen unter einem Dach und dennoch geht kein Kind ‚verloren‘: „… mit erstaunlicher Sicherheit bewegen sich die Kinder durch das Gebäude und lernen schnell sich zurecht zu finden!“ (Claudia Stüven, die Leiterin der Friedrich-Ludwig-Jahn-Schule)[1].

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Das Bildungshaus Verden/Aller beherbergt Gruppen und Klassen der Kindertagesstätte und Krippe der Stadt Verden, des Sprachheilkindergartens der Lebenshilfe Verden, der Friedrich-Ludwig-Jahn-Schule sowie der Likedeeler Schule der Lebenshilfe.



Ein Bildungshaus entsteht

An der Jahnstraße 2 waren neben der Grundschule immer wieder verschiedene Bildungseinrichtungen untergebracht. Mit dem Ziel einer langfristigen Planung entstand im Jahr 2015 eine Arbeitsgemeinschaft aus den Leiterinnen der bis dato drei ansässigen Institutionen sowie Christiane Morré, Bildungskoordinatorin der Stadt Verden. Aufgrund bestehender Kooperationen beteiligte sich zudem der Leiter der KiTa Carl Hesse Straße. Das war der Auftakt für die Entstehung des Bildungshauses, das mehr sein sollte als ein Gebäude für mehrere Einrichtungen. „Wir haben uns auch mal für das Projekt Kita und Grundschule unter einem Dach beworben. Da war noch gar nicht spruchreif, dass wir wirklich mal unter einem Dach landen würden. Das war nur so eine Idee, die wir alle irgendwie mal miteinander gelebt haben, es gab immer wieder Versuche …“ unterstreicht Claudia Stüven die Schulleitung Jahnstraße. Die jetzige Konstellation „ist im Grunde aus der Not geboren“ betont KiTa-Leiter Franz Holsten. Die Räumlichkeiten der KiTa Carl-Hesse-Straße waren nicht mehr ausreichend, daher wurde die Jahnschule umgebaut und zunächst Platz für zwei KiTa-Gruppen geschaffen. Die neu entstandene Situation wurde genutzt, um die Kooperationen zu festigen und auszubauen. Die Kooperationspartner haben sich mit Unterstützung des nifbe auf den Weg gemacht, alltägliche Abläufe zu planen, gemeinsame Ziele zu formulieren und auch Visionen zu entwickeln, wie eine gemeinsame Zukunft aussehen könnte.

Eine Kooperation entsteht, Ressourcen werden genutzt

Das Besondere im Bildungshaus ist, dass Aktivitäten gemeinsam und gleichberechtigt geplant und umgesetzt werden und das Haus sowie die Ausstattung von allen Kindern und PädagogInnen gemeinsam genutzt werden. „Neue Konstellationen mit verschiedenen alten Beziehungen“ bilden das Fundament des Bildungshauses; es lebt durch „Menschen die wollen und die machen“ (Franz Holsten). Dadurch, dass es eine Arbeitsgemeinschaft und eine strukturell verankerte Kooperation gibt „kriegt alles mehr Inhalt, mehr Stoff, mehr Regelmäßigkeit“ unterstreicht Stefanie Bredereck aus der Sprachheil-KiTa. „Es ist weniger zufällig, hat eine klare Struktur und einen klaren Rahmen, Eckdaten …“ ergänzt Sylvia Barthel, Leiterin der Likedeeler Schule. So gibt es beispielsweise Klassen- Partnerschaften, Patenschaften zwischen Kindern verschiedener Altersstufen, gemeinsame Projekte und Veranstaltungen oder regelmäßige Schülerforen, die auch für KiTa-Kinder geöffnet sind.

Schon nachdem im Herbst 2014 die ersten Gespräche rund um das Bildungshaus stattfanden, nahm der Leiter der Kita Carl-Hesse Kontakt zu nifbe in Lüneburg auf und signalisierte das Interesse der vier Einrichtungen, an der nifbe Qualifizierungsinitiative zum Bildungsschwerpunkt „Übergang Kita-Grundschule“[2] teilzunehmen. Sicherlich war es von Vorteil, dass der Leiter selbst Prozessbegleiter im Rahmen der o.g. Qualifizierungsinitiative war und damit auch die Möglichkeiten und Förderkriterien des nifbe kannte. Von Vorteil war es auch, dass der zukünftige Prozessbegleiter des Bildungshauses Udo Smorra aus dem Landkreis Verden kam und den vier Einrichtungen bereits aus früheren Arbeitskontexten bekannt war. So konnte das Bildungshaus beginnend mit 2015 und über drei Jahre hinweg mit einem Umfang von 40 Unterrichtsstunden pro Jahr und einen Gesamtfinanzvolumen von etwa 17.000 Euro kontinuierlich und systematisch gefördert werden.

Herausforderungen begegnen

Nicht nur die baulichen Veränderungen, die geplant werden mussten, sondern auch das tägliche Miteinander stellt die Akteure immer wieder vor Herausforderungen. Es gilt Lösungen zu finden, um die „Kinder so gut wie möglich auf ihrem Weg zu begleiten.“ (Sylvia Barthel). Sich darauf auszuruhen, dass etwas schwierig wird oder eventuell nicht gehen könnte, ist nicht der Weg der Menschen, die sich hier zusammengefunden haben. „Man muss die Gedanken nur öffnen und versuchen Wege zu finden“ unterstreicht Franz Holsten. Viele Kinder mit sehr verschiedenen Möglichkeiten, Voraussetzungen, Hintergründen und Altersstufen lernen, leben und entwickeln sich hier unter einem Dach. Dennoch – oder vielleicht auch gerade deshalb – ist es gelungen, spezifische gemeinsame Ziele zu entwickeln:

-          Für jedes Kind in seiner Entwicklung wird der bestmögliche Bildungsweg entwickelt und umgesetzt.

-          Das pädagogische Personal begleitet jedes Kind individuell auf seinem Bildungsweg, es erkennt und fördert die besonderen Stärken eines jeden Kindes.

-          Kein Kind geht auf diesem Bildungsweg verloren, alle Kinder erreichen ihr individuelles Bildungsziel.

-          Alle Einrichtungen im Bildungshaus arbeiten gleichberechtigt zusammen, planen und unternehmen gemeinsame Aktivitäten und nutzen gemeinsam die pädagogischen und sächlichen Ressourcen des Hauses[3].
 

Im Bildungshaus wachsen und lernen

Die Kinder, die eine Einrichtung in dem Bildungshaus besuchen, lernen schnell sich zurechtzufinden. Sie können die Vorteile nutzen, wie zum Beispiel als noch KiTa-Kinder schon mal einen Blick in das Schulleben werfen zu können. Diese Möglichkeiten ergeben sich nicht nur dadurch, dass ein Gebäude gemeinsam genutzt wird oder dass strukturell angelegte Angebote und Projekte genutzt werden. Vielmehr finden die Kinder auch Nischen und Schlupflöcher, die sie für ihre eigenen Interessen und Gewohnheiten nutzen. So berichtet Claudia Stüven von einer Schülerin, welche „ihre Connection spielen lassen“ hatte und regelmäßig mit ihrer Freundin an dem gesunden Frühstück in einer KiTa-Gruppe teilnahm. Ein Erstklässler, der noch knapp vor Unterrichtsbeginn in den Klassenraum schlüpfte, erwiderte auf die Frage wo er denn herkomme: „Vom Zähneputzen“. Weil das im Tagesablauf der Grundschule so nicht vorgesehen war, erstaunte dies die Lehrerin. Auf Nachfrage gab der Schüler an, seine Zahnbürste in der Sprachheil-KiTa zu haben und sich dort regelmäßig die Zähne zu putzen. All diese Begegnungen unter den Kindern, die geplanten und die (von den Erwachsenen) ungeplanten stellen eine Bereicherung für das Leben und Lernen der Kinder dar.

Kooperation gestalten und erhalten

Das tägliche Miteinander im Bildungshaus gelingt durch das Engagement der MitarbeiterInnen der verschiedenen Einrichtungen, die das Gespräch untereinander suchen und die kurzen Wege nutzen, um sich auszutauschen. Manche arbeiten schon seit Jahren zusammen und können davon profitieren, dass die verschiedensten Professionen mit ihrer jeweiligen Expertise vor Ort sind. Sich einen Rat zu holen, einen Experten zu befragen, ist zur Selbstverständlichkeit geworden. Das ist sowohl ein Zugewinn für die eigene Professionalität als auch die Qualität der Einrichtung unterstreichen alle AG-Mitglieder einhellig. Hinzugekommen ist durch die Arbeitsgemeinschaft auf der Leitungsebene mit der Stadt, eine strukturelle Verankerung. Verabredungen werden verbindlicher und planbarer. Die Zusammenarbeit hängt nun weniger am Engagement Einzelner. Die Kooperation „lebt indem wir im Austausch sind“ (Sylvia Barthel). So steht die Leiterin der Grundschule doch vor einem eher ungewöhnlichen Problem: „da schauen die Schuleiterkollegen immer ganz ungläubig, wenn ich berichte, dass es bei meinen Konferenzen zu voll ist. Manchmal stehe ich vor dem Problem, dass ich denke: Wie kriege ich das jetzt wieder hin, die alle unter zu bringen!?“ Die KollegInnen aller Einrichtungen im Bildungshaus nehmen an den Konferenzen der Grundschule teil, obschon lediglich die LehrerInnen dieser Schule dienstverpflichtet sind. „Das ist schon eine Anerkennung und zeugt von Engagement“ resümiert Claudia Stüven.

Das Beispiel Bildungshaus Verden kann Mut machen, es kann für andere ansteckend wirken, damit auch sie sich auf dem Weg machen, das ‚Projekt Inklusion‘ ernst zu nehmen und zu gestalten. Das Miteinander ist bereichernd für Kinder, Eltern und PädagogInnen. Barrieren werden abgebaut und Übergänge sind leichter zu gestalten, denn „nun muss ich mir keine Gedanken mehr über die anderen machen – jetzt weiß ich was sie tun.“ (Stefanie Bredereck).

Die Einrichtungen:

Die Friedrich-Ludwig-Jahn-Schule: Sie ist eine verlässliche Grundschule mit offenem Ganztagsangebot. Derzeit wird sie von ca. 260 SchülerInnen besucht. Bereits 1958 wurde sie gegründet und befindet sich seitdem an diesem Standort. Kontakt: Claudia Stüven, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Der Sprachheilkindergarten der Lebenshilfe Verden: Dort werden Kinder mit komplexen Sprach- oder Hörstörungen in kleinen Gruppen im Alter von vier bis sechs Jahren individuell gefördert. Seit gut fünf Jahren wird an der Jahnstraße eine ‚Außenstelle‘ geführt. Kontakt: : Stafanie Bredereck, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Die Likedeeler Schule der Lebenshilfe: Sie ist seit 2001 in den Räumlichkeiten untergebracht – hier werden Kinder mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf im Bereich Geistige Entwicklung unterrichtet. Im Bildungshaus befindet sich eine Grundstufe. Kontakt: Sylvia Barthel, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Die Kindertagesstätte und Krippe der Stadt Verden: Diese sind 2015 als letzte hinzugekommen und haben sich auf die Fahne geschrieben, Kinder beim Entdecken und Erobern lebensnaher Erfahrungs- und Erlebnisräume zu unterstützen und zu begleiten. Kinder unter drei Jahren werden in einer Krippengruppe und Kinder ab drei Jahren werden in zwei Kita-Gruppen betreut. Kontakt: Franz Holsten, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!



[1] Die angeführten Zitate sind Auszüge einer Gruppendiskussion, die mit Mitgliedern der ‚Arbeitsgemeinschaft Bildungshaus Verden‘ von Mitarbeiterinnen des nifbe geführt wurde.

[2] Der Bildungsschwerpunkt „Weiterentwicklung einer gemeinsamen Sprachbildung und Sprachförderung durch Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen und Grundschullehrkräfte im Brückenjahr- wurde vom nifbe im Auftrag des Landes Niedersachsen zwischen 2013-2017 durchgeführt (www.nifbe.de ).

[3] Auszug aus dem Flyer des Bildungshauses.

Mirela Schmidt
Meike Sauerhering







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