Mehrsprachigkeit - Eine Einführung


Mehrsprachigkeit ist Im Zeitalter der Globalisierung und entsprechender multikultureller Gesellschaften ein zentrales Thema und rückt auch immer mehr in den Fokus von Kindertagesstätten. Die EU empfiehlt beispielsweise, dass zukünftig Europäische BürgerInnen drei Gemeinschaftsprachen gut sprechen können sollten, um Potenzial und Chancen sowie Zugangsmöglichkeiten und Solidarität auf europäischer Ebene weiterzuentwickeln. (Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit 2005).

Die sprachliche Verständigung ist ohne Zweifel der Schlüssel für Bildung und gleichberechtigte Teilhabe und damit auch ein entscheidender Faktor für die Integration. Dabei wird die Erstsprache von Kindern mit (außereuropäischen) Migrationshintergrund oftmals weniger wert geschätzt und gefördert als die neu zu erlenende. In Deutschland ist Mehrsprachigkeit auch ein Politikum, insofern darüber gestritten wird, ob die Mehrsprachigkeit von MigrantInnen ihre Integration eher befördert oder eher erschwert. Zunehmend wird aber in Praxis und Wissenschaft die Bedeutung eines wertschätzenden Umgangs mit der Erstsprache von Kindern mit Migrationshintergrund unterstrichen.

In Niedersachsen betrug der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund (der  3 – 6 Jährigen)  im Jahre 2010  in Kindertageseinrichtungen 23,3 %. ( Stat. Landesamt Niedersachsen).  12,5 % der in Tageseinrichtungen betreuten Kinder mit Migrationshintergrund leben dabei in Familien, in denen hauptsächlich nicht deutsch gesprochen wird.  Diese Zahlen unterstreichen die Bedeutung  des Themas Mehrsprachigkeit von Kindern auch im Kontext der Chancengerechtigkeit und Teilhabe besonders deutlich.

Für Kindertageseinrichtungen gibt es hierzu vielfältige Ansätze, Ausrichtungen, Zielgruppen und Möglichkeiten mehrsprachige Bildung von Kindern zu fördern. Unterscheidungen hierbei sind z.B folgende (vgl. Wode, 2000):

  • monolinguale deutschsprachige Kinder, die eine weitere Sprache lernen etwa Englisch, Französisch oder Spanisch
  • Kinder sprachlicher Minderheiten, die, wie Friesen, Sorben oder Dänen, schon lange in der Region heimisch sind, alle Hochdeutsch als Muttersprache oder als ihre dominante Sprache beherrschen und die die Sprache ihrer Vorfahren lernen
  • Kinder aus Minderheiten, die, wie Migranten, erst seit kürzerer Zeit in der Region leben und die die Sprache des Gastlandes, z. B. Deutsch, und/oder ihre Herkunftssprache lernen bzw. verbessern
  • sprachlich heterogene Gruppen für Kinder aus vielen verschiedenen Kulturen und/oder mehreren verschiedenen Sprachen

 

Sprachen lernen durch ImmersionImmersion|||||Immersion:  bedeutet sinngemäß Eintauchen oder Sprachbad und wird in der Pädagogik als Vorgehensweise genutzt um kindliches Sprachlernen bei  Mehrsprachigkeit zu fördern. Immersion gilt als im Ausland erfolgreich erprobte Methode und fokussiert auf das natürlich alltägliche Sprachlernen von Kindern, was unter anderem durch MuttersprachlerInnen und permanenter Verständigung in der neuen Sprache erreicht wird.smethode

 
Ein gängiger Ansatz, der als erfolgreiches Sprachlernmethode auch im Ausland erprobt wurde ist die Immersionsmethode. Dieser Ansatz geht auf drei Grundsätze zurück (vgl. Wode 2000):

Der Kontakt zur neuen Sprache –in KiTa /Schule:

  • muss über einen längeren Zeitraum hin – kontinuierlich über 6–7 Jahre – gegeben sein
  • muss hinreichend intensiv sein, das heißt, in der KiTa/Krippe den ganzen Tag
  • muss strukturell möglichst vielfältig, also nicht auf einzelne Sachbereiche beschränkt sein, sondern möglichst die ganze Sprache umfassen


Der Immersions Ansatz hebt sich dabei von geplanten Sprachlichen Übungseinheiten ab und nutzt den natürlichen kindlichen Spracherwerb im Alltag. Dabei wird das Eine-Sprache-pro-Person-Prinzip beherzigt, das beinhaltet, das verschiedene Fachkräfte jeweils nur in ihrer Muttersprache mit den Kindern reden;  z.b  ErzieherIn A spricht permanent englisch mit den Kindern, ErzieherIn  B in allen Situationen nur deutsch. Wert wird außerdem darauf gelegt, dass die Fachkräfte die Sprache als Muttersprache beherrschen.

Die Kinder können sich dabei frei entscheiden, mit wem sie sprechen wollen oder  Angebote oder Aktivitäten durchführen wollen. Grundlegend förderlich sei hierbei eine offene Struktur mit offenen Angeboten und auch altersheterogenen Kindergruppen. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass Aufgaben und Funktionen von Fachkräften so verteilt sein müssen, dass Dinge die Kindern besonders viel Spaß machen oder besonders begehrt sind, nicht nur von einer Fachkraft durchgeführt wird, sondern abwechselnd betreut wird.

Korrigieren oder Sprache „Üben“ sei hierbei nicht erforderlich, vielmehr soll es zu einem kontextualisiertem Sprachverstehen kommen. Fachkräfte versuchen Gespräche so zu führen, dass Kinder die Möglichkeit haben Vorgänge schon aufgrund der Situation zu verstehen und sich selbst die Bedeutung der Sprache erschließen können, dazu gehört das Verwenden von  Gesten oder Nutzung von bereits Bekanntem, wie Spiele, Lieder oder Gegenstände.

Vielfältige Materialien und Informationen über diesen Ansatz und wie man eine Kita mehrsprachig  gestalten kann, gibt es bei dem Verein FMKS für Frühe Mehrsprachigkeit in Kita und Schule (Link s. u.).


Mehrsprachige Kinder in einsprachigen KiTas


Eine weitere aktuelle Herausforderung, die bildungspolitisch an Relevanz zunimmt  ist der Umgang mit mehrsprachigen Kindern in monolingualen,  also einsprachig deutschen Kindergärten.

Hierbei geht es in den Diskussionen häufig darum, wie „Sprachdefizite“ in der deutschen Sprache bei mehrsprachigen Kindern ausgeglichen werden können, da dies als Zugangsvorraussetzung für Bildungserfolg in Schule und dem weitern Arbeitsleben gesehen wird.

Vielfältige Programme und Ansätze speziell für diese Herausforderung sind für Fachkräfte erhältlich und können sowohl nützlich als auch überfordernd wirken. Mit Blick auf das individuelle Kind muss jedoch beachtet werden, dass hierbei keine defizitorientierte Atmosphäre aufgebaut wird.

Förderlich wäre vor allem eine sprachenfreundliche Umgebung, in der jede Sprache angemessen wertgeschätzt wird. Sprachenlernen ist stark mit Motivation und Emotionen verbunden; Kinder die stolz auf ihre Muttersprache sein können, die vielleicht anderen ein paar Worte beibringen können und grundlegend einen wertschätzenden Umgang erfahren bezüglich ihrer Mehrsprachigkeit, fällt es einfacher auch einen positiven Bezug und Motivation für eine andere Sprache aufzubauen.

Die Erfahrung, dass Sprache zusammenführt und eben nicht ausgrenzt oder verspottet wird, spielt hierbei eine wichtige Rolle. Häufig scheint sich auch ein Sprach-Hierarchien zu entwickeln, die beinhaltet, dass einige Sprachen besonders angesehen sind, wie die Dominanzsprache Deutsch, oder auch Englisch, Französisch, während anderen Sprachen eher weniger Wertschätzung zugemessen wird, wie z.b Arabisch oder Persisch.

Deutschsprachige ErzieherInnen in einsprachigen Kindertageseinrichtungen können mit einem Perspektivwechsel zur Mehrsprachigkeit als Bereicherung  bereits einen deutlichen Beitrag leisten.

Dies betrifft nicht nur das Sichtbar ( und Hörbar-)machen von verschiedenen Sprachen, z.b. durch Plakate, Beschriftungen, Hörspiele,  mehrsprachigen Kinderbüchern, etc., sondern auch in der Kooperation mit den Müttern und Vätern, die eventuell selbst verunsichert sind, welche Sprache zu Hause gesprochen werden soll um einen optimalen Bildungserfolg für das Kind zu gewährleisten.

Dr. Anja Leist-Villis, die die Website "Information – Fortbildung – Netzwerk zur frühkindlichen Zweisprachigkeit" (Link s. u.) herausgibt, formuliert einige Begründungen, warum zweisprachig aufwachsende Kinder beide Sprachen brauchen:

 

  • Um weiterhin mit ihren nicht-deutschsprachigen Eltern wie gewohnt kommunizieren zu können
  • Um sich auf verschiedenen Ebenen weiterentwickeln zu können, durch Sprache auch die emotionale, soziale und kognitive Entwicklung
  • Im Austausch mit Eltern sollten dabei die Grundideen beherzigt werden, dass
  • nur die Eltern beurteilen können, in welcher Sprache sie mit ihrem Kind sprechen möchten
  • es für Mütter und Väter schwierig ist Kindern die Welt zu erklären und eine tiefe Bindung aufzubauen, wenn sie selbst nicht sicher in dieser Sprache sind.

 

Wertschätzung und Ressourcenorientierung


Eine grundlegend Atmosphäre,  in der Zweisprachigkeit als normal und wertvoll und nicht  als Ursache für defizitäres Sprachverhalten wahrgenommen wird, ist eine wichtige Unterstützung für die Sprachentwicklung von mehrsprachigen Kindern. Lernpotenziale können sich am besten entfalten, wenn Jungen und Mädchen im Sinne von ressourcenorientierten Ansätzen bereits ein Selbstbild aufbauen konnten, das deutlich macht: Ich bin in Ordnung wie ich bin, ich habe Stärken, ich bin in etwas gut.

Sprachliche Vielfalt in Gesellschaften ist nicht nur für Europa als Ziel formuliert, sondern beginnt bereits im gemeinsamen Zusammenleben in Kindertageseinrichtungen. Hier treffen  nicht nur verschiedene Kulturen und Sprachen zusammen und bilden ein großes Potenzial für spätere vielfältige Entwicklungsmöglichkeit, durch das  natürlich kindliche Sprachlernverhalten kann außerdem spielerisch im Kindesalter das Sprachlernpotenzial für eine spätere Mehrsprachigkeit angeregt werden. Fachkräfte ob mehrsprachig oder einsprachig in mono oder bi-lingualen Kitas spielen hierbei bereits mit ihrer Haltung und Sichtweise zu dem Thema eine wichtige Rolle.


 

Literatur:

 

  • Scharf, Jan (2012): Integration und Teilhabe der Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Ergebnisse aus dem Integrationsmonitoring Niedersachsen 2012. In: Statistische Monatshefte Niedersachsen 11/2012.
  • Wode, Henning (2000-): Mehrsprachigkeit durch immersive KiTas. Eine überzeugende Methode zum nachhaltigen Fremdsprachenerwerb. In: Wildtrud Burkard und Hildegard Rieder-Aigner (Hg.): Führungsauftrag, Pädagogische Praxis. Regensburg [u.a.]: Walhalla-Fachverl. (Zukunfts-Handbuch Kindertageseinrichtungen / hrsg. von Hildegard Rieder-Aigner. Die mitw. Autorinnen und Autoren: Wiltrud Burkard., 1, Ordner 1).
  • Kommission der Europäischen Gemeinschaft (2005): Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen - Eine neue Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit.


 



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