Keine Angst vor neuen Medien

Vom Konsumenten zum Produzenten

Neue Medien gehören zur Lebenswelt der Kinder. Kinder sollen vor dem sechsten Lebensjahr nicht mit Technik in Berührung kommen. Kein Fernsehen, nichts Digitales, kein Telefon. Diese Meinung ist in Deutschland weit verbreitet. Sinnvoll ist sie nicht.


Man kann in großen Städten kaum aus der Haustür treten, ohne jemandem zu begegnen, der ein Smartphone oder ähnliches in der Hand hält. Eltern am Rande von Spielplätzen führen nicht nur einen Latte to go mit sich, sie tippen und wischen auch ausdauernd auf Smartphone oder Tablet herum. Jedes Baby wird unendliche Male fotografiert und blickt dabei in die Linsen von Kameras, Smartphones oder Tablets.


Kleinkinder lernen durch Nachahmung. Sie beobachten die Handlungen anderer Menschen genau und versuchen, diese zu verstehen. Was ist ein Portemonnaie, wozu braucht man einen Schlüssel, wie funktioniert ein Kochlöffel? Wir laden Gegenstände durch unser Tun mit Bedeutung auf. Kinder müssen mit all diesen Alltagsdingen hantieren, um den Sinn der Welt zu verstehen. Zum Alltag zählen heute auch diverse digitale Geräte.


Kinder brauchen Technikkompetenz


Kein Genie ist je vom Himmel gefallen – und unsere Kinder sind schon gar nicht als Digital Natives geboren. Wenn uns Erwachsene etwas von den Kindern unterscheidet, dann der Trieb der Kleinen, die Dinge, mit denen wir täglich umgehen, zu erkunden und zu verstehen. Das gibt ihnen den Vorteil, mit ungebremster Neugier und ohne großes Nachdenken technische Geräte zu benutzen. Erwachsene sitzen einem Irrtum auf, wenn sie verzückt vor Glück das Können der Kleinen als hohe Begabung interpretieren.


Experimentierfreude und fehlende Vorurteile helfen den Kindern bei der Aneignung, tieferes Verstehen und Anwenderkompetenz kann allerdings nur unter Begleitung von Erwachsenen erlangt werden. Lernen ist ein komplexer Prozess, der Lehrer, Austausch, emotionale Verbundenheit und Interesse braucht.


Die Zukunft braucht Menschen mit technischen Kompetenzen. Diese müssen erworben und geübt werden. Daher ist es notwendig, den Kindern den Umgang mit technischen Geräten beizubringen. Wer sein Kind nicht im frühen Alter mit Fernseher, Computer oder Tablet in Berührung bringt, lässt wichtige Lernfenster ungenutzt vorbeiziehen, erzieht Abneigung und Angst. Mit diesen Attributen ausgestattet lernt es sich später schwer. Das gilt für Mathematik genauso wie für technische Kompetenzen.


Ungefähr im fünften Lebensjahr ist die Ich-Entwicklung der Kinder an einem Punkt angekommen, an dem sie erkennen, dass nicht alle Menschen so sind, wie sie selbst. Sie lernen in diesem Alter unterschiedliche Weltwahrnehmungen kennen und probieren aus, was sich damit anstellen lässt. Die Idee vom Schummeln entsteht. Fragt das Kleinkind stetig »Warum?«, so fragt das Vorschulkind: »Ist das wahr?« Diese Fragestellung bekommt in der modernen Welt eine neue Bedeutung. Wir gewinnen unsere Informationen aus den Medien. Hier zeigen uns Bilder aus der ganzen Welt, was an anderen Orten los ist. Reporter erzählen dazu, was sie darüber denken. Was davon wahr ist, wissen wir nicht.


Die Medienpädagogen fragten schon in den 1970er-Jahren: »Kann man glauben, was in der Zeitung steht?« Heute haben sich die Medien geändert, die Frage ist dieselbe geblieben: »Kann man den Informationen aus dem Internet trauen?« Wie lernt ein Kind zwischen dem Wahrheitsgehalt der Ice Age-Filme und dem der Nachrichten zu unterscheiden?


Ganz klar: Nur durch eigene Erfahrungen unter stetiger Begleitung von Erwachsenen. Neue Studien zeigen, dass die heute 12- bis 14-jährigen den Wahrheitsgehalt des Internets nicht sicher beurteilen können. Sie halten das für wahr, was gut aussieht. Ihre Kompetenz im Umgang mit Computern beschränkt sich aufs Spielen. Sie sind kaum in der Lage, Informationen bereitzustellen oder zu verwerten. Ziemlich traurige Ergebnisse mitten im Computerzeitalter.


Wir sollten aus diesen Resultaten die richtigen Schlüsse ziehen und den Kindern schon im Kindergarten helfen, die Informationen der digitalen Welt selbst zu erleben, zu gestalten und zu verstehen. Kinderleicht zu bedienende Apps machen es möglich, dass Kinder selbst Filme drehen und schneiden, Fotos bearbeiten und Bücher zusammenstellen.


Die Idee vom »Digital Native« sollten wir dabei allerdings ganz schnell vergessen. Niemand lässt sein Kind allein den Straßenverkehr erkunden. Der sichere Umgang im Verkehr wird unter Begleitung von Erwachsenen gelernt, die aufmerksam dabei sind und das Kind Schritt für Schritt selbstständiger werden lassen. Diese Methode ist beim Erlernen von Informationskompetenz unbedingt anzuwenden.

 

Es geht nicht ums Wie lange, es geht ums Wie


»Wie lange darf ein Kind fernsehen, sich mit dem iPad beschäftigen...?« Diese Fragen werden mir immer wieder gestellt und offenbaren den Wunsch nach klaren und verständlichen – vor allem aber allgemeingültigen – Antworten auf pädagogische Fragestellungen. Verbirgt sich hinter dieser Frage nicht auch die Vermutung der Erwachsenen, dass – wie bei Medikamenten – die richtige Dosierung zu den gewünschten Ergebnissen führt? Nebenwirkungen eingeschlossen? Zwei Stunden das Bein am Fußball, eine Stunde den Stift in der Hand, nochmal zwei Stunden Legosteine anfassen, dann Messer und Gabel für eine halbe Stunde, den Kindersitz im Auto zweimal am Tag für zehn Minuten usw.


Das Beispiel macht deutlich: Es geht nicht darum, wie lange man sich mit den Dingen beschäftigt, sondern wie. Lernen ist ein diskursiver Prozess. Damit ist gemeint, dass Lernen am besten im Austausch mit anderen Menschen funktioniert. Fernsehen macht Spaß, wenn die ganze Familie zusammenhockt und das Gesehene emotional diskutiert. Fußball spielt man am besten im Team. Die Benutzung von iPad-Apps macht dann Sinn, wenn die Entdeckungen mit anderen geteilt werden können. »Sieh mal, wie komisch du auf dem Foto aussiehst!«, ruft Mira, nachdem sie das Foto ihres Vaters, welches sie kurz vorher aufgenommen hat, durch die verschiedenen Funktionen des Fotoprogramms laufen lässt. Louis hat Fotos von Gegenständen aus der Wohnung hinter QR-Codes versteckt und will nun, dass seine Mutter diese entschlüsselt. Die ganze Familie, samt Oma und Opa, trifft sich zum Geocaching im Wald. Die Frage, wie lange dabei das iPad benutzt werden darf, stellt sich nicht.


Wer die »Wie lange-Frage« stellt, hat nicht verstanden, dass die neuen technischen Geräte nichts weiter als eine Vereinigung diverser Gerätschaften sind: Fotoapparat, Diktiergerät, Navigator, TV, Filmkamera, Computer, Malblock, Kino, Notizzettel und vieles mehr stecken in den handlichen Geräten. Was man davon wie lange benutzt, hängt ganz von davon ab, was man erreichen will.

 

Kompetenzen, die Kinder im Umgang mit digitaler Technik brauchen

 

Anwenderkompetenz


Das Wissen,

  • wo ein Gerät ein- und ausgeschaltet wird,
  • wie die Stromversorgung funktioniert,
  • digitaler Technik in der Frühpädagogik eingesetzt.
  • auf welche Weise die grundlegenden Funktionen dieses
  • Gerätes bedient werden,
  • wie Programme funktionieren,
  • wie programmiert wird,
  • und – wie dieses Wissen auf andere Geräte übertragen
  • werden kann.

 

Informationskompetenz


Die neue digitale Technik ist mit dem Bereitstellen und Generieren von Informationen untrennbar verbunden. Informationen zu generieren, zu bewerten und kritisch zu hinterfragen ist eine wichtige Kompetenz, die schon im Kindergarten gelernt werden muss. Informationen bereitzustellen und dabei wichtige Regeln zu kennen und einzuhalten, ist eine wichtige Fähigkeit. Hier geht es nicht nur um Datenschutz, gesellschaftliche Werte wie Toleranz und Respekt, sondern auch darum, sich so zu äußern, dass andere das Geschriebene, Gefilmte oder Gesagte verstehen und einordnen können. Mit dem Erwerb dieser Fähigkeiten kann man nicht erst in der Schule beginnen.

 

Produktionskompetenz


»Vom Konsumenten zum Produzenten«, lautet der Leitsatz aller pädagogischen Bemühungen rund um die digitale Welt. Die neuen Technologien schaffen eine große Bandbreite an Möglichkeiten, Ideen zu entwickeln und zu verwirklichen.


3-D-Drucker an Schulen bereichern den Mathematikunterricht, denn nur wem es gelingt, den zweidimensionalen Entwurf der eigenen neuen Handhülle in die dritte Dimension zu bringen, kann diese kurze Zeit später aus dem Drucker holen. In Skandinavien gelingt dies Grundschülern. Kinder, die ihre Welt in selbstproduzierten Filmen abbilden, Kindergruppen, die mit Hilfe von Apps und digitalen Mischgeräten zum Musikorchester werden, sind Realität.


Wir haben also viel zu tun. Zeigen wir heutigen Kindern, wie sich digitale Geräte produktiv nutzen lassen und lehren wir sie, kompetent, sicher und selbstbewusst damit umzugehen.

 

Erstveröffentlichung in: Betrifft Kinder, 05 /2015, S. 6 - 9. Übernahme mit freundlicher Genehmigung vom verlag das netz




Zum Weiterlesen:

Medienkompetenz (nifbe-Themenheft 8)

Medienbildung und Medienkompetenz

Medienerziehung im Kindergarten

 



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