Sozialdidaktik und Lehrplanentwicklung - ein Vortrag

Inhaltsverzeichnis

  1. Was ist gemeint, wenn von Sozialdidaktik die Rede ist?
  2. Rückblick in Niedersachsen
  3. Schlussfolgerungen
  4. Was können Schulen beitragen?
  5. Ausblick
  6. Literatur

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Wie verlief die didaktische Entwicklung in Niedersachsen bisher und welche Folgerungen ergeben sich daraus?

Ein Blick zurück ist mitunter spannend und zeigt, wie es zur gegenwärtigen Situation gekommen ist. Außerdem kann er nostalgische Gefühle wecken …

In Niedersachsen entstand ein erster Lehrplan 1978. Ausgehend vom Postulat der Wissenschaftsorientierung des Deutschen BildungsratBildungsrat|||||Der Deutsche Bildungsrat wurde ab 1966 als eine Kommission für Bildungsplanung eingesetzt. Er wurde von Bund und Ländern gegründet. Aufgaben waren unter anderem: Strukturvorschläge zu machen, Bedarfs- und Entwicklungspläne für das deutsche Bildungswesen zu entwerfen, den Finanzrahmen zu berechnen und Empfehlungen für langfristige Planungen auszusprechen.s (1970) orientiert sich dieser an wissenschaftlichen (Teil-)Disziplinen, die sich in Fächern wie Pädagogik, Psychologie, Jugendhilfe, Didaktik und Methodik mit Übungen und der so genannten Medienfächer wie Kinder- und Jugendliteratur und Natur- und Sachkunde etc. widerspiegelten (Küls 2010a).

Die „Vorläufigen Richtlinien für den Unterricht an Fachschulen – Sozialpädagogik –„ aus diesem Jahr kamen nach einem längeren und breit angelegten Arbeitsprozess heraus, dessen Ergebnisse dann aber ganz anders aussahen als von der zuständigen Arbeitsgruppe angezielt. In diesem Lehrplan werden die Lerninhalte, Lernziele, Zeitbedarf der einzelnen Fächer detailliert angegeben. Er beschränkt sich auf kognitive Wissensbestände – ist ausgerichtet an fachsystematischer Wissensvermittlung.

Insgesamt spielten Personal- und Sozialkompetenzen eine sehr marginale Rolle – eigentlich überhaupt keine. Im Prinzip kommt ein Situationsbezug, d.h. die Orientierung an sozialpädagogischen Handlungssituationen ebenfalls nicht vor. Sozialdidaktische Ansätze waren noch nicht zu erahnen.

Damals entstand aber auch ein didaktischer Aufbruch in Niedersachsen, der sich aus der Arbeit am Lehrplan ergab, mit seinen Grundideen allerdings weit über diesen hinausging. Die  Arbeitsgruppe, die an den Richtlinien gearbeitet hatte, hatte nämlich ihre eigenen Überlegungen in einem Sammelband veröffentlicht (AG Lehrkräfte Nds. 1979). Im Gegensatz zum Lehrplan finden sich in diesen Ausführungen sozialdidaktische Prinzipien wieder wie z.B. der doppelte pädagogische Bezug oder die Reflexion von Erfahrungen aus der praktischen Ausbildung als Impuls für Selbsterfahrung und Selbstveränderung sowie die Betonung des Prinzips des individuellen Lernens.

1989 kam dann der nächste Lehrplan, die „Rahmenrichtlinien für den berufsbezogenen Lernbereich der Fachschule – Sozialpädagogik –“.  Die einzelnen Lerninhalte und Lernziele waren weder im Umfang noch in der zu bearbeitenden Reihenfolge festgelegt. Diese Rahmenrichtlinie enthielt im Gegensatz zu ihrem Vorgänger erste zaghafte Ansätze einer Situations- und Persönlichkeitsorientierung in Form einiger allgemeiner Bemerkungen. So werden bezogen auf die Unterrichtsgestaltung „eine gezielte Orientierung an Praxissituationen“ gefordert und im Hinblick auf die (berufliche) Persönlichkeitsentwicklung eine Reihe übergreifender Bereitschaften und Fähigkeiten formuliert. Allerdings blieb es bei diesen eher unverbindlichen bzw. die unterrichtliche Praxis wenig bindenden Vorbemerkungen. In den Schulen ist didaktisch allerdings während dieser Zeit viel geschehen.

Dem folgten dann 1998 Rahmenrichtlinien für die Fachschule – Sozialpädagogik -. Sie brachten mit den Entwicklungsaufgaben eine neue didaktische Dimension ein, die erstmaligspezifisch für das Feld der sozialpädagogischen Ausbildungsgänge gedacht war. Die Entwicklungsaufgaben gehen zurück auf ein Konzept von Gruschka, das vor allem in NRW Anwendung fand und auch noch findet (Gruschka 1985, vgl. Müller-Neuendorf 2006). Das Ziel, professionelle und kompetente Erzieherin zu werden, wird danach in der prozesshaften und subjektbezogenen Bearbeitung von vier Entwicklungsaufgaben erreicht – damit liegt ein stark persönlichkeitsorientierter Ansatz der Didaktik vor. Auch der Situationsorientierung wurde durch fächerübergreifende und handlungsorientierte Lernziele Rechnung getragen.

Faktisch gelang die Umsetzung dieser durchaus sozialdidaktisch verstehbaren Prinzipien nur bedingt. Viele Lehrkräfte haben weiterhin in ihrem jeweiligen Fach ihre Inhalte unterrichtet, ohne dass der Gedanke des fächerübergreifenden Lernens sich nachhaltig durchsetzen konnte. Vielleicht hat in Niedersachsen aber auch nur die Zeit gefehlt, um diesen neuen didaktischen Ansatz zu realisieren. Denn schon zwei Jahre später wurden durch das Kultusministerium in Hannover in einem curricularen Intermezzo die Entwicklungsaufgaben zu Fächern gemacht, so dass die Lerninhalte der Rahmenrichtlinien von 1998 ohne eine Zuordnung zu den Bündelfächern Pädagogik/Psychologie, Sozialpädagogik und Sozialpädagogische Medien bearbeitet werden sollten.

Gab es bis dahin durchaus eine stetige Weiterentwicklung in Richtung einer Implementierung zentraler sozialdidaktischer Prinzipien in den Lehrplänen, kommt es 2002 zu einem didaktischen Neuansatz. Es werden lernfeldorientierte Rahmenrichtlinien entwickelt und den Schulen curricular vorgegeben. Dieser Lehrplan hat bis heute Bestand.

Damit gab es einen Bruch in der Didaktikentwicklung – das sozialpädagogische Curriculum-Konzept der Entwicklungsaufgaben und der Persönlichkeitsentwicklung als Gestaltungsprinzip wurde aufgegeben bzw. später nur als unbedeutende Marginalie im Lehrplan übernommen. Und man wendete sich dem berufspädagogischen Konzept der lernfeldorientierten Didaktik zu. Damit wird die Berufspädagogik mit ihrer an gewerblich-technischen und kaufmännischen Ausbildungen orientierten Didaktik beruflicher Bildung leitend. Kennzeichen des Lernens in Lernfeldern, die hinlänglich bekannt sein dürften und auf die nicht näher eingegangen werden soll, sind (Küls 2008, 2009, 2010c):

                     

  1. Handlungsorientierter Unterricht
  2. Kompetenzorientierung
  3. Berufliche Handlungssituationen als Kontext der Lehr-Lern-Arrangements, d.h. fächerübergreifendes Lernen
  4. Theorie-Praxis-Bezug (Unterricht am Lernort Schule und praktische Ausbildung in sozialpädagogischen Einrichtungen)
  5. Eigentätiges bzw. selbstverantwortliches Lernen
  6. Lernen in Teams/Gruppen

 

Vermutlich wird auch ein Lehrplan, der dem jetzigen folgt, diese didaktischen Grundsätze beibehalten. Berufliche Bildung wird durch diese Merkmale geprägt, auch wenn sie demnächst eine modulare Form haben wird oder was auch immer.

Nun ist die SozialdidaktikSozialdidaktik|||||Sozialdidaktik  ist eine eigenständige Didaktik zur professionelle Ausgestaltung von Lehr- und Lernzusammenhängen in sozialpädagogischen Ausbildungsberufen,  die auf dem Kontext von sozialem und pädagogischen Denken, Konzipieren und Handeln basieren. mit diesem Lehrplan aber nicht verloren - hier zeigen sich ebenfalls Möglichkeiten und Spielräume, Prinzipien einer Sozialdidaktik zu realisieren. Dazu gibt es eine wissenschaftliche Untersuchung einerProjektgruppe aus dem Master LBS Sozialpädagogik(Grohe u.a. 2009).Sie hat sich im Rahmen des Projektstudiums mit dem Lernfeldkonzept der Erzieherausbildung in Niedersachsen befasst und kommt auf der Grundlage einer fundierten Dokumentenanalyse sowie von Experteninterviews mit Lehrkräften und Mitgliedern der Rahmenrichtlinienkommissionen zu interessanten Ergebnissen und Einschätzungen.

So zeigte sich im Fazit, dass Lehrerinnen und Lehrer an Fachschulen für Sozialpädagogik in Niedersachsen das didaktische Konzept der Lernfelder insgesamt positiv werten. „Dies vor allem, da es bessere Möglichkeiten bietet Theorie-Praxis-Verknüpfungen zu realisieren und die Schülerinnen und Schüler der Fachschulen handlungsorientierter auszubilden. Das ist insofern relevant, da durch die Theorie-Praxis-Verzahnung in der Ausbildung eine bessere und reflektiertere Persönlichkeits- und Sozialkompetenz entwickelt werden kann.“ (Grohe u.a. 2009, S.274)Im Bericht werden auch die Nachteile des Lernfeldkonzepts benannt, aber die sind hinlänglich bekannt und müssen an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden. Das Fazit des wirklich lesenswerten Projektberichts schließt interessanterweise dennoch mit dem Resümee ab: „Auf die Frage welche Didaktik die Erzieherinnenausbildung braucht, ist zu antworten, dass in erster Linie überhaupt eine Didaktik nötig ist.“ (ebenda S. 276) Folgt man dieser Untersuchung ermöglicht das Lernfeldkonzept durchaus eine auf das sozialpädagogische Berufsfeld ausgerichtete Didaktik, ersetzt diese aber nicht.