Neue Medien in der Frühpädagogik

Zur Mythologie der neuen Medien in der Frühpädagogik oder Der dritte Lernort

Inhaltsverzeichnis

  1. Mythos 1: Kindergartenkinder nutzen neue Medien nicht
  2. Mythos 2: Neue Medien sind kein Gegenstand der Frühpädagogik
  3. Mythos 3: Die negativen Aspekte der Medien überwiegen
  4. Mythos 4: Der Erzieherinnenberuf ist ein Bildungsberuf
  5. Mythos 5: Neue Medien sind Gegenstand der Erzieherinnenausbildung
  6. Mythos 6: Lehrkräfte in der Erzieherinnenausbildung vermitteln Medienkompetenz
  7. Mythos 7: Wer Erzieherinnen ausbildet, kann auf neue Medien verzichten
  8. Mythos 8: Die Vermittlung von Medienkompetenz ist gleichmäßig verteilt
  9. Mythos 9: E-Learning gehört zur frühpädagogischen Aus-, Fort- und Weiterbildung
  10. Mythos 10: Fachforum im Netz versus Facebook
  11. Mythos 11: Der Dialog zwischen Lernort Schule und Praxis funktioniert online nicht
  12. Zukunftskonzept „Neue Medien in der Ausbildung frühpädagogischer Fachkräfte“.
  13. Netz-Tipps für AusbildnerInnen, ErzieherInnen und Kinder
  14. Literatur

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Mythos 10: Fachforum im Netz versus Facebook


Die Mehrheit der Erzieherinnen tummelt sich nicht auf Facebook, sondern diskutiert mit anderen Fachkräften in berufsbezogenen sozialen Netzwerken über aktuelle frühpädagogische Themen – der zehnte Mythos.

Einschlägige Internetportale sind nur wenigen Erzieherinnen dem Namen nach bekannt und werden von einer winzigen Minderheit genutzt, so die Studie von Six und Gimmler (2007). Meine eigene Analyse zum Erfolg von Erzieherinnenforen, die wissenschaftlichen Standards zwar nicht ganz entspricht, bestätigt dieses Ergebnis allerdings eindrucksvoll. Die amtliche Statistik im Arbeitsfeld der Kindertageseinrichtungen weist aktuell mehr als 420.000 pädagogisch tätige Personen aus. (komdat 3/10) Summiert man nur die registrierten Nutzerinnen und Nutzer der einschlägigen Fachforen und impliziert man, dass sie ernsthaft interessiert sind (Hypothese: Die Registrierten sind die Aktiven), kommt man auf 10.351-  das sind rund 2,5 Prozent aller im Arbeitsfeld Kita tätigen Personen. Andererseits nutzen inzwischen deutlich mehr als 25 Prozent der Deutschen private Netzwerke wie Facebook. Was macht diese sozialen Netzwerke so interessant und berufliche Online-Netzwerke so uninteressant?

Den Bildungsauftrag in Kindertageseinrichtungen ernst zu nehmen heißt, Voraussetzungen für lebens- und berufsbegleitendes Lernen für die Mitarbeiterinnen zu schaffen. Wie kein anderes Medium bietet das Internet die Möglichkeit, schnell vom Arbeitsplatz aus an gerade benötigte Fachinformationen zu gelangen, sich selbstorganisiert zu informieren und fortzubilden. Erzieherinnen und anderen pädagogischen Fachkräften steht dazu mehr als ein Dutzend berufsspezifischer Webangebote zur Verfügung (s.o.) Weshalb wird dies nicht genutzt? Warum ist es so schwer, die soziale Dynamik von Facebook auf berufsspezifische Anwendungen zu übertragen?

Sicher, die bekannte ablehnende Haltung von Erzieherinnen gegenüber elektronischen Medien stellt eine Hürde dar. Andererseits belegen meine Erfahrungen mit der heranwachsenden Erzieherinnengeneration, dass sie Facebook ebenso nutzt wie Otto-Normal-Nutzer. Allerdings weisen die Websites für Erzieherinnen nicht selten den Charme eines alten Behördenflurs auf. Das muss sich ändern.

Aus meiner Sicht benötigen wir ein didaktisches Design unter Gender-Aspekten, das folgende Fragen berücksichtigt:

  • Was zeichnet die Zielgruppe im Hinblick auf neue Mediennutzung aus?
  • Was muss bei der Gestaltung virtueller Lernplattformen oder Websites für frühpädagogische Fachkräfte bedacht werden?
 

Meine Überlegungen:

  • Angebote müssen niederschwellig sein, dürfen der Nutzerin nicht zu viele persönliche Daten abverlangen (Datenschutz) und müssen den Dialog auf Augenhöhe ermöglichen. Welche Erzieherin mag sich schon ungescheut mit einem Prof. Dr. austauschen?
  • Intuitive Bedienbarkeit ist gefragt: Webseiten, Online-Lerngemeinschaften oder andere Online-Angebote müssen sich in ihrer Nutzung selbst erschließen.
  • Endlose Texte schrecken ab: Kein Handy- oder Facebook-Nutzer liest seitenlange Anleitungen oder besucht ein Seminar zur Nutzung.
  • Usabilitiy-Forschung für die Berufsgruppe: Finanzielle Mittel müssen vor Projektbeginn sinnvoll eingesetzt werden. Didaktiker wissen, dass erst der Inhalt, dann die Methode kommt. Bei bestehenden Projekten wird häufig anders gehandelt und geplant, nämlich nach dem Motto: Wir wollen was im Netz machen, weil es gerade up to date ist. Welche Inhalte würden wohl passen?
  • Training zum Verfassen von Online-Foren-Beiträgen in Bildungseinrichtungen: Bereits in der Erzieherinnenausbildung sollte gelernt werden, wie man in Online-Communities kommuniziert.
  • Online-Wissensmanagement: Informationen müssen dann verfügbar sein, wenn sie im Arbeitsprozess benötigt werden.

Voraussetzung ist die freie, unbeschränkte Möglichkeit, einen Computer mit Internetanschluss in der Kita nutzen zu können. Zwar gibt es bereits in vielen Kindergärten solche PCs, aber meist im Büro der Leiterin, der auch die Nutzung vorbehalten ist. Übrigens haben Frauen in ökonomischen Zusammenhängen generell schlechtere Zugangsmöglichkeiten zum Internet als Männer. Pädagogischen Fachkräften – in der Frühpädagogik sind es überwiegend Frauen – den Zugang zum Internet und somit zum E-Lernen zu verweigern heißt letztlich nichts anderes, als den „digitalen Graben“ zu vertiefen und den Mitarbeiterinnen eine Bildungsmöglichkeit vorzuenthalten. Andere Fachkräfte im Bildungsbereich haben nahezu immer beruflichen Zugang zum Internet, um Probleme just in time zu bearbeiten – finanziert in fast allen Fällen durch die Telekom-Aktion „Schulen ans Netz“. Warum werden auf diesem für die Institutionen kostenlosen Lernweg nicht auch Kitas vernetzt? Weil sie doch nur Bildungseinrichtungen zweiter Klasse sind?

Offensichtlich wurde das didaktische Prinzip „Erst der Inhalt, dann die Methode“ bei einigen Fach-Webseiten nicht berücksichtigt, denn ihre Qualität ist didaktisch fragwürdig. Die Betreiber der Portale beschäftigten sich mit obigen Fragen bislang offensichtlich nicht, denn deren Beantwortung kostet Geld und umfasst neben Studien über das Lernen der Zielgruppe auch Usability-Forschungen zur Nutzung der Angebote.

Hinzu kommt: Neue Medien sind keine rein technischen, sondern auch soziale Medien, denn am anderen Ende sitzt immer ein Mensch, der sein persönliches soziales Netzwerk pflegt. Es gibt ihm emotionale Nähe, unterstützt in schwierigen Lebenslagen und liefert ihm Informationen. Ohne Interaktion und Kommunikation kann der Mensch jedoch kein soziales Netzwerk aufbauen und unterhalten. Schon immer brauchte er „vermittelnde Instrumente“, um mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Heute ist das zunehmend das Internet mit all seinen Diensten, das den Wandel sozialer Netzwerke inzwischen deutlich beschleunigt. So kommt Katja Raufuß zu dem Ergebnis, dass sich Trends, die sich durch die Internet-Nutzung entwickelten, in sozialen Beziehungen fortsetzen. Dazu gehören die Zunahme schwacher Bindungen, quantitative Erweiterungen und Spezialisierungen der Netzwerke und die Ausweitung geografischer Reichweiten. (Rauchfuß 2003)