Marie Coppius (1871-1949)

Marie Coppius 200Marie Coppius (Quelle: Ida Seele-Archiv)Der überzeugten "Fröblerin", wie sich Marie Coppius selbst bezeichnete, ging es nicht darum; "'gängige' Erziehungsrezepte anzuwenden oder gar neue erziehungstheoretische Ansätze zu formulieren. Vielmehr sah sie ihre Aufgabe darin, gleichsam wie ein Gärtner seine jungen Pflanzen hegt und pflegt, die Kinder 'zu beobachten und zu verstehen und stets die geeigneten Mittel bereitzuhalten, welche gerade ein jedes Kind zu seinem inneren Wachstum braucht'. Ihr Ziel war es, die Kinder zu selbstbewußten und eigenständigen Mitgliedern der Gesellschaft heranzuziehen. Sie pflegte einen engen Kontakt zum Elternhaus u. a. durch Mütterabende und Hausbesuche... Ihre Aufmerksamkeit galt nicht zuletzt ebenso den Erzieherinnen und Erziehern, denen sie in Schriften und Büchern die 'Kunst des Erziehens' näherzubringen versuchte" (Blum 1995, S. 27).


Leben und Wirken

Marie Bertha Coppius erblickte am 14. Juli 1871 in Charkow (Ukraine) das Licht der Welt. Sie erhielt Privatunterricht und besuchte noch eine höhere Töchterschule. Rückblickend schrieb sie über ihr Elternhaus:

"Obwohl aus einer vorwiegend jüdischen Familie stammend, wurde ich, wie mein Geschwister auch, protestantisch getauft. Das war in der damaligen Assimilationsperiode weitgehend üblich. Mein Vater war viel auf Reisen, er war der Inbegriff aller edlen vornehmen Gesinnung. Zur Mutter hatte ich einen besonderen innigen Kontakt. Und so wuchs ich im Schutze eines friedlichen Elternhauses auf, von treuer Mutter- und Vaterliebe umsorgt" (zit. n. Berger 1995, S. 24).

Der frühe Tod des Vaters stürzte die Familie in finanzielle Schwierigkeiten. Um zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen arbeitete Marie Coppius in einen 20klassigen Fabrikkindergarten in Zyrardów bei Warschau. Die Einrichtung wurde alljährlich von über 1200 Kindern im Alter von 3 bis 7 Jahren besucht. Über 30 Kindergärtnerinnen, sieben "Handarbeiterinnen", einige "geprüfte Lehrerinnen" und 333 Kinderpflegerinnen, Aufseherinnen und Gehilfinnen arbeiteten in der von den "Herren Dittrich und Hülle" und von Elsi Kirste geleiteten Institution. Anschließend zeichnete  sie für fünf Jahre als Leiterin der "Christlichen Kleinkinderschule des vaterländischen Frauenvereins" in Posen verantwortlich. 1905 verließ Maria Coppius mit ihrer Mutter und Schwester das von einer Revolution geschüttelte Russland, da sie aufgrund ihrer deutschen Abstammung Übergriffen schutzlos ausgeliefert waren. In Kassel fanden sie Unterschlupf bei der Fröbelpädagogin Hanna Mecke, Leiterin des dortigen "Evangelischen Fröbelseminars".

"Durch diesen Kontakt erhielt Coppius, wenngleich nicht den ersten, so doch den entscheidenden Zugang zur Pädagogik und Philosophie des Kindergartenbegründers Friedrich Fröbel. Coppius erblickte das größte Verdienst Fröbels in seinem Erziehungsprinzip: ‚Entwicklung zur Selbständigkeit durch Selbsttätigkeit.‘  Erst durch freies Schaffen und Gestalten mittels der Fröbelschen Spielgaben (z. B. Ball, Würfel, Bauklötzchen) sollen abstrakte Begriffe wie Form, Farbe, Zahl oder Größe für ein Kind erfahrbar werden. Coppius wertete z. B. das Fröbelsche Flechtblatt als „lebendige Rechenmaschine' und stellte es weit über das Montessorianische Zahlenübungsspiel" (ebd.).

Auszug ProspektAuszug aus dem Volkskindergarten-Prospekt (Quelle: Ida Seele-Archiv)Auf  Vermittlung von Hanna Mecke kam Marie Coppius 1906 nach Heidelberg, wo sie nahezu drei Jahrzehnte als Kindergärtnerin in einem sogenannten "Volkskindergarten" wirkte. Dabei handelte es sich um eine Einrichtung, die zumindest anfänglich 50 bis 60 Kinder beherbergte. Um eine so große Kinderschar im wahrsten Sinne des Wortes zu "beherrschen" war strenge Disziplin und ein fester Tagesrhythmus  angesagt, "um die kleine lebhafte Gesellschaft in Einheit und gesetzmäßige Ordnung zu bringen" (Coppius 1913a, S. 20). Ferner arbeitete Marie Coppius in verschiedenen Gremien mit. Sie war beispielsweise Vorstandsmitglied des "Fröbelvereins", gehörte dem "Sonderausschuß  für Säuglings- und Kleinkinderfürsorge" an, war Ehrenmitglied des "Amerikanischen Kindergärtnerinnenvereins" und Vorsitzende der Heidelberger Ortsgruppe der "Berufsorganisation der Kindergärtnerinnen, Hortnerinnen und Jugendleiterinnen".

 

Anfang Dezember 1933 schied Marie Coppius aus dem Dienst. Ihre Nachfolgerin gab dafür gesundheitliche Gründe an. Vermutlich dürfte für ihren Rücktritt auch die politische Lage eine Rolle gespielt haben. Da sie "jüdisch versippt" war, "wurde ihr von den Nazi-Machthabern jeder Einsatz für den Kindergarten und die Fröbelpädagogik strengstens untersagt. bei Nichtbefolgung drohte man ihr mit schwerwiegenden Folgen" (Krüger 1998, S. 99). Marie Coppius starb am 2. November 1949 in Heidelberg.


Kinder zu Persönlichkeiten bilden

Coppius 250Marie Coppius war rege schriftstellerisch tätig. Sie verfasste Lieder, Gedichte, kleine Theaterstücke, veröffentlichte Kinderbeschäftigungen im Sinne Friedrich Fröbels (Falten, Flechten, Modellieren etc.), einige wenige umfangreichere "Erziehungsbücher" sowie eine beachtliche Anzahl von Aufsätzen in der seinerzeit hochgeschätzten Fachzeitschrift "Kindergarten". Hohe Beachtung fand ihr erstmals 1912 erschienenes Werk (das mehrere Auflagen erlebte) "Pflanzen und Jäten in Kinderherzen. Erlebtes und Erfahrenes für Mütter und Erzieherinnen". Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis verdeutlicht, wie die Autorin bemüht war, gängige Erziehungsfragen/ -probleme anzusprechen: "Der Beginn der Willensbildung"; "Kinder und Religion"; "Erziehung durch Beispiel und Gewöhnung"; "Gehorsam"; "Eigensinn und Trotz"; "Neid und Mißgunst"; "Lüge"; "Geld in Kindeshand"; "Kinderleiden und Kinderfreuden"; "Der Tätigkeitstrieb"; "Der Wert des Spiels"; "Spielkram und Fröbels Gaben", "Was und wie schafft das Kind?"; "Das Zeichnen der Kinder". Im genannten Werk  konstatierte sie über das oberste Erziehungsziel, nämlich Kinder zu Persönlichkeiten zu bilden:

"Wir wollen also aus Kindern Persönlichkeiten bilden. Ein Kind ist aber noch keine Persönlichkeit, es soll diese erst entfalten. Wohl ist jedes Kind eine Individualität; Individualität ist aber nur der Stoff, aus dem wir einen Charakter bilden können. Und da ein Charakter ein vollkommen gebildeter Wille ist, so ergibt sich als einziger Weg zu diesem Ziele: die Bildung des Willens" (Coppius 1924, S. 2).

Demzufolge darf nicht Intention der Erziehung sein, "ein kluges, geschicktes, angenehmes Glied der Gesellschaft zu erziehen, sondern das Kind zu der Vollkommenheit der in ihm liegenden Möglichkeiten zu fördern, die gerade ihm vom Schöpfer zu eigen wurden" (ebd., S. 10).


Der Wert des Spiels

In Rückgriff auf Friedrich Fröbel betonte  Marie Coppius immer wieder die Wichtigkeit des Spiels, das, so die erfahrene Kindergärtnerin, "für das Kind vollendetes Augenblicksleben" (Coppius 1914, S. 103) ist. Es ist auch "kein wertloser Zeitvertreib ohne Nutzen,  sondern es hat seinen Zweck ins sich selbst" (Coppius 1924, S. 107). Und weiter: "Man stellt dem Kinderspiele die Tätigkeit der Erwachsenen als Arbeit gegenüber. und doch ist im Grunde genommen Spiel und Arbeit ein Gleiches...  Das, was der Arbeit ihren höchsten Wert verleiht, birgt sich im Spiele, und das Spiel ist der Weg, auf dem allein das Kind zum tüchtigen Arbeiter heranreift. Fröbel sagt: 'Das Kind, welches tüchtig, selbsttätig, still, ausdauernd bis zur körperlichen Ermüdung spielt, wird gewiß auch ein tüchtiger, stiller, ausdauernder - Fremd- und Eigenwohl mit Aufopferung fördernder - Mensch'... Und obwohl nur Lustgefühle das Spiel begleiten, ist es dem Kinde eine ernste Tätigkeit und gibt so seinem Leben Inhalt wie uns die Arbeit" (ebd., S. 106 ff.).

Wichtig war ihr, dass auch den Kindern genügend Zeit für das freie Spiel eingeräumt wird:

"Es wäre ganz verkehrt, ja fast grausam, wollte man die Kinder zwingen, die 8 -9 Stunden täglich nach Vorschrift und Anleitung zu spielen und zu arbeiten, eine wahre Selbsttätigkeit und freies Entwickeln würde dadurch beschnitten und in enge vorgeschriebene Bahnen gelenkt. Die ersten Morgenstunden, in denen sich die Kinder versammeln gehören darum dem freien Spiele... Die Leiterin sieht diesen Spielen keineswegs untätig zu, sie spielt mit und achtet darauf, daß alle Kinder spielen, daß keines zu Schaden kommt, daß kein Streiten und Raufen entsteht. Sie lenkt die Kinder zum Aufmerken auf die Umgebung, auf die Wunder in der Natur, auf Sonne und Wolken, Tiere und Pflanzen" (Croppius 1913b, S. 52).

Doch die Kindergärtnerin spielt nicht nur mit den Kindern, die nutzt das Freispiel der Kinder  für "köstliche Beobachtungen":

"So unscheinbar sie auch sind, sie verdienen aufgeschrieben und durchdacht zu werden, um immer tiefer in das Seelenleben der Kinder einzudringen" (ebd.).
 

Fröbels Gaben versus Montessoris Lehrmittel

Marie Coppius gehörte zu den wenigen Fröbelepigonen die den pädagogischen Ansatz der italienischen Ärztin und Pädagogin Maria Montessoris nicht gleich verurteilten, sondern als hilfreiche Kritik an der eigenen Praxis und als willkommene Unterstützung bei dem Versuch, die eigenen Defizite wahrzunehmen, erachteten. Die "Fröblerin" sah in der Montessoripädagogik sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit den pädagogischen Grundgedanken des Kindergartenbegründers:

"Besonders für kleine zwei- bis dreijährige Kinder scheinen mir die Montessori-Lehrmittel da sehr angebracht, um die Sinne im Erfassen und Vergleichen zu üben. Wir hatten z. B. nur wenig Spielmittel, bei denen an gleichen Körpern Größenunterschiede wahrgenommen werden konnten. Höchstens: verschieden lange Bauklötze, wie sie die Nürnberger Baukästen  zeigen, und an welche die Montessorischen Rechenstäbe erinnern. Etwas ganz Ähnliches schlägt Fröbel in der 'Menschenerziehung'... vor, wo er Bauklötze verschiedener, sich ergänzender Längen als Unterrichts- bzw. Veranschaulichungsmittel vorschlägt. Dann kennen wir die mit Bildern und Buchstaben verzierten sechs ineinandersteckbaren Würfelkästen, die wir in Dr. Montessoris Würfelpyramide wiederfinden. Dem gleichen Zwecke dienen die russischen Holzeier, die sechs  bis zwölf ineinandersteckende, verschieden bunte Eierformen enthalten... Ferner bringt uns das Montessorianische-Lehrmaterial wertvolle Hilfsmittel zur Übung des Ohres und vor allem solche zur Entwicklung des Tastsinnes. Wir werden an all diesen Anregungen nicht achtlos vorübergehen, werden sie aber mehr im Fröbelschen Geiste benützen, d. h. nicht  e i n e n  Sinn isoliert üben und schulen, sondern  j e d e s  S p i e l  bewußter auf Sinneseindrücken aufbauen, und zwar auf vielseitigen Eindrücken, und diese Eindrücke durch häufige Wiederholungen befestigen. Die Sinne des normalen Kindes sind ja so lebendig und ergreifen hungrig jedes gebotene Mittel, um sich zu entwickeln. Geschärfte Sinne sind etwas Notwendiges und Wertvolles, sie allein aber geben keine Gewähr für die geistige Entwicklung. Die neuen Lehrmittel dienen nur zum Erfassen, Fröbels Gaben dagegen auch zum Anwenden des Erfaßten" (Coppius 1914, S. 105).

 

 

Literatur

  • Berger, M.: Frauen in der Geschichte des Kindergartens. ein Handbuch, Frakfurt/Main 1995
  • Blum, A. I.: "Mutter von vielen" - Marie Berta Coppius und der Weststadt-Kindergarten, in: Schriftenreihe des Stadtarchivs Heidelberg: Frauengestalten. soziales Engagement in Heidelberg, Heidelberg 1995, S. 26-35
  • Coppius, M.: Die Erziehung im Volkskindergarten, in: Mecke, J. (Hrsg.): Leitfaden der Berufskunde für Frauenschulen, Kindergärtnerinnen- und Jugendleiterinnen-Seminare und Kleinkinderlehrerinnen-Seminare, Bamberg 1913a, S. 19-24
  • Dies.: Das freie Spiel im Kindergarten, in: ebd. 1913b, S. 52
  • Dies.: Ueber die Montessori-Methode. II., in: Kindergarten 1914, S. 100-106
  • Dies.: Pflanzen und Jäten in Kinderherzen. Erlebtes und Erfahrenes für Mütter und Erzieherinnen, Leipzig 1924
  • Krüger, M.: Marie Coppius. Leben und Werk einer in Vergessenheit geratenen Kindergarten- und Fröbelpädagogin, München 1998 (unveröffentl. Diplomarbeit)


 

 



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