Wie wird Weiterbildung wirksam?

Prof. Dr. Petra Strehmel im Interview mit Karsten Herrmann

Wie kann in Fort- und Weiterbildungen erworbenes neues Wissen tatsächlich die pädagogische Praxis verbessern? Diese Frage steht im Zentrum des folgenden Interviews mit Prof. Dr. Petra Strehmel. Dabei zeigt sich, das eine wirksame Fort- und Weiterbildung insbesondere auch strategisch in die Team- und Organisationsentwicklung der gesamten KiTa eingebunden werden muss.

  • Das Phänomen ist allseits bekannt: Voller Elan und Begeisterung über das neu erworbene Wissen kommen pädagogische Fachkräfte von Fortbildungen zurück in ihre Einrichtung und spätestens nach zwei Wochen scheint kaum etwas davon übrig geblieben zu sein und die alltägliche Praxis ist die gleiche wie zuvor. Warum scheitert die Übersetzung von neu erworbenem Wissen in professionelles Handeln so häufig?

Pstrehmel2Pädagogische Fachkräfte eignen sich in der Fortbildung Wissen und Kompetenzen an, die ihre Praxis verändern kann. Dazu brauchen sie in ihrer Kindertageseinrichtung die Möglichkeit, ihr neu erworbenes Wissen zu erproben. Vieles ist nur im Team zu realisieren, daher sollte es auch die Gelegenheit geben die neuen Erkenntnisse im Team zu diskutieren und ihre Umsetzung gemeinsam zu planen. Dies alles muss von der Leitung nicht nur unterstützt, sondern auch vorbereitet werden, denn die Leitung ist letztlich verantwortlich für die pädagogische Qualität, die Weiterentwicklung des Konzepts und die Teamleitung.


  • Heißt dies, dass Weiterbildungen nur nachhaltig wirken können, wenn schon vorher der Nährboden in der KiTa-Organisation sorgfältig angelegt wurde?

Wenn pädagogische Fachkräfte eine Fortbildung besuchen, so tun sie dies idealerweise aus eigenem Interesse, aber vor allem im Auftrag ihrer Einrichtung. Die Kindertageseinrichtung muss Interesse an dem neuen Wissen haben und dies sollte– insbesondere von der Leitung – auch entsprechend kommuniziert werden. Der Prozess des Transfers sollte frühzeitig überlegt und geplant werden: wie kann die Fachkraft ihr neues Wissen anwenden und Erfahrungen damit sammeln, wo kann sie ihre Lernerfahrungen reflektieren und wie für die gesamte Einrichtung nutzbar machen?

  • Können Sie die Rolle der Leitung hierbei noch etwas genauer darstellen?

Die Leitung hat die zentrale Aufgabe die pädagogischen MitarbeiterInnen in ihrer Arbeit zu unterstützen. Ziele und Orientierungen auf der einen Seite sowie strukturelle Ressourcen (personelle Ressourcen, Wissen und Qualifikation, Ausstattung) auf der anderen Seite sind so zu „übersetzen“, dass sie in eine gute pädagogische Qualität münden. Wissen ist eine wichtige Ressource für die pädagogische Arbeit. In Fortbildungen eignen sich meistens zunächst Einzelne neues Wissen an. In diesem Sinne sind Fortbildungen Teil von Personalentwicklungsprozessen, die von der Leitung angestoßen werden müssen. Auch  Team- und Organisationsentwicklungsprozesse basieren auf Lernen, und auch hier ist die Leitung verantwortlich für die Planung, Initiierung und Steuerung im Sinne der fachlichen Ziele der Einrichtung.

  • Brauchen wir für eine wirksame Weiterbildung auch mehr Aufstiegschancen und Durchlässigkeit im Feld? Oder reicht alleine die in offensichtlich hohem Maße vorhandene intrinsische Motivation der ErzieherInnen aus?

Aufstiegschancen und Durchlässigkeit sind nur mittelbar verantwortlich für die Wirksamkeit von Weiterbildung. Sie signalisieren Wertschätzung und Anerkennung für erbrachte Leistungen und Engagement. Überall im sozialen Bereich haben wir flache Hierarchien, und die Anreize liegen eher in den inhaltlichen Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten  und Handlungsspielräumen in der pädagogischen Arbeit. „Motivatoren“ für ErzieherInnen, welche Motivation aufrecht erhalten und fördern,  können sein: ein positives und wertschätzendes Arbeitsklima, Anerkennung, Handlungsspielräume in der pädagogischen Arbeit,  die Übernahme von verantwortungsvollen Aufgaben, Innovationsbereitschaft sowie Lern-  und Experimentierfreude der Einrichtung und eine gewisse „Fehlerfreundlichkeit“ bei der Erprobung neuer Arbeitsformen bei der Umsetzung  neuen Wissens.

  • Was muss sich auf Seiten der Weiterbildung ändern? Müsste hier das Motto nicht heißen: Weniger thematischer Input, mehr prozessorientierte Beratung, Begleitung und Coaching?

Weiterbildung soll Praxis verändern - also das Handeln zum Beispiel in pädagogischen Interaktionen – und die dazu notwendigen Lern- und Transferprozesse anstoßen. Dazu gehört zunächst die gedankliche Auseinandersetzung mit neuen Erkenntnissen, neuem Wissen - meistens eingeführt durch theoretische Inputs. Dabei geht es nicht um das „ob“ oder „wieviel“, sondern das „wie“: die neuen Inhalte sollten anschlussfähig sein an bereits Gelerntes wie auch in der Praxis Erfahrenes. Weiterbildung muss also anknüpfen an die Prozesse in der Praxis. WeiterbildnerInnen, TeilnehmerInnen sowie die Leitung der Einrichtungen sollten sich idealerweise bereits vor einer Fortbildung über Anliegen in der Praxis und Transferziele verständigen. Nach einer Fortbildung könnten viele Einrichtungen von einer Begleitung und Unterstützung ihrer Lern- und Transferprozesse profitieren, denn es geht um ein komplexes Geschehen: individuelle Lernprozesse sowie Team und Organisationsentwicklungsprozesse sind aufeinander zu beziehen, dabei können Widerstände und  Konflikte entstehen und Wechselwirkungen zwischen einzelnen Gruppen aus dem Blick geraten. Eine solche Begleitung erfordert jedoch wiederum spezifische Kompetenzen in der Beratung und im Coaching von Teams und Organisationen. Hier läge für viele, die derzeit in der Fort- und Weiterbildung tätig sind, Weiterbildungsbedarf.

  • Der Transfer von neuem Wissen in die pädagogische Praxis zeigt sich als ein sehr komplexer Prozess, bei dem viele Puzzleteile ineinander greifen müssen. Können Sie noch einmal die entscheidenden Gelingensbedingungen kurz zusammen fassen?

Die Gelingensbedingungen sind vielfältig. Bekannte Theoretiker aus der Transferforschung – Baldwin und Ford - nennen Faktoren in der Person der oder des Lernenden, im Aufbau der Fortbildung sowie in der Transferumgebung – also der Einrichtung, in der das neue Wissen umgesetzt werden soll. Besonders wichtig erscheint mir die Transferumgebung und hier die strategische Zielsetzung einer Kita. Klar sein sollte: Was ist unsere Vision für die Weiterentwicklung unserer Einrichtung? Wie lassen sich die Ziele konkretisieren? Was müssen wir dazu lernen, wie müssen wir uns selbst verändern? Welches Wissen, welche Qualifikationen brauchen unsere Fach- und Führungskräfte dazu? Was genau wollen wir verändern? Wie können wir den Entwicklungsprozess gestalten? Mit welcher Unterstützung? Und woran wollen wir uns am Ende erfreuen?


Zur Person:

Die Diplom-Psychologin und Pädagogin Dr. Petra Strehmel ist Professorin für Psychologie an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg, Leiterin des Kompetenzzentrums CCKids sowie stellv. Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Bildung und Erziehung in der Kindheit (BAG-BEK). Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Zweitspracherwerb bei Kindern mit Migrationshintergrund; Management von Kindertageseinrichtungen: salutogene Führung und Organisationsentwicklung;  Implementations- und Evaluationsforschung.