KiTa-Leitung: Über Aufgaben, Kompetenzen und (Doppel-) Rollen

Prof. Dr. Petra Strehmel im Interview mit Karsten Herrmann

Im Interview mit Karsten Herrmann erläutert Prof. Dr. Petra Strehmel die aktuelle Situation von KiTa-Leitungen in Deutschland und zeigt deren zentralen Aufgabenbereiche sowie die dafür notwendigen Kompetenzen auf. Prof. Dr. Petra Strehmel lehrt an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg Arbeits- und Organisationspsychologie und hat in jüngster Vergangenheit für das WiFFWiFF|||||WiFF ist ein Projekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, der Robert Bosch Stiftung und des Deutschen Jugendinstituts e.V. Die drei Partner setzen sich dafür ein, im frühpädagogischen Weiterbildungssystem in Deutschland mehr Transparenz herzustellen, die Qualität der Angebote zu sichern und anschlussfähige Bildungswege zu fördern. und das Bundesfamilienministerium zwei Expertisen zur KiTa-Leitung (mit-) verfasst.

 

  • Die KiTa-Leitung spielt bei der qualitativen Weiterentwicklung der frühkindlichen Bildung eine zentrale Rolle. Dennoch scheinen Zugangsvoraussetzungen und Aufgabenprofil für die Leitung einer KiTa alles andere als klar definiert zu sein. Stimmt dieser Eindruck?


Prof. Dr. Petra StrehmelDer Eindruck ist teilweise richtig. Die Zugangsvoraussetzungen zur Position der Kitaleitung sind in den Bundesländern äußerst heterogen und wenig spezifisch geregelt: Mal werden lediglich formale Ausbildungsabschlüsse vorausgesetzt, seltener bestimmte Fortbildungen oder eine bestimmte Zeit der Berufserfahrung gefordert. Manche Bundesländer sprechen davon, dass nur eine "geeignete Person" für die Leitungsfunktion infrage kommt. Die "Eignung" ist dabei nicht genauer umschrieben, die Kriterien werden den Trägern überlassen. Manche Bundesländer äußern sich in ihren Richtlinien auch gar nicht zu den Zugangsvoraussetzungen für eine Leitungsposition.
Was das Aufgabenprofil betrifft haben meine Kollegin Daniela Ulber und ich in unserer WIFF- Expertise ein Modell entwickelt, das die einzelnen Tätigkeitsbereiche der Kita- Leitung systematisiert und beschreibt. Ein Ausgangspunkt dabei waren die zehn Dimensionen der Trägerqualität, die Fthenakis et al. bereit2003 im Rahmen der Nationalen Qualitätsinitiative identifiziert hatten. Die darin genannten Aufgaben (zum Beispiel Konzeption und Konzeptionsentwicklung, Qualitätsmanagement, Personalmanagement, Finanzmanagement, Bau-und Sachausstattung) werden in der Praxis großenteils an die Leitungskräfte delegiert, da zum Beispiel die Konzeption partizipativ mit dem Team (und manchmal auch mit den Eltern und Trägern) entwickelt wird und weite Bereiche des Personalmanagements nur im alltäglichen Kontakt mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern möglich sind. Wir haben diese zehn Aufgabendimensionen integriert in einen Managementansatz aus dem Non-Profit- Bereich (vgl. Simsa & Patak 2008), welcher die Aufgaben der Leitung in sieben Dimensionen beschreibt. Die Dimensionen in diesem Modell sind anschlussfähig an theoretisches und empirisches Wissen über Führung, Leitung und Management, damit trägt das Modell zur Klärung des Aufgabenprofils der Kita- Leitung bei.

 

  • Was sind für Sie die zentralen Aufgabenbereiche einer KiTa-Leiterin?


Die Kernaufgaben der Kita-Leitung umfassen folgende Bereiche:

  1. Die pädagogische Leitung und die Betriebsführung,
  2. die Führung und Förderung der pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
  3. die Zusammenarbeit im Team, mit Eltern und Kooperationspartnern im Sozialraum (z.B. mit Schulen, KindertagespflegeKindertagespflege|||||Kindertagespflege oder Tagespflege umfasst eine zeitweilige Betreuung von Jungen und Mädchen bei Tagesmüttern oder Tagesvätern. Nach dem Tagesbetreuungsausbaugesetz von 2004 ist die Tagespflege neben der Tagesbetreuung in Kindertageseinrichtungen eine gleichwertige Form der Kindertagesbetreuung. , kulturellen Einrichtungen, Beratungsstellen, medizinischen und therapeutischen Einrichtungen, Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, Kinderschutzeinrichtungen usw.),
  4. die Organisationsentwicklung mit allen Beteiligten,
  5. das Selbstmanagement, zu der die eigene fachliche Positionierung und Fortbildung ebenso gehören wie Arbeitsorganisation, das Zeitmanagement und die Reflexion der eigenen Führungsrolle,
  6. die Beobachtung von Rahmenbedingungen und Trends und das Ziehen von Schlussfolgerungen für die eigene Einrichtung sowie
  7. die strategische Planung für das eigene Leitungshandeln.

 

  • Reicht die derzeitige Freistellungs-Regelung aus, um diese verschiedenen Aufgabenbereiche zu bewältigen?


Statt von Freistellung sollte man eher von den notwendigen Zeitkontingenten für die Leitung sprechen. Hier sind die Länderregelungen sehr unterschiedlich und meistens unzureichend. Wenn überhaupt sind die Zeitkontingente mal nach der Zahl der Kinder, der Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder der Zahl der Gruppen geregelt. Häufig heißt es aber auch nur, es sei „angemessen" Zeit zur Verfügung zu stellen und in einigen Bundesländern gibt es gar keine Regelungen.
Wir haben bislang kaum empirischempirisch|||||Empirie bezeichnet wissenschaftlich durchgeführte Untersuchungen und Erhebung, die gezielt und systematisch im Forschungsfeld oder im Labor durchgeführt werden. Empirische Forschungen können durch verschiedene Methoden praktisch angewendet werden.es Wissen darüber, wie Kitaleitungen ihre Aufgaben bewältigen, was möglicherweise liegen bleibt und aus Zeitnot nicht bewältigt werden kann. Vermutlich bleiben insbesondere Aufgaben zur Weiterentwicklung der Einrichtung und zum Transfer von Wissen aus Fort- und Weiterbildung auf der Strecke. Dies ließe sich zumindest angesichts der empirischen Ergebnisse aus der NUBBEK-Studie vermuten, nach der trotz massiver Investitionen in Weiterbildung die pädagogische Qualität in den Kita nicht gesteigert werden konnte.

 

  • Viele KiTa-LeiterInnen stehen in der Zwickmühle, zugleich Führungskraft und Kollegin, zugleich Managerin und Pädagogin im Gruppendienst zu sein. Wie ist damit umzugehen?


Kitaleitungen, die gleichzeitig im Gruppendienst arbeiten, sind in mehrfacher Hinsicht möglichen Konflikten ausgesetzt: gegenüber Teammitgliedern sind sie mal Kollegin, mal Vorgesetzten, gegenüber den Eltern ebenfalls in einer Doppelrolle als Bezugsperson ihrer Kinder und Einrichtungsleitung. Zwischen Träger, Team und Eltern sehen sich Leitungskräfte häufig widersprüchlichen Erwartungen ausgesetzt, die sie gegeneinander ausbalancieren sollen. Damit umzugehen erfordert einerseits eine hohe Fähigkeit, aus einer professionellen Distanz heraus die verschiedenen Rollenerwartungen wahrzunehmen, Situationen zu analysieren und zu bewerten und Entscheidungen aus einer bestimmten Perspektive heraus klar zu kommunizieren und zu begründen. Wichtig erscheint mir vor allem eine große Klarheit und Transparenz in der Kommunikation mit allen Beteiligten um für alle nachvollziehbar zu handeln. Um die widersprüchlichen Erwartungen auszuhalten und bewältigen zu können brauchen Leitungskräfte eine hohe AmbiguitätAmbiguität|||||Wird auch als  Mehrdeutigkeit oder Doppeldeutigkeit verwendet, z.B. wenn ein  Bild oder Satz auf verschiedene Arten und Weisen verstanden werden kann. Dazu gehören unter anderem auch Anspielungen.stoleranz sowie eine ausgeprägte Fähigkeit zum Selbst-Management und zur intensiven Selbstreflexion. Im besten Fall (aber keineswegs selbstverständlich) erhalten Kita-Leitungen dabei professionelle Begleitung und Unterstützung zum Beispiel durch Coaching oder in Leitungs-Arbeitskreisen zum Erfahrungsaustausch.

 

  • Welche Kompetenzen sollte eine KiTa-Leiterin mitbringen bzw. sich durch konsequente Weiterbildung aneignen?


Führungskräfte brauchen in aller Regel „Fach- und Feldkompetenz": sie sollten über eine hohe Fachkompetenz im Sinne eines profunden Wissens über Frühpädagogik, aktuelle DiskursDiskurs|||||Der Begriff Diskurs kann verschiedene Bedeutungen haben, wurde ursprünglich jedoch als  „hin und her gehendes Gespräch“ verwendet. Weitere Bedeutungen sind: theoretische Erörterung, systematische, methodische Abhandlung, gesellschaftliche Auseinandersetzung, Erörterung. Sinnverwandt sind auch Debatte, Diskussion, Disput. e, neue Anforderungen und wissenschaftliche Erkenntnisse verfügen. Neben der pädagogisch-fachlichen Leitung einer Kindertageseinrichtung brauchen sie Kompetenzen zur Führung eines Kleinbetriebes: Sie haben die Verantwortung für die Umsetzung aller rechtlichen Vorgaben, sie müssen mit den verfügbaren Ressourcen haushalten und wirtschaftlich handeln und dies mit den pädagogischen Erfordernissen in Einklang bringen können. Das heißt, sie brauchen neben pädagogischer Fachkompetenz umfassendes Managementwissen sowie die Fähigkeit, den Überblick zu behalten, notwendige Aktivitäten zu initiieren, zu steuern und zu koordinieren und Impulse für die Weiterentwicklung sowohl der einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als auch des Teams und der gesamten Organisation zu geben. Feldkompetenz meint, dass sie das Arbeitsfeld der Kindertagesbetreuung und die Fachpolitik vor Ort gründlich kennen müssen, um Bildungsprogramme zu erfüllen, die Ressourcen für die Kita zu sichern sowie Veränderungen in den Rahmenbedingungen und neue Trends im Feld rechtzeitig aufgreifen zu können.

 

  • Wo und für wen sehen Sie den dringendsten Handlungsbedarf in Sachen KiTa-Leitung?


Leitungstätigkeit ist Arbeit im Hintergrund und Dienstleistung für Träger, Team, Eltern und Kinder. Sie sichert damit die notwendigen Rahmenbedingungen für die Kernaufgabe der Kita: die Bildung, Betreuung und Erziehung der Kinder durch die Bereitstellung von Lernanlässen und Lerngelegenheiten und die Begleitung der Kinder in ihrer Entwicklung. Im Mittelpunkt stehen die Kinder und pädagogische Interaktionen, die den Kindern die notwendige Sicherheit und Geborgenheit vermitteln, damit sie die Welt entdecken können. Die umfassenden Aufgaben der Kitaleitung zur Gewährleistung der für eine gute pädagogische Qualität notwendigen Voraussetzungen werden häufig nicht sichtbar bzw. werden nicht gesehen und anerkannt. Dies spiegelt sich wider in den sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen für die Leitungsarbeit in den Bundesländern und Kommunen, nach denen die erforderliche Zeit zur Erledigung der vielfältigen und anspruchsvollen Aufgaben oft nicht zur Verfügung steht. Dabei lassen sich die notwendige Zeitkontingente für die Leitung in Abhängigkeit von Größe und pädagogischen Herausforderungen der Kita mittlerweile berechnen, wie ich dies in einer neuen Expertise (Strehmel, 2015) gezeigt habe. Neben der Anerkennung des Tätigkeitsprofils und die Bereitstellung der notwendigen Zeitkontingente besteht auch Handlungsbedarf im Hinblick auf die Qualifikation der Leitungskräfte, welche sich stärker als bisher am Aufgabenprofil und den damit verbundenen notwendigen Kompetenzen orientieren sollte.

 

 

Literatur:

 

 

  • Strehmel, P. (2015). Leitungsfunktion in Kindertageseinrichtungen: Aufgabenprofile, notwendige Qualifikationen und Zeitkontingente. In Viernickel, S., Fuchs-Rechlin, K., Strehmel, P., Preissing, C., Bensel, J. & Haug-Schnabel, G.: Qualität für alle. Wissenschaftlich begründete Standards für die Kindertagesbetreuung (S. 131-252). Freiburg: Herder.

 


Zum Weiterlesen:

LeiterInnen als professionelle Rollenvorbilder

Kita-Leitungskräfte: Was wir über sie wissen und was wir wissen wollen

KiTa-Leitung: Was muss ich können?



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