Bildungspartnerschaft von Anfang an

Kinder lernen von Anfang an: In der Kita und vor allem in der Familie. Wie eine gemeinsame frühe Bildung der Kinder gelingt und was es dazu braucht, erklärt Prof. Dr. mult.  Wassilios E. Fthenakis. Im Gespräch mit Vincent Hochhausen und Slivia Schumacher von „Meine Kita“.

 
  • Warum brauchen Kinder Bildung von Anfang an?

fthenakisDie entwicklungspsychologische Forschung hat gezeigt, dass Kinder sehr früh – bereits vor der Geburt, spätestens aber unmittelbar danach – erste Fähigkeiten entwickeln. Auch Lernneugier entsteht sehr früh.
Ökonometrische Studien zeigen außerdem, dass vor allem Investitionen in frühe Bildung sowohl individuell als auch sozial den höchsten Gewinn erzielen. Die Entwicklung des Kindes muss daher früh gestärkt werden.

 

  • Welche Aspekte sind dafür entscheidend?

An der Universität Bremen haben wir mit fi nanzieller Unterstützung der Deutschen Telekom Stiftung ein Konzept entwickelt, dass die bisherige Elternarbeit verlässt und die Familie als Bildungsort mit berücksichtigt. Im Mittelpunkt stehen zehn Aspekte familialer Bildung: Beispielsweise welches Bild vom Kind in der Familie vertreten wird, wie man das Kind als aktiven Mitgestalter seiner eigenen Entwicklung ansieht, wie Bildungsprozesse im Familienalltag ko-konstruktiv organisiert werden können, welche Prinzipien pädagogischen Handelns den Lernprozess begünstigen und vor allem welche Bedeutung der Qualität der Inter­aktion zwischen Eltern und Kind zukommt.

 
  • Warum ist die Familie für die Entwick­lung des Kindes so wichtig?

Seit den 1960er-Jahren belegen Studien, dass die Familie die Entwicklung des Kin­des und seine Fähigkeiten am stärksten prägt. An dieser Erkenntnis hat sich wäh­rend der letzten 50 Jahre nichts geändert. Familien sind heute sehr unterschiedlich, Eltern sind besser als je zuvor ausgebildet und haben Zugang zu Wissen und Res­sourcen. Der Familienalltag bietet eine Vielfalt von Lerngelegenheiten. Familien müssen deshalb ihre eigenen Ressourcen, Lern- und Bildungsmöglichkeiten erken­nen, im Interesse ihres Kindes systematisch nutzen und eng mit der Bildungsinstitution zu­sammenarbeiten.
 

  • Wie sieht eine gute Zusammenarbeit aus?

Bisher ging es dar­um über die Eltern­arbeit die Beziehung zwischen Familie und Bildungsinstitution zu gestalten. Dabei überwog die institutionelle Perspektive, die Familie konnte nur einge­schränkt mitwirken. Heute sprechen wir von Bildungspartnerschaft. Denn kindliche Bildung vollzieht sich an verschiedenen Orten, in erster Linie in der Familie. Ande­re Bildungsorte einzubeziehen trägt dazu bei, dass sich das Kind besser entwickelt. Wichtig ist, dass diese Bildungspartner­schaft auf Augenhöhe stattfindet, mit ge­genseitiger Akzeptanz und Wertschätzung, und dass dabei der Ansatz der Ko-Konstruktion zur Anwendung kommt. Das heißt, beide Seiten sind Ko-Konstrukteure der kindlichen Entwicklung.


  • Wie wirkt sich eine funktionierende Bil­dungspartnerschaft auf das Kind aus?

Erlebt ein Kind den wertschätzenden Um­gang der Eltern und der Fachkräfte und dass sich diese gemeinsam um sein Wohl­ergehen und seine Bildung bemühen, fühlt es sich sicher und unterstützt. Dies stärkt seine Beziehung zur Fachkraft und zu den anderen Kindern und sorgt für eine positive Einstellung zur Kita. Auf dieser Basis kann sich ein Kind voll und ganz darauf konzen­trieren, seine Umgebung zu erkunden und dies hilft ihm, in neuen Situationen Offenheit und Lernbereitschaft zu zeigen. Erlebt es zudem, dass seine Familie in der Kita an­erkannt und wertgeschätzt wird, kann das außerdem sein Selbstbewusstsein und sei­ne Familienbeziehungen stärken. Von einer intensiven Bildungspartnerschaft profitieren Kinder also mit ihrer ganzen Persönlichkeit und ihrer Bildungsbiografie.
 

  • Und die Eltern?

Eltern können durch Bildungspartner­schaften die komplexen, kindlichen Bil­dungsprozesse besser verstehen lernen und können sich im Austausch mit den Fachkräften mit ihren Fähigkeiten einbrin­gen, diese erweitern und dadurch ihre Kin­der stärken. Dabei er­fahren sie mehr über die pädagogische Arbeit und können den Kita-Alltag bes­ser nachvollziehen. Sie erleben sich in der Kita als wertgeschätz­te und wirksame Be­zugspersonen ihrer Kinder und als Mitglied der Kita-Gemeinschaft. An einem solchen sozialen Netzwerk teilzuhaben, Verantwor­tung zu teilen und sich gegenseitig zu un­terstützen erleichtert Familien den heraus­fordernden Alltag und bietet ihnen Zugang zu vielen Ressourcen des Gemeinwesens.
 

  • Inwiefern profitieren die Fachkräfte?

Die Fachkräfte lernen durch die Bildungs­partnerschaften die einzelnen Kinder und ihre Familien besser kennen und dadurch auch besser verstehen. Im Austausch können sie ihr professionelles Wissen und ihre Erfahrungen über die Bildungsprozes­se von Kindern überprüfen, stetig erwei­tern und diese auch an Bildungspartner weitergeben. Die positiven Erfahrungen durch einen wertschätzenden Umgang und eine verbesserte Kommunikation im Rahmen von Bildungspartnerschaften mit Familien, aber auch unter Kollegen, verbessern die Arbeitsbedingungen von pädagogischen Fachkräften grundlegend.


  • Sie sprachen vom Ansatz der Ko-Kon­struktion. Was genau ist darunter zu verstehen?

Bislang hat man angenommen, dass Bil­dung ein individuum-zentrierter Prozess sei: Das Kind erforscht seine Welt und entwickelt ein subjektives Bild von dieser äußeren Wirklichkeit, das ihm hilft, die Welt zu begreifen und sich zu orientieren. Heute ist man der Ansicht, dass man Wis­sen und die Bedeutung von Dingen erst im Austausch mit anderen erfahren und aushandeln kann. Dann erst wird Wissen individuell verankert.
Dieser soziale Prozess wird nicht allein vom Kind gestaltet, sondern auch von anderen Kindern, Fachkräften, Eltern und anderen Erwachsenen. Sie alle gestalten diesen Prozess aktiv mit und lernen ge­meinsam. Das ist der erste didaktisch-methodische Ansatz, der keine passiven Partner kennt. Eine Schlüsselrolle spielt dabei die Qualität der Interaktion, der Kommunikation und die der Gestaltung von Meinungsaustausch.


  • Wie können Eltern, aber auch frühpädagogische Fachkräfte diesen Ansatz im Alltag umsetzen?

Im Alltag gibt es viele Möglichkeiten, um mit Kindern ko-konstruktiv zu ler­nen. Zum Beispiel, wenn in der Küche der Mixer verwendet wird, kann man gleichzeitig das technische Verständ­nis des Kindes stärken. Wenn die Eltern früh beginnen, gemeinsam mit dem Kind Bilderbücher zu betrachten, wenn sie dem Kind helfen, seine Emotionen zu be­nennen und zu regulieren, wenn sie ihre Beziehung zum Kind so gestalten, dass die Entwicklung eines gesunden, positi­ven Selbstwertgefühls entsteht, sind das Bildungsprozesse, die Eltern und Kinder gemeinsam gestalten.

 

Weiterführender Lesetipp:

Wassilios E. Fthenakis et al.: Früh beginnen – die Familie als Bildungs­ort. Wie Bildungspartnerschaft gelingen kann. Projekt Natur-Wissen Schaffen an der Uni­versität Bremen, gefördert durch die Deut­sche Telekom Stiftung. LOGO Lern-Spiel-Verlag GmbH.


Erstveröffentlichung unter dem Titel "Gemeinsam früh beginnen"  in: Meine Kita – Das didacta Magazin für den Elementarbereich, Ausgabe 1/2014, Seite 56-57. Übernahme mit freundlicher Genehmigung von "Meine KiTa"



Zum Weiterlesen:

Elternarbeit und Bildungspartnerschaft

Elternkompetenz gezielt unterstützen

Elternarbeit im Kindergarten





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