Kinder annehmen, wie sie sind
Jedes Kind möchte und sollte so sein dürfen, wie es ist. Eine Kita als sicheren Ort zu gestalten, an dem sich Mädchen und Jungen mit allen ihren Besonderheiten leicht eingewöhnen können, ist Aufgabe der pädagogischen Fachkräfte. Damit ihnen das gelingt, müssen sie genau beobachten, was Kinder brauchen, sagt Birgit Leyendecker, Professorin für Entwicklungspsychologie und ResilienzResilienz|||||Resilienz kann als "seelische Widerstandsfähigkeit" verstanden werden mit der Fähigkeit Krisen zu meistern und diese als Anlass für Selbstentwicklungen zu nutzen. In der Resilienzförderung geht es speziell darum die Widerstandsfähigkeit von Kindern und Erwachsenen in belasteten und risikobehafteten Lebenssituationen durch schützende Faktoren zu entwicklen, zu ermutigen und zu stärken. Ein verwandter Begriff ist der der Salutogenese. forschung an der Ruhr-Universität Bochum.Kinder erkunden und erobern eine neue Kita nur dann als Lebens- und Lernraum, wenn sie sich sicher und geborgen fühlen. Jeden Tag von einer vertrauten Person begrüßt zu werden, kann dabei helfen. Auch klare Abläufe, Regeln und Rituale sind hilfreich, insbesondere in der Zeit der Eingewöhnung. Es ist Aufgabe der pädagogischen Fachkräfte, die Kita als sicheren Ort zu gestalten. Als einen Ort, der Kindern ermöglicht, mit allen Sinnen spielen, sich bewegen, forschen, kuscheln und ausgelassen sein zu können, und Menschen um sich zu haben, die für sie da sind. Kinder sollten in der Kita sein dürfen, wie sie sind. Mit allen ihren Gedanken, Fragen und Gefühlen. Auch mit ihrer Trauer, Wut oder Ärger, vielleicht darüber, dass die Familie umgezogen ist und die alten Freunde weit weg sind, die Eltern sich trennten, es Stress mit den Geschwistern gibt oder eine Fluchterfahrung verarbeitet werden muss.
Kinder mit ihren persönlichen Besonderheiten und variierenden Lebenssituationen zu begleiten, erfordert von den ErzieherInnen gute Abstimmung und verlässliche Absprachen.
Resilienz fördern
Verhält sich ein Kind anders als sonst, weil es eine schwierige Erfahrung von zu Hause mitbringt? Verhält es sich anders als die anderen Kinder, weil es mit der Kita noch nicht vertraut ist oder weil es aus einer anderen Kultur kommt, vielleicht sogar traumatisiert ist? Herauszufinden, welche Unterstützung Kinder brauchen ist nicht immer einfach und auch abhängig von ihrer individuellen Resilienz.
In der psychologischen Forschung sprechen wir von Resilienz, wenn sich ein Kind trotz schwerwiegender Erlebnisse – wie zum Beispiel häusliche Gewalt, Scheidung der Eltern oder Krieg und Vertreibung – besser entwickelt, als angesichts der Umstände zu erwarten ist. Hohe Lernmotivation, umgängliches Temperament, soziale Kompetenz und die Fähigkeit, sich von stressvollen Situationen schnell zu erholen, sind Ressourcen, die Resilienz fördern. Reicht die Resilienz eines Kindes nicht aus, um die schwierige Lebenssituation alleine zu bewältigen, ist es auf die Unterstützung seiner sozialen Umwelt angewiesen. Den Halt, den es dann braucht können ihm Eltern, Geschwister, pädagogische Fachkräfte und andere Bezugspersonen am besten dadurch geben, dass sie das Kind so annehmen, wie es ist. Wenn sie ihm zuhören, auf sein Signale achten und bei Bedarf Aktivitäten anbieten, die ihm helfen, seine Probleme zu bewältigen und zur Ruhe zu kommen.
Erwartungen verringern
Manchmal entwickelt sich ein Kind, das besondere Herausforderungen bewältigen muss, nicht in allen Entwicklungsbereichen wie erhofft. Die pädagogischen Fachkräfte sollten in solchen Situationen ihre Erwartungen an das Kind verringern, seinen Entwicklungsstand nicht mit dem der anderen Kinder vergleichen und auf kleine und kleinste Fortschritte achten. Ein Kind, das sich z.B. nach dem Essen weigert, die Zähne zu putzen, kann ermutigt werden, sich erst einmal einen Zahn zu putzen. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ihm das mit der Zeit langweilig wird und es beginnt, sich alle Zähne zu putzen, so wie die anderen Kinder auch, ist groß. Solche Fortschritte sollten dem Kind und wenn möglich auch den Eltern zurückgemeldet werden. Positive Rückmeldung gibt Kindern Vertrauen und Eltern Zuversicht.
Kinder mit Fluchterfahrungen müssen in der Regel Erlebnisse verkraften, die weit darüber hinausgehen, was sie üblicherweise aushalten lernen müssen. Die Grenze zur Traumatisierung ist fließend und gerade bei jüngeren Kindern ist eine Diagnose schwierig.
Vertrauensspiele
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Behutsam eingewöhnen
Die Länge der Eingewöhnungszeit wird von verschiedenen Aspekten beeinflusst: dem persönlichen Temperament des Kindes, früheren Betreuungserfahrungen und der Qualität der Bindung zwischen Kind und Eltern.
Viele Kitas orientieren sich am Berliner Modell, welches eine graduelle Eingewöhnung innerhalb eines Zeitraums von zehn Tagen empfiehlt. Für Kinder in dramatischen Umbruchssituationen, wie z.B. nach einer Flucht, sind oft behutsamere und längere Eingewöhnungsphasen notwendig.
Manchmal zeigen die Eltern geflüchteter Kinder wenig Verständnis für die Idee der Eingewöhnung und erwarten, dass ihr Kind in der Kita vom ersten Moment an ohne sie klarkommt. Andere Eltern wiederum wollen besonders lange in der Kita bleiben, weil sie ihr Kind nicht loslassen können oder weil sie sich in der Kita wohler fühlen als in der Flüchtlingsunterkunft. Ist das der Fall, sollte das Team zusammen mit den Eltern einen Weg finden, der die Eingewöhnung und Entwicklung des Kindes fördert und die Grenzen der ErzieherInnen respektiert. Die ErzieherInnen sollten sich bei diesen Gesprächen darüber bewusst sein, dass Eltern vermutlich nicht wissen, was von ihnen erwartet wird, weil sie wahrscheinlich nicht nur mit ihrer Einrichtung sondern auch mit der Institution Kita im Allgemeinen nicht vertraut sind.
Die pädagogischen Fachkräfte sollten auch wissen, dass das in unserer Kultur gelebte Konzept der Wahlmöglichkeit zur Unterstützung der Autonomieentwicklung, in anderen, eher an der Gemeinschaft orientierten Kulturen, unbekannt ist und Kinder mit Migrationshintergrund und Fluchterfahrung überfordern kann. Deshalb empfiehlt es sich, Kinder aus solchen Ländern nicht sofort mit Auswahlmöglichkeiten zu überfordern.
Es hat sich bewährt, stattdessen Aktivitäten anzubieten, für die keine oder nur geringe Sprachkenntnis nötig ist und niedrigschwellige Gruppenunternehmungen, mit denen das Kind behutsam an die Gemeinschaft in der Kitagruppe herangeführt wird.
Kleine Schritte ins Neue
Ihrem Bildungsauftrag entsprechend bieten pädagogische Fachkräfte in der Kita den Kindern vielfältige Erfahrungsmöglichkeiten, wie z.B. das Beobachten der Kaulquappen im nahegelegenen Teich oder eine Fahrt mit der U-Bahn. Meistens freuen Kinder sich auf solche Ausflüge und sind darüber begeistert. Für Kinder, die einschneidende Umbrüche verkraften müssen, gilt diese Erfahrung häufig nicht. Für sie ist es oft wichtiger, Kontinuität in der Kita zu finden und sich innerhalb bekannter Strukturen wie dem Morgenkreis oder den Ruhe- und Schlafphasen in der Mittagszeit zu bewegen.
Geflüchtete Kinder mussten oft allen Besitz und damit auch viele Erinnerungen an ihr früheres Leben zurücklassen. Damit sie lernen, mit Erinnerungen auch wieder positive Erfahrungen zu verbinden, können die Fachkräfte für sie ein Heft anlegen, in welches die Kinder gemalte Bilder, Fotos oder Basteleien einkleben. Damit fällt es vielen dieser Kinder leichter, ein neues Kapitel in ihrem Leben zu beginnen.
Übernahme des Beitrag mit freundlicher Genehmigung vom verlag das netz aus "Ankommen. Willkommenskultur in der Kita", S. 11-13
- Zuletzt bearbeitet am: Dienstag, 09. August 2016 13:40 by Karsten Herrmann