Julie Salis-Schwabe (1819-1896)

Eine in Vergessenheit geratene Pionierin der internationalen Kindergartenbewegung um Friedrich Fröbel


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Julie Salis Schwabe (Quelle: Ida Seele-Archiv)
Christa Dommel konstatiert treffend, dass die Institution Kindergarten seine Entstehung und internationale Ausbreitung seit dem 19. Jahrhundert nicht zuletzt der tatkräftigen "Unterstützung und Weiterentwicklung durch jüdische Pädagoginnen... [verdankt; M. B.]. Die Anfänge der Kindergartenbewegung um Friedrich Fröbel waren nicht von den christlichen Kirchen geprägt, sondern durch eine religionsübergreifende soziale Bewegung im Kontext der demokratischen Bestrebungen um 1848, an der vor allem christliche Außenseiter (Freikirchen) und liberale Juden beteiligt waren, die ein gemeinsames Ethos verband" (Dommel 2005, S. 441). Julie Salis Schwabe gehört zu jenen unsichtbaren weiblichen Profis jüdischer Abstammung, die maßgeblich an der Verbreitung des Kindergartens und der Fröbelpädagogik mitgewirkt hatten. Sie sah in der Erziehungs-/Bildungsphilosophie des Pädagogen aus Thüringen den Schlüssel für den sozialen Fortschritt.

Biographische Eckdaten

Ricke Rosetta erblickte am 31. Januar 1818 in Bremen das Licht der Welt. Später wurde Ricke in Julie geändert (1). Nur wenig ist über ihren familiären Hintergrund bekannt. Sie hatte noch zwei Brüder (bisher bekannt): Henry und Adolph. Ihre Eltern waren Gottschalk Herz Schwabe und Marianne Schwabe, geb. Sussman (2). Der Vater war ein wohlhabender Manufakturwarengroßhändler, der 1821 seinen Betrieb nach Hamburg verlegte. Es heißt, dass Julie eine liebe und sorgfältige Erziehung genoss. Da seinerzeit assimilierte jüdische Familien großen Wert auf eine solide Ausbildung ihrer Töchter legten, erhielt sie bis zu ihrem 16. Lebensjahr Privatunterricht, u. a. auch Religionsstunden bei dem jüdischen Reformer Eduard Kley (1789-1867). Da dem jungen Mädchen das folgende Leben als höhere Tochter, das sich durch untätiges Dasein und Warten auf den sie finanziell versorgenden Ehemann beschränkte, missfiel, ging es für zwei Jahre nach Leipzig und bildete sich im Hause einer befreundeten Familie im "schöngeistigen Bereich" (Sprachen, Theater, Musik, Handarbeit etc.) weiter. Nach Rückkehr ins elterliche Haus heiratete Julie Schwabe am 14. Oktober 1837 ihren steinreichen Cousin Salis Schwabe (1800-1853), geb. Salomon ben Elias Schwabe. Der 1835 im "Vereinigten Königreich Großbritannien und Irland" eingebürgerte Großindustrielle war seit 1832 Mitglied der Glasgower Kaufmannschaft (Merchants House) und Eigentümer eines alten Bleich- und Baumwolldruckunternehmens (700 bis teilweise 900 Mitarbeiter), mit angeschlossener (Sonntags-)Schule. Ihr Ehemann muss "von seltenen Herzens- und Geistesgaben gewesen sein, [der; M. B.] reichlich Gelegenheit fand, sich in dem philanthropischen England bei Wohlfahrtseinrichtungen aller Art zu beteiligen" (Bodenstein 1996, S. 6). Julie Salis Schwabe (3) sprach noch "im hohen Alter mit großer Verehrung... von [seiner; M. B.] Großherzigkeit" (ebd., S. 7). Aus der als glücklich geltenden Ehe gingen drei Töchter und vier Söhne hervor. Die Mutter, die einen großen feudalen Haushalt zu überwachen hatte, hielt sich so oft es ihre knapp bemessene Zeit zuließ bei ihren Kindern auf und kümmerte sich weitgehend selbst um ihre Erziehung und Bildung. Dabei wurde sie unterstützt von Bonnen und Privaterziehern.

Das Ehepaar Schwabe waren überzeugte Unitarier (4). Ihr gastfreundliches Haus, ob in ihrer Landvilla bei Manchester oder später in ihrem Schloss am Seegestade auf der Insel Anglesa in North-Wales, war geprägt durch Weltoffenheit, Toleranz und soziales Empfinden. Es bildete den Sammelplatz geistig und künstlerisch hervorragender Persönlichkeiten; "besonders aber waren außer den Koryphäen der Kunst und Wissenschaft, die Vertreter humaner Bestrebungen stets hochwillkommen" (ebd., S. 10), wie Julie Salis Schwabes Biografin schrieb:

"Unter den vielen Künstlern, deren sich das Schwab’sche Haus erfreute, seien nur genannt: Jenny Lind [1820-1887; M. B.], welche in diesem Haus ihren Gatten, Otto Goldschmidt [1829-1907; M. B.], kennen lernte, Sir Julius Benedict [1804-1885; M. B.], [Frédéric; M. B.] Chopin [1810-1849; M. B.], [Anton Grigorjewitsch; M. B.] Rubinstein [1829-1894; M. B.], Ary Scheffer [1795-1858; M. B. u.a... Mit dem großen Parlamentarier Richard Cobden [1804-1865; M. B.] und seiner Frau [Cathrine Anne (1815-1877); M. B.] verband sie eine enge Freundschaft“ (zit. n. ebd. S. 10 f).

Vermutlich kam Julie Salis Schwabe mit Friedrich Fröbel (1782-1852) und seiner Idee des Kindergartens, den dieser 1840 in (seit 1911 Bad) Blankenburg "stiftete", über Malwida von Meysenbug (1816-1903) und Johanna Goldschmidt (1806-1884), eine geborene Schwabe, in Berührung. Im November 1849 kam der "Kindergartenstifter" auf Einladung von Johanna Goldschmidt, die diesen inzwischen persönlich im thüringischen Kurort Bad Liebenstein kennengelernt hatte, und Doris Lütkens (1793-1858) nach Hamburg, um dort den "ersten Hamburger, wie überhaupt den ersten Deutschen Bürger-Kindergarten" (Goldschmidt 1853, S. 341) zu eröffnen. Außerdem bildete er 22 junge Frauen und Mädchen zu Kindergärtnerinnen aus. Angeregt durch den Kontakt, den Julie Salis Schwabe mit den Hamburger Kindergartenanhänger*innen pflegte, studierte sie die Schriften Friedrich Fröbels und unternahm mehrere Studienreisen, u. a. durch Deutschland, Holland, Italien und der Schweiz. Sie besuchte Fröbel-Kindergärten, Schulen und mildtätige Einrichtungen.

1865 übersiedelte Julie Salis Schwabe nach London. Entsprechend ihrer Lebenseinstellung verstärkte sie ihr soziales Engagement. Besitz und Reichtum betrachtete sie als anvertrautes Gut, "für dessen Verwendung zum Besten des Ganzen man der Allgemeinheit verpflichtet ist" (Lück 1937, S. 309). Neben London galt ihr soziales Engagement der Stadt Neapel, wo sie ab 1861 alljährlich einige Monate weilte (vgl. Albisetti 2006, S. 637 ff.). In genannten Städten setzte sich die Philanthropin nicht nur für die Bildung und Erziehung verwahrloster Kinder und Jugendlicher, sondern ebenso für Krankenhäuser, Irrenanstalten sowie allgemein für in Not geratene Menschen, egal welcher Hautfarbe und Religion sie angehörten. "Das Studium menschlichen Elends einerseits, und menschlicher Hilfe andererseits füllt[en; M. B.] sie ganz aus" (zit. n. Bodenstein 1996, S. 14), resümierte ihre Biographin. Unermüdlicher humanitärer Einsatz für andere, Hintanstellung der persönlichen Interessen und Kräfte bis zur Selbstaufgabe, diese Eigenschaften wurden/werden ihr in allen Zeugnissen ihrer eigenen und späteren Zeit nachgerühmt. Und so war letztlich ihre Lebenskraft aufgebraucht. Julie Salis Schwabe starb am 20. Mai 1896 an den Folgen einer Lungenentzündung in Neapel, wo sie wenige Tage später auf den britischen Friedhof beerdigt wurde. Die Beisetzung, "die ohne kirchliche Handlungen, ohne Gebet und Gesang stattfand, soll dem einer Königin gleichgekommen sein" (ebd., S. 15). Noch kurz vor ihrem Tod hatte die Philanthropin geschrieben:

"Ich bin zahllose Treppen um sonst gestiegen, habe viele Stunden verwarten müssen und war oft froh, wenn man mir eine Tasse Thee anbot. Unzählige Briefe schrieb ich umsonst, bei vielen klopfte ich vergebens an und verbrachte manche Nacht schlaflos, weil ich fürchtete, mein Werk nicht zu Ende führen zu können" (zit. n. ebd., S. 16).


Ihr Wirken in Neapel

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Julie Salis Schwabe im Alter (Quelle: Ida Seele-Archiv)
860-1861 weilte Julie Salis Schwabe in Rom. Von dort aus reiste sie auch nach Neapel, wo sie "ganz neue soziale Verhältnisse kennen [lernte; M. B.]. Da gab es besonders... viele Hunderte, die nie ein geregeltes Familienleben, eine geordnete Häuslichkeit, ja kaum eine Heim- und Ruhestätte kannten. Sie leben bei Tag auf der Straße und kriechen des Nachts auf eine Hausschwelle oder in den schmutzigen Winkel einer Hütte auf eine Lagerstatt, die sie für wenige Soldis erringen. Die Soldis zum Essen und zur Schlafstelle verdienen sie durch Betteln oder kleine Hülfeleistungen... Statistische Berichte hatten ergeben, daß von 6 500 000 Seelen in der Provinz Neapel nur 67 431 Schulunterricht erhielten, die anderen aber der Verdummung und dem Aberglauben preisgegeben waren" (zit. n. Bodenstein 1998, S. 20). Hier war "edelmütige Gönnerschaft" dringend erforderlich, die für Julie Salis Schwabe nicht in Form von Almosen sondern in der Errichtung von Erziehungs- und Bildungseinrichtungen bestand. Sie war der Ansicht, dass eine gute professionelle Erziehung und "Bildung für die Massen das sicherste Mittel ist, um ein Land, eine Gesellschaft zu verbessern" (zit. n. ebd., S. 24), wie sie in einem Brief an den populären Protagonisten der italienischen Einigungsbewegung, Giuseppe Garibaldi (1807-1882), schrieb. Letztgenannter wandte sich im Jahre 1860 in einem Aufruf an die italienischen Frauen und forderte diese zur Mitarbeit für das Wohl der verwahrlosten unteren Volksschichten, namentlich Süditaliens auf. Julie Salis Schwabe war "eine der ersten, an welche sich das Turiner philanthropische Frauenkomité behulfs Beitritt zu demselben wandte... 'Kommt, laßt uns unsern Kindern leben!' Dieser Mahnspruch Fröbel's that besonders not in einem Lande wie Italien, wo auf dem Gebiete der Pädagogik noch recht wenig geschehen war" (zit. n. Bodenstein 1996, S. 26). Die in eine ungewisse Zukunft blickenden Kinder/Jugendlichen sollten in einer alleseinschließenden Erziehungs-/Bildungsinstitution lernen, was sie für ihr späteres Leben brauchen: Schreiben, Lesen, Rechnen, Turnen, Singen, Zeichnen, Geographie, Geschichte, Denkübungen, Sprachen etc., nicht aber Religion, dafür, so Julie Salis Schwabe, "sind die Eltern zuständig" (zit. n. ebd., S. 27). Die "edle Frau" schrieb an ihre "Sponsoren" in Deutschland, England, Italien, Frankreich u. a. Ländern:

„Indem auf diese Weise die menschenfreundlichen, aufgeklärten und ernsten Denker der verschiedenen Nationen sich vereinen, einen Zustand der tiefsten menschlichen Versunkenheit zu verbessern, wage ich zu hoffen, daß das Institut in Neapel auch die erste Grundlage eines Bündnisses edler Menschen werde, die ohne Unterschied der Nationalität und des Glaubens sich vereinigen, jenen unheilvollen Mächten entgegenzuwirken, die statt des Reiches Gottes und alles Guten und Wahren auf Erden nur ihre eigene Macht und Herrschaft durch Unwissenheit der Massen zu begründen suchen" (zit. n. ebd., S. 32).
 
In London gab 1860 die weltberühmte Opernsängerin Jenny Lind (1820-1887) extra für Julie Salis Schwabes Vorhaben ein Benefizkonzert, das 1 000 Pfund Sterling einbrachte. Mit den Einnahmen konnte 1861 in Neapel eine Mädchenschule errichtet werden, der bald ein Kindergarten und ein Lehrerinnenseminar folgten. Einen Teil der Lehrkräfte/Kindergärtnerinnen italienischer, deutscher und englischer Nationalität schickte Julie Salis Schwabe zur Ausbildung nach Hamburg. Dort stand damals die Lehrerinnen- und Kindergärtnerinnenausbildung in hoher Blüte. Leider mussten bereits nach zwei Jahren die sozialen Einrichtungen infolge einer Cholera-Epidemie geschlossen werden. Nach zehnjährigen hartnäckigen Kämpfen gelang es der Wohltäterin das "Instituto Froebeliano" wieder aufzubauen, mit achtbarer Unterstützung der italienischen Regierung. Der damalige Justiz- und Kultusminister Antonio Scialoja (1817-1874), stellte ihr dafür ein "großes Regierungsgebäude, das Ex-Collegio-Mecico, und vierundzwanzigtausend Franken... zur Verfügung“ (Redaction 1876, S. 124).

Das Institut, welchem "Frau Julie Salis-Schwabe, mit Aufopferung ihrer Person" (Portugall 1906, S. 107) über zwei Jahrzehnte hindurch diente, umfasste einen Volkskindergarten, mit drei hellen Kindergartenklassen, eine Elementarschule mit Vermittlungsklassen, welche die Kinder vom Kindergarten in die Schule überleitete, eine Volksschule, eine Präparandie für Knaben, die die Schüler bis zur Quarta des Gymnasiums vorbereitete sowie eine höhere Mädchenschule, der sich Ausbildungsklassen für Kindergärtnerinnen anschlossen. In allen Einrichtungen wurde nach der Methode Friedrich Fröbels, die dieser in seinen Schriften aufstellte, gearbeitet und unterrichtet. Alle Elementarlehrerinnen stimmten darin überein, dass "ihnen die Schüler aus dem Kindergarten lieber waren und sie leichtere Arbeit mit ihnen hatten als mit denen, die ohne jede Vorbereitung aus dem Elternhause zu ihnen kamen" (zit. n. Bodenstein 1996, S. 48). Nur das weibliche Geschlecht erachtete Julie Salis Schwabe für die Erziehung und Bildung kleiner Kinder als geeignet, ganz im Sinne Friedrich Fröbels, der, wie sie konstatierte, in "den ersten Kursen junge Männer, ebenso wie Frauen, 'zur Pflege des Beschäftigungstriebes' ausbildete. Durch Enttäuschungen belehrt und im vollen Bewußtsein seiner bisherigen Blindheit wandte sich der Pädagoge im Jahre 1840 an die gesamte Frauenwelt Deutschlands, die ihn unterstützen und helfen möge, sein Werk der Erziehung und Bildung kleiner Kinder zu verwirklichen. Diesem Rufe haben die Frauen im vollen Maße entsprochen" (zit. n. ebd., S. 52 f).

In London begegnete die Anstaltsgründerin Helene Klostermann (1858-1935). Als diese zu ihr als Mitarbeiterin und Sekretärin kam, war Julie Salis Schwabe "schon eine alte Dame, die aber noch mit ungebrochener Kraft ihre großen Liebeswerke“ (Lück 1937, S. 307 f) ausführte. Helene Klostermann, die angeregt durch das Werk der "alten Dame" zu einer der "gründlichsten Kennerin Fröbelschen Lebens und Gedankengutes, seine feinsinnigste Deuterin“ (ebd., S. 313) wurde, konstatierte in ihren unveröffentlichten "Erinnerungen aus meinem Leben" über die neapolitanische Einrichtung:

"Die natürliche gesunde Entwicklung im Kindergarten bereitete den späteren Schulunterricht in der glücklichsten Weise vor, und dieser verließ seinerseits nicht die im vorschulpflichtigen Alter geübte schaffende Tätigkeit, sondern stellte darin nur allmählich wachsende höhere Anforderungen und verband dadurch mit der Entwicklung der Hand die des Geistes, mit dem Tun das Erkennen. Fortschreitend trat dann immer mehr das eigentliche Lernen in seine Rechte, doch wurde in allen Klassen Handfertigkeiten und Hausfleiß gelehrt und in besonderen dafür angesetzten Stunden durchgeführt... Jeder Blick in die Kindergärten und Schulklassen gab Gelegenheit, die geordnete und doch freie Art der kindlichen Tätigkeiten mit den dargebotenen [Fröbel‘schen Spiel- und Beschäftigungs-; M.B.] Mitteln zu beobachten" (zit. n. Link).

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Spendenliste (Quelle: Die Gartenlaube 1876/H. 7, S. 124)
Pausenlos war Julie Salis Schwabe auf der Suche nach finanzkräftigen Sponsoren für ihre Erziehungs-/Bildungsinstitution. Diesbezüglich wurde sie unterstützt von dem Periodikum "Die Gartenlaube. Illustriertes Familienblatt", das im Namen von Julie Salis Schwabe die "verehrten deutschen Landesleute um einmalige Beiträge zur Begründung eines Fröbel-Instituts in Italien" (Redaction 1876, S. 124) ersuchte. Die Fröbelepigonin Eleonore Heerwart (1835-1911) erinnerte sich mit folgenden Worten an die "edle deutsche Frau, die durch ihre Heirat Engländerin geworden" (Bodenstein 1996, S. 7), der sie 1874 in London begegnete:

"In diesem Jahr machte ich auch die wertvolle Bekanntschaft von Madame Julie Salis-Schwabe, die für die Einführung der Fröbelschen Erziehung in Italien Freunde warb und Beiträge sammelte. Die Gründung der Schulen im Ex-Collegio medico war ihr Werk; sie suchte Lehrerinnen dafür zu gewinnen und frug mich, ob ich nach Neapel gehen wolle, allein ich konnte Stockwell College nicht verlassen. Ich traf sie in einer Gemälde- und Kunstausstellung eines Tages, die sie eingerichtet hatte, um von dem Verkauf der Gegenstände Mittel zu erzielen, womit die Schule in Neapel unterstützt werden sollte. Sie selbst hat große Opfer gebracht" (Heerwart 1906, S. 145 f).

Eleonore Heerwart vermittelte Julie Salis Schwabe die Fröbelpädagogin Adele von Portugall (1828-1910), die bei Friedrich Fröbels Großnichte, Henriette Schrader-Breymann (1827-1899), in Neu-Watzum einen Kindergartenkurs absolviert hatte, als Leiterin des Fröbel-Instituts (vgl. Portugall 1905, S. 107). Großen Wert legte die Gründerin darauf, dass im Kindergarten, wie in der Familie, Jungen und Mädchen gemeinsam erzogen und gebildet wurden. Die Institution betreute Kinder im Alter von ca. 3 bis 6 Jahren, "und wenn nicht besondere Vorkommnisse eintraten, so konnten die Mädchen in demselben ihre vollständige Ausbildung erlangen und bis zum 20. Lebensjahr darin verbleiben" (ebd.). Die vorschulische Einrichtung selbst, die mit 9 Bambinos ihren Anfang nahm, zählte 1890 weit über 170 Kinder. Die ehemalige Leiterin, Adele von Portugall, bedauerte, dass nach Julie Salis Schwabe Tod "Fröbels Geist, der bei Lebzeiten der Gründerin immer mit neuem Enthusiasmus belebt wurde, sobald ihr Fuß die Schwelle des Instituts überschritten hatte, nach und nach erstorben" (ebd.) sei.

Im Jahre 1887 erhielt die allumfassende Erziehungs- und Bildungsinstitution den ehrenvollen Titel "Instituto Froebeliano Internazionale Emanuele II" verliehen. Vittorio Emanuelle II. (1820-1878) war von 1861 bis 1878 der erste König des geeinten Italiens.

Ihr Wirken in London

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Eine Gedenktafel an der Ibstock Place School Roehampton erinnert an Julie Salis Schwabe (Foto: Herbert Vogt)
Der Erfolg von Neapel spornte die inzwischen über 70 Jahre alte Wohltäterin dazu an, mit einer Gruppe gleichgesinnter Frauen und Männer auch im "Vereinigten Königreich von Großbritannien und Irland" eine "Fröbel-Society" ins Leben zu rufen, deren Gründung 1892 erfolgte. Dadurch sollte die Entwicklung des Kindergartens mit Berücksichtigung der Prinzipien der Fröbelpädagogik, die seinerzeit als ziemlich radikal galten, verbreitet werden. Schließlich konnte am 20. September 1894 in Colet Gardens, im Londoner Stadtteil Kensington, ein großer Volkskindergarten, d. h. ein Muster-Erziehungsinstitut im Geiste Friedrich Fröbels, sowie ein nicht-konfessionell gebundenes Lehrerseminar feierlich eröffnet werden. Eingeweiht wurde das "Fröbel-Educational-Institute" am 5. März 1895 in Anwesenheit seiner hohen Protektorin, der ältesten Tochter von Queen Victoria (1819-1901), der Kaiserin Friedrich (1840-1901). Die Bildungs-/Erziehungseinrichtung florierte und viele liberale intellektuelle Familien schickten ihre Kinder dorthin.

Das einstige "Fröbel-Educational-Institute" existiert noch heute als "Ibstock Place School". Die Institution ist inzwischen in Roehampton angesiedelt und fühlt sich nach wie vor im Sinne von Julie Salis Schwabe den Fröbel‘schen Grundideen verpflichtet (vgl. Lawrence 2012, S. 31 ff.).
 
 

InkedInkedimg20200802 17344210 LI(Quelle: Ida-Seele-Archiv, Dillingen/Donau)



Anmerkungen

1) Zeitpunkt und Grund der Vornamensänderung konnten trotz intensiver Recherche nicht ermittelt werden.
2) Geburts- und Todesdaten der einzelnen Familienmitglieder konnten trotz intensiver Recherche nicht ermittelt werden.
3) Warum führte Julie Salis Schwabe den Vornamen ihres Ehemannes? Dazu gibt es zwei Erklärungen: 1. Im Englischen galt es höflich, wenn eine verheiratete Frau in der Schriftform mit dem Vornamen ihres Mannes angesprochen wurde. 2. In gehobenen bürgerlichen Kreisen war es durchaus üblich, dass die Witwe zum Andenken an ihren Mann dessen Vornamen den Familiennamen voranstellte. In der Sekundärliteratur werden unterschiedliche Vor- und Nachnamen von Julie Salis Schwabe genutzt; es finden sich: Julie oder Julia Salis Schwabe, Julie oder Julia Salis-Schwabe sowie Julie oder Julia Schwabe.
4) Wann das Eheepaar der Religionsgemeinschaft des Unitarismus beigetreten sind konnte nicht eruiert werden.

Literatur


  • Albisetti, J. C.: Education for poor Neapolitan children: Julie Schwabe's nineteenth‐century secular mission', in: History of Education 2006, S. 637-652
  • Asch, J.: Eine Fröbelsche Erziehungsanstalt in Neapel (Instituto Froebliano Vittorio Emanuele II), Breslau 1897
  • Berger, M.: Die Fröbelpädagogik nach Europa getragen. Julie Salis-Schwabe, eine in Vergessenheit geratene Fröbel-Pädagogin, in: Theorie und Praxis der Sozialpädagogik (TPS) 2016/H. 2, S. 52-54
  • Bodenstein, J.: Julie Salis-Schwabe – Leben und Wirken einer deutschstämmigen Pionierin jüdischer Abstammung in Italien und in England, München 1996 (unveröffentl. Diplomarbeit)
  • Dommel, Ch.: Interreligiöses Lernen im Elementarbereich: Kindertagesstätten und Kindergärten, in: Schreiner, P./Sieg, U./Elsenbast, V. (Hrsg.): Handbuch Interreligiöses Lernen, Gütersloh 2005, S. 434-452
  • Goldschmidt, J.: Zur Sache Friedrich Fröbel’s, in: Rheinische Blätter für Erziehung und Unterricht, 1853, S. 325-344
  • Heerwart, E.: Fünfzig Jahre im Dienste Fröbels. Erinnerungen. I. Band. Bis zum Jahr 1895, Eisenach 1906
  • Lawrence, E.: Friedrich Foebel and englisch Education, Abingdon 2012
  • Lück, C.: Frauen. Acht Schicksale, Reutlingen 1937
  • Portugall, A. v.: Friedrich Fröbel sein Leben und Wirken, Leipzig/Berlin 1905
  • Redaction der Gartenlaube: Für ein Fröbel-Institut in Italien, in: Die Gartenlaube 1876/H. 7, S. 124

Archiv

• Ida-Seele-Archiv, 89407 Dillingen


Webseiten

http://www.ibstockplaceschool.co.uk/ (zuletzt abgerufen am 2.1.2020)
https://www.ilmattino.it/rubriche/uovo_di_virgilio/frau_julie_l_angelo_che_sussurrava_agli_scugnizzi_di_napoli-4199873.html (zuletzt abgerufen am 2.1.2020)
https://www.nifbe.de/component/themensammlung?view=item&id=881:helene-klostermann-1858-1935&catid=37 (zuletzt abgerufen am 2.1.2020)
http://www.ibstockplaceschool.co.uk/ (zuletzt abgerufen am 2.1.2020)
https://de.wikipedia.org/wiki/Julie_Salis-Schwabe (zuletzt abgerufen am 2.1.2020)
https://en.wikipedia.org/wiki/Julie_Schwabe (zuletzt abgerufen am 2.1.2020)
https://de.wikisource.org/wiki/F%C3%BCr_ein_Fr%C3%B6bel-Institut_in_Italien (zuletzt abgerufen am 2.1.2020)
https://www.nifbe.de/fachbeitraege/autorinnen-der-fachbeitraege?view=item&id=347:eleonore-heerwart-1835-1911&catid=37(zuletzt abgerufen am 2.1.2020) (zuletzt abgerufen am 2.1.2020)
https://www.ilmattino.it/rubriche/uovo_di_virgilio/frau_julie_l_angelo_che_sussurrava_agli_scugnizzi_di_napoli-4199873.html (zuletzt abgerufen am 2.1.2020)
https://www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/geschichte-der-kinderbetreuung/manfred-berger-frauen-in-der-geschichte-des-kindergartens/1223 (zuletzt abgerufen am 2.1.2020)
 
 


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