Das Spiel mit Gleichaltrigen in KiTas

Teilhabechancen für Kinder mit Behinderung

Dem freien Spiel räumt bereits Friedrich Fröbel eine besondere Bedeutung für die Gestaltung von Erziehungs- und Bildungsprozessen im Kindergarten ein. Dabei hat das Spiel nicht nur hohen Einfluss auf das Selbstbildungspotenzial der jungen Akteurinnen und Akteure, sondern erweist sich in der Aus­einandersetzung mit Gleichaltrigen (peers) als ureigener Ort für Teilhabe und Partizipation. Hier erleben Kinder Zugehörigkeit und machen Erfahrungen mit Aushandlungsprozessen unter gleichberechtigten Partnern. Damit Fachkräfte beim Blick auf das Spiel die Partizipationsmöglichkeiten von Kindern mit unterschiedlichen Voraussetzungen wahrnehmen und dieses inklusive Potenzial zur Entfaltung bringen können, ist ein tiefes und reflektiertes Verständnis vom freien Spiel erforderlich.

Ulrich Heimlich setzt sich in der vorliegenden WiFFWiFF|||||WiFF ist ein Projekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, der Robert Bosch Stiftung und des Deutschen Jugendinstituts e.V. Die drei Partner setzen sich dafür ein, im frühpädagogischen Weiterbildungssystem in Deutschland mehr Transparenz herzustellen, die Qualität der Angebote zu sichern und anschlussfähige Bildungswege zu fördern. Expertise 49 mit diesem Thema auseinander. Er untersucht den Forschungsstand zu inklusiven Spielsituationen anhand einer qualitativen Meta-­Analyse, die besonders Settings von Kindern mit und ohne Behinderung berücksichtigt. Im Anschluss werden die Kriterien für eine gelungene pädagogische Begleitung von inklusiven Spielsituationen herausgearbeitet und diskutiert.



Im WiFF-Interview umreisst Ulrich Heimlich das Thema wie folgt:

"Die Fachkraft sollte im Spiel idealerweise die Perspektive eines jeden Kindes einnehmen können"


Spielen ist für Kinder in Kindertageseinrichtungen ein elementarer Bestandteil ihres Alltags. Was genau ist im erziehungswissenschaftlichen Sinne eigentlich unter „spielen“ zu verstehen?

Heimlich: Grundsätzlich finden sich in der wissenschaftlichen Literatur unterschiedliche Definitionen. Ich würde das „Spielen“ über drei Merkmale definieren: Zum einen muss die spielerische Aktivität ein gewisses Maß an Fantasie und Kreativität enthalten. Das geht nur, wenn – zweitens – die Kinder selbst die Kontrolle darüber haben, wie und mit was sie spielen. Zu guter Letzt sollte das Spielen von den Kindern ausgehen, das heißt, aus einer Eigenmotivation heraus entstehen.

Vor dem Hintergrund der Inklusionsbemühungen in Kitas sind Fachkräfte in der Frühen Bildung heute dazu aufgerufen, „inklusive“ Spielsituationen zu schaffen. Was ist das Besondere an diesen Situationen?

Heimlich: Zunächst sollte man den Begriff „Inklusion“ im Zusammenhang mit Früher Bildung nicht nur auf Menschen mit Behinderung beziehen. Es geht darum, sich in Theorie und Praxis generell auf Unterschiede einzulassen und wirklich alle Kinder zu adressieren. Die Prämisse im Kita-Alltag sollte lauten: Jedes Kind muss etwas beitragen und partizipieren können, egal, welche Eigenschaften und Voraussetzungen es mitbringt.

Damit das möglich ist, heißt es für die Fachkräfte auch, individuelle Wahrnehmungsbarrieren zu beachten. Sinnliche Reize werden oft von Kind zu Kind ganz unterschiedlich aufgenommen und interpretiert. Die Fachkraft sollte im idealen Fall die Perspektive eines jeden betreuten Kindes einnehmen können. Dann sind inklusive Spielsituationen problemlos möglich.

Was bedeutet das für die Ausbildung der Fachkräfte? Welche Kompetenzen müssen sie mitbringen, um das inklusive Spiel anleiten zu können?


Heimlich: Einerseits sollte das Thema Beobachten in der Ausbildung eine wichtigere Rolle einnehmen. Es sollte den Auszubildenden aufgezeigt werden, welche Möglichkeiten der Beobachtung es gibt und welche Schlüsse man aus Beobachtungen ziehen kann. Die Fähigkeit zur Perspektivübernahme muss hier stärker vermittelt werden.

Darüber hinaus müssen angehende Fachkräfte sich Grundkenntnisse aneignen, wie sie Spielsituationen gestalten können. Für inklusive Spielsituationen müssen beispielsweise bestimmte Räume für die Kinder geschaffen werden. Indirekt kann eine betreuende Person hierzu beitragen, indem sie eine gewisse Weite, Größe und Veränderbarkeit des Spielortes gewährleistet oder entsprechende Spielmaterialien, zu denen durchaus auch Medien zu zählen sind, zur Verfügung stellt. Auf direktem Wege kann die Fachkraft die Spielsituationen beeinflussen, indem sie selbst in diese einsteigt. Hier ist es wichtig, stets zu respektieren, dass die Kinder eigenständig spielen sollen. Um am Spiel teilnehmen zu können, müssen die Fachkräfte zudem natürlich selbst eine Ahnung davon haben, wie man spielt.

Dieses Wissen sollte im Rahmen der Ausbildung vermittelt werden. Spiel ist mehr als eine Methode. Dann kann das Spielen auch die Funktion übernehmen, die es übernehmen soll: Entwicklung ermöglichen.

Können Sie eine typische inklusive Spielsituation schildern?

Heimlich: Ein beliebtes Spiel in Kindergärten ist das Arzt-Patient-Spiel. Die Fachkraft stellt hierfür Spielmaterialien, z.B. in Form eines hölzernen Stethoskops oder Fieberthermometers, zur Verfügung und überlässt es den Kindern, wer in die Rollen der Ärzte schlüpft. Hat sich ein Ärzteteam gefunden, macht es sich im Kindergarten auf die Suche nach Patienten, die dringend behandelt werden müssen. Da viele Kinder schon wissen, welche Untersuchungsmethoden auf sie zukommen, nehmen viele rasch Reißaus. Schließlich stellt sich eine frühpädagogische Fachkraft selbst zur Verfügung. Sie fasst sich an den Kopf, sinkt stöhnend auf eine Matratze und fragt: „Na, Herr Doktor, was habe ich denn?“ Sofort beginnt die eingehende Untersuchung.

Am besten wird dadurch der Bann gebrochen, so dass sich die Kinder nun gegenseitig untersuchen oder das Stethoskop überprüfen, indem sie hineinschreien. Dieses Spiel ist für alle Kinder offen, auch ein Kind mit Down-Syndrom kann teilnehmen und die medizinischen Instrumente ausprobieren. Die frühpädagogische Fachkraft sollte sich zu diesem Zeitpunkt bereits aus dem Geschehen zurückgezogen haben und nur noch von Außen beobachten.




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