Raumgestaltung als verantwortungsvolle Aufgabe

Raumgestaltung und Bildungsprozesse sind untrennbar voneinander, unabhängig davon, ob der Raum als dritter Erzieher gesehen wird, wie in der Reggio-PädagogikReggio-Pädagogik|||||Die Reggio-Pädagogik ist ein reformpädagogisches  Gesamtkonzept von Ideen und Praxisstrukturen, die seit den 1960 er Jahren in der Norditalienischen Stadt Reggionell`Emilia in Krippen und Kindergärten entwickelt wurde. Dem Konzept liegt ein humanistisches Menschenbild und eine demokratische Gesellschaftsvorstellung inne., oder als erster Erzieher, wie Gerd Schäfer argumentiert, da dieser auch da wäre, wenn Menschen nicht da sind, und konkrete Erfahrungen ermöglichen könnte (Schäfer 2005, S. 6).

Für das Kind geht es um die Eroberung des Raumes – mit Kopf, Hand und Fuß. Jedes Kind soll sich in Kitaräumen und Funktionsbereichen, im Gebäude wie im Außengelände, kompetent, eigenständig und selbstwirksam erleben können, denn das ist wichtig für einen Konstrukteur seiner eigenen Entwicklung.

Wenn Kinder sich ihr Umfeld aneignen, »indem sie sich handelnd darin bewegen und alles ausprobieren, was ihre Neugier hervorruft« (Schäfer 2008, S. 8), dann müssen wir ihnen auch Orte und Räume schaffen, die vielfältige Gelegenheiten für ihre eigenen Erprobungen, Gestaltungen und Überprüfungen bieten (Österreicher & Prokop 2010, S. 9). Und das gilt für Innenräume in Gebäuden genauso wie für die verschiedenen Bereiche eines Außengeländes.


"Dinge an sich interessieren Kinder nicht"

»Dinge an sich« interessieren Kinder nicht. Sie wollen wissen und erfahren, was sie mit ihnen machen können und zuschauen und nachvollziehen, was andere damit tun. Sie wollen Handlungszusammenhänge und Konsequenzen erkennen und ihre eigene Rolle hierbei analysieren. Sie interessieren sich für die Funktionen und unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten der Dinge um sie herum. Mädchen und Jungen wollen in konkreten Situationen, wenn etwas – am besten unerwartetes – passiert, die Zusammenhänge durchschauen, ihnen auf die Spur kommen und möglichst schnell Einfluss darauf nehmen. Das bedeutet immer aktiv werden, sich in Bewegung setzen, selbst tätig werden und in Eigenregie den Raum erobern und seine Schikanen »nehmen«.

Wenn wir den Raum als wirkenden Erzieher verstehen, müssen wir ständig beobachten, uns austauschen und gemeinsam daran arbeiten, wie die Entwicklungsbegleitung vonseiten der pädagogischen Fachkräfte »im Raum« während der ersten Lebensjahre aussehen muss. Es geht um: »Bildungsräume vom Kind aus neu denken, fühlen und gestalten« (Zürn & Razov 2013).

Lernort: Außengelände

»Wir sind kein Spielplatz! Wir sind eine Kita und bieten Erfahrungsraum im Freien! Deshalb gibt es bei uns keine Fahrzeuge, keine Rutsche, kein Klettergestell! «, argumentiert Edeltraud Prokop, die jahrelange Leiterin der Städtischen Kinderkrippe Felicitas-Füss-Straße in München. Unterschiedliche Bodenflächen, bewachsen, unbewachsen, gepflastert, mal lehmiger, mal sandiger Untergrund, dann Gruben, eine Hügellandschaft, ein Wasserlauf, Findlinge, Lauben, Hütten, Steinbänke und Büsche – Vielfältiges zu tun, zu denken und zu planen – bewusst so geschaffen in einem relativ kleinen städtischen Areal, das nicht durch Fahrzeugstrecken noch kleiner werden sollte.

Die Qualität des Außengeländes hat laut einer schwedischen Studie (Söderström et al. 2013) entscheidenden Einfluss auf die Gesundheit und das Wohlbefinden von Kindergartenkindern. Qualitätssteigernd wirken das Spielpotenzial, die Menge an Bäumen, Sträuchern und hügeligem Terrain sowie das ausgewogene Zusammenspiel von Vegetation, offenen Flächen und Spielflächen.

Im Außengelände sollten Alltagsgerätschaften und funktionierende Werkzeuge aus der Erwachsenenwelt, Gebrauchsgegenstände und Gartengeräte jederzeit zum funktionellen Einsatz zur Verfügung stehen. Echtzeug sollte gegenüber jeder Form von Spielzeug der Vorzug gegeben werden, da man sich hierüber wirklich unterhalten, sich gegenseitig beraten kann und gemeinsam nachdenken und planen muss.

Immer noch existieren Ängste, ob spielzeugfreie Räume, nur mit Echtzeug versehen, automatisch lernfrei, da förderfrei bedeuten würden? NEIN, denn ohne So-tun-als-ob-Spielgeräte muss ein Kind mehr Ideen haben, sich den mit dem Gegenstand geplanten Funktionseinsatz vor Augen führen, Probeläufe machen und vor allem seine Sprache nutzen, um sich mit anderen auszutauschen und gemeinsam agieren zu können. Über alles muss verhandelt werden. Alles muss differenziert erklärt und geplant werden, jedem Gegenstand muss erst eine Funktion und somit sein Einsatzfeld zugesprochen werden, damit eine Miteinandersituation entstehen kann.

Lernort Außengelände auch ein Thema in der Konzeption?

»Kommen die Räume als Lernräume und das Außengelände als detailliert definierter Lernort in Ihrer Konzeption vor?« ist eine wichtige Frage auf dem Weg einer Qualifizierung. Was bedeutet eigentlich: »Ab dem Kindergartenstart am Morgen ist das Außengelände geöffnet!«? Ein Satz – eigentlich ein Statement – den wir zum ersten Mal vor einigen Jahren in der Konzeption einer nordrhein-westfälischen Einrichtung lasen und im Alltag vorgelebt bekamen.

»Durch diese durchgängige Aufteilungsmöglichkeit sind Innen- und Außenbereiche weniger überfüllt, überall können Erfahrungen gesammelt werden und Spezialisten kommen zu ihrem Recht.«

Es bedeutet: Wenn die ersten Kinder morgens angekommen sind, geht eine Fachkraft hinaus ins Außengelände und nimmt die Kinder mit, die sich heute bereits bei der Ankunft entschieden haben, den Tag im Freien mit Bewegung, Transport- und Bautätigkeiten zu beginnen und erst nach diesen körperlich-geistigen Startherausforderungen entspannt ins Gebäude kommen, um dort ins Indoor-Geschehen und in weitere Lernfelder einzusteigen. Es geht nicht um: 5 Kinder dürfen raus und sich im von innen durch die Scheibe beobachtbaren Gartenteil sich aufhalten. Den Morgendienst übernimmt nur ein Profi für das Außengelände, der den Kindern als »Arbeits- und Denkvorbild« aktiv zur Verfügung steht und so den Garten »anwärmt«!

Durch diese durchgängige Aufteilungsmöglichkeit sind Innen- und Außenbereiche weniger überfüllt, überall können Erfahrungen gesammelt werden und Spezialisten kommen zu ihrem Recht. Einige Qualitätsmessinstrumente nehmen auch die Gestaltung von Räumlichkeiten als pädagogisches Moment in den Blick, jedoch weit weniger das Bildungsangebot im Außengelände, obwohl alle Lernumgebungen und die darauf abgestimmte Begleitung von Bildungsprozessen große Themen in der aktuellen Entwicklungsforschung und Pädagogik der Kindheit sind. Das Motto »Nach getaner Arbeit in den Garten« dominiert, dort angekommen steht für die pädagogischen Fachkräfte meist die Aufsicht im Vordergrund, während eine vielseitige Bildungsbegleitung zu selten zu beobachten ist.

So verwundert auch nicht, dass der Garten, nimmt man Fachkräfte und Kind/Kinder in den Blick, ein sprachfreier oder sprachreduzierter Bereich sein kann. Hier eine Zusammenschau aus Erhebungen in 26 Kitas
  • Auffallend wenige Gespräche: Gerade Planungsgespräche, die den Aktionen der Kinder vorausgehen
  • oder diese begleiten könnten, sind die Ausnahme.
  • Ein eher direktiver Sprachstil überwiegt: Kurze Zurufe in Form von Hilfestellungen, Verboten, Anweisungen und Ermahnungen dominieren.
  • Weniger als im Innenbereich kommen sprachmodellierende Strategien zum Einsatz: es wird wenig mit Wiederholungen oder Reformulierungen gearbeitet. Offene Fragen sind selten; es dominieren schnelle, knappe Antworten.

Planung und Kontrolle der Raumgestaltung und -nutzung

Nicht immer sind Raumknappheit oder personelle Engpässe Ursachen dafür, dass Räume zur Nutzung nur zeitweilig oder gar nicht zur Verfügung stehen. Die tatsächliche Freigabe eines Raums ist ein wichtiger Qualitätsbaustein. Alle Räume sollten jederzeit zugänglich sein. Sind wir uns im Team über wichtige Ziele einig? Zum Beispiel:
  • Reflexion des eigenen Tuns im Hinblick auf die Entwicklungsbegleitung des Kindes
  • Überprüfung des Anregungsgehalts der Umgebung
  • Erweiterung des Freiheitsgrades für jedes Kind – ansteigend mit seinen Entwicklungsschritten,
  • angepasst an seinen Bedarf, seine Themen und Interessen
  • Räume können Gelegenheit geben, kognitive und soziale Erfahrungen zu sammeln und Autonomie, Selbstwirksamkeit und Partizipation zu erleben ... oder nicht.

Ein bewusstes Raumarrangement für die aktuellen Bildungsthemen immer wieder neu zu erarbeiten, setzt eine regelmäßige Beobachtung der Nutzung des Raums durch die Kinder unterschiedlichen Alters und eine kritische Überprüfung seines Anregungsgehalts voraus. Das ist nur möglich, wenn wir uns dafür interessieren, was das Kind tut, beabsichtigt, plant, überprüft, wissen möchte ... Teams, die sich entscheiden, für alle Kinder, auch schon für Kleinstkinder anregungsreiche Räume innen und außen zu schaffen, tun dies auf der Basis professionell ausgewerteter Beobachtungen sowie regelmäßiger Evaluation der Bildungsräume und deren Erfahrungsmöglichkeiten für die Kinder. Es wird beobachtet, um zu sehen, was in einem Kind vor sich geht, welche Aufgabe es sich gestellt hat und auf welchem Weg es sie zu lösen versucht. Auch wenn unsere Deutungskompetenz mitunter begrenzt ist, spürt das Kind unser Interesse an seinem Tun und an seiner Fragestellung, was es ermutigt, weiter nach einer Antwort zu suchen – also zu lernen.

»Räume können Gelegenheit geben, kognitive und soziale Erfahrungen zu sammeln und Autonomie, Selbstwirksamkeit und Partizipation zu erleben.«

Erst das aktiv professionelle Handeln der Fachkräfte lässt den Raum zu einem Bildungsort und damit zu einem wirklich kompetenten »Erzieher« werden. Wie ein Raum von den Kindern genutzt wird, aber auch was in ihm »zur Verfügung gestellt« und dadurch möglich gemacht wird, hängt von der pädagogischen Haltung der Fachkräfte ab.

Befragungen zu Beobachtungen in deutschen und österreichischen Kitas sowie in Kindergärten in Südtirol zeigen, dass nicht passende Räumlichkeiten, ungeeignete, langweilige Materialien und ungünstige Zeiteinteilungen eher selten zeitnahe Veränderungen nach sich ziehen, selbst wenn in diesem Zusammenhang Spielunlust und eine erhöhte Konfliktrate bei den Kindern festgestellt wurden. Teams erkennen durchaus Probleme in der aktuellen Raumnutzung, Raumbelegung oder seiner Ausstattung. Sie stellen fest, dass Materialien als ungeeignet oder »langweilig, zumindest für die Großen« bezeichnet werden können, sogar lieblos ausgestattete Bereiche mit nicht mehr funktionstüchtigem Gerät bemerkt und als Problem erkannt werden (»hier gibt es zu viele Streitereien«), aber dennoch keine um Klärung und Weiterentwicklung bemühte Teamgespräche stattfinden, die zeitnahe Veränderungsimpulse zur Folge hätten.


Welche Konsequenzen sollen aus der gemeinsamen fachlichen Reflexion der Beobachtungen in Form von ausgewerteter Zeitstruktur, Raum- und Materialanalyse gezogen werden? Matzenmiller (2014) sieht die zu erarbeitenden Konsequenzen als konkrete Aufträge an die Pädagogen / Pädagoginnen, »die selbst Lernende und Forschende sind« und mit den Kindern »ins Nachdenken über ihr Tun kommen«.

Immer mehr pädagogische Fachkräfte sind interessiert, woran Kinder gerade arbeiten, worauf sie Antworten finden möchten, und sie denken darüber nach, wie anregungsreiche Umgebungen zeitnah vorbereitet werden können, damit es hier Neues zu denken gibt. Oft werden räumliche Gegebenheiten oder deren Nutzungsmöglichkeiten zusammen mit den Kindern verändert, damit sie für diese wieder anregend sein können.

Die Fachkräfte sind Vorbilder – auch bei der Raumnutzung!

Meiden Fachkräfte bestimmte Räume oder Materialien, wirken diese auch auf die Kinder deutlich weniger attraktiv. So erklärt sich die verwaiste Holzwerkstatt oft mehr über das Desinteresse der Fachkräfte als über Berührungsängste oder mangelnde Begeisterung seitens der Kinder. Fachkräfte, die mit Spaß und Engagement den Atelierbereich beleben oder in der Bewegungsbaustelle oder Mathewerkstatt freudvoll agieren, locken auch Kinder, für die dieser Funktionsbereich bislang nicht attraktiv war. Neue und noch nicht vertraute Spielgeräte oder Materialien ebenso wie nur aus einem anderen Zusammenhang bekannte Gegenstände müssen bisweilen auch von den Erwachsenen »angespielt« werden, damit die Kinder sich vorstellen können, was man damit machen kann, und angeregt werden ebenfalls zu experimentieren.

Fazit

Baubereiche können Bedeutsamkeit erleben lassen, aber nur, wenn Aufräumen nicht oberste Priorität besitzt. Übergriffiges Wegräumen ist keine Beantwortung, die motiviert weiterzudenken, ein Projekt weiterzuführen! Es gibt kein Gespräch über Planungsideen, keine Diskussion über weiteren Materialbedarf und gar Folgeprojekte.

Die Idee zu bauen, das absichtsvolle Tun eines Kindes ist dann kein eigenständiges Thema! Warum wird so oft am Spätnachmittag der Raum wieder »auf Null« gedreht, alles weg- und aufgeräumt, egal ob Regelspiel oder Bauwerk, eine gerade erfundene Maschine, ein besonderes Szenario im Rollenspielbereich oder ein von den Kindern eigens geschaffener Bewegungsparcours mit unterschiedlichen Schikanen – allein aus Gründen der Ordnung und dem Grundsatz folgend »Alle Kinderräumen auf!«? Wenn Aufräumen oberste Priorität hat, fällt jeder Geniestreich, jeder Einfall, jedes mühsam erstellte Bauwerk, jede materielle Basis für eine neuartige Konstruktionsidee dem täglichen Aufräumen zum Opfer, was bedeuten würde, dass sich keine Denkleistung und keine aufwendige Planung wirklich lohnen würde, also bedeutungslos wäre? Mehr noch: Weiterdenken wäre zwecklos! ... Und wenn man die Kleinsten im Blick hat: Sie könnten nicht nach dem fragen, was sie vermissen, was sie als Idee im Kopf am Vortag nach Hause getragen haben und am nächsten Morgen wiederfinden wollten!

Literatur:

  • Haug-Schnabel, G./Bensel, J. (2015, 1. Aufl.): Raumgestaltung in der Kita. Kindergarten heute praxis kompakt. Herder Verlag, Freiburg.
  • Haug-Schnabel, G./Wehrmann, I. (Hrsg.) (2012): Raum braucht das Kind. Anregende Lebenswelten für Krippe und Kindergarten. Verlag das netz, Weimar/Berlin.
  • Haug-Schnabel, G./Bensel, J. (2012: Räume erobern aus eigener Kraft mit selbst gewähltem Ziel – eine Blickschulung mit Konsequenzen für pädagogisches Handeln, S. 109 – 117. In: Haug-Schnabel, G./ Wehrmann, I. (Hrsg.): Raum braucht das Kind. Anregende Lebenswelten für Krippe und Kindergarten. Verlag das netz, Weimar/Berlin.
  • Matzenmiller, M. (2014): Tiefenentspannt im Team. Über Lernen und Reflexion im Team und die Rolle der Leitung. TPS (10), 14 – 16.
  • Österreicher, H./Prokop, E. (2010): Gärten für Kleinkinder. Weimar: verlag das netz.
  • Schäfer, G.E. (2008): Das Denken lernen. Bildung im Krippenalter. Betrifft Kinder (8 – 9), 7 – 15.
  • Schäfer G.E. (2005): Der Raum als erster Erzieher. Konkrete Erfahrungen sind Voraussetzungen für symbolisches Denken. TPS (1), 6 – 9.
  • Söderström, M./Boldemann, C. et al. (2013): .Quality of the Outdoor Environment Influences Children’s Health – A Cross-sectional Study of Preschools. Acta Paediatrica (102), 83 – 91.
  • Zürn, P./Razov, K. (2013): Bilden Räume? – Bildungsräume. Vortrag im Rahmen des 2. infans-StEG Kongress, Bad Krozingen, 12.07.2013.


Übernahme des Beitrages mit freundlicher Genehmigung aus
Kita Aktuell ND 3-2016.


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