Begabungen und Selbstkompetenzen

Wer sich angenommen fühlt, lernt besser

Inhaltsverzeichnis

  1. Qualität der Beziehung
  2. Erwerb von Selbstkompetenzen
  3. Selbstkompetenzen und schulisches Lernen
  4. Diagnostik von Selbstkompetenzen
  5. Literatur

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Wenn Kindergarten und Schule den Auftrag haben, Wissen sowohl fachlich als auch lebenspraktisch zu vermitteln, dann kommt es im Wesentlichen darauf an, Lernbedingungen zu optimieren und den Stoff didaktisch so aufzubereiten, dass er möglichst effektiv vermittelt werden kann. Heute mehren sich allerdings die Stimmen derer, die fordern, dass der Auftrag  von Kindergarten und Schule über die effektive Wissensvermittlung hinausgehen sollte. Der klassische Bildungsbegriff meint mehr als das, was in den Leistungsfächern der Schule bewertet wird: Es geht auch um die Entwicklung der ganzen Person mit ihren Werthaltungen, ihren kreativen Potenzialen und der Fähigkeit, eigenverantwortlich zu handeln (Klafki 2005; Kuhl 2009). Dass diese Entwicklung auch in der Schule gefördert werden soll, lässt sich allein mit der Tatsache begründen, dass Kinder und Jugendliche einen großen Teil ihrer Zeit in der Schule verbringen, sodass ein Teil dieser Zeit auch zur Förderung gesellschaftlich wichtiger Entwicklungsziele aufgewendet werden soll. In diesem Beitrag wird allerdings aus einen anderen Grund dafür plädiert. Denn die Effektivität und Nachhaltigkeit des Lernens hängt maßgeblich von persönlichen Kompetenzen, auch Selbstkompetenzen genannt, ab, die wir als wichtigen Teil der Persönlichkeit ansehen (Heller/Perleth/Hany 1994; Holling/Kanning 1999).

Die Begabungen einer SchülerIn können sich nach dieser Annahme umso besser entfalten, je mehr sie auch wirklich in schulischen Leistungen zum Ausdruck kommen können. Gibt es für eine Begabung keine Ausdrucksmöglichkeit, kann sie sich auch nicht gut entwickeln. Begabung bedeutet zunächst einmal nicht mehr, als dass ein Potenzial vorhanden ist, bestimmte Leistungen zu erbringen. Inwieweit sich vorhandene Begabungen tatsächlich entfalten können, hängt auch von den jeweiligen Selbstkompetenzen ab. Beispiele dafür sind etwa die Fähigkeit, die eigene Motivation auch dann aufrechtzuerhalten, wenn schwierige oder unangenehme Phasen des Lernens zu bewältigen sind (Selbstmotivierung), oder die Fähigkeit, negative Gefühle wie Angst und Enttäuschung nachhaltig zu bewältigen (Selbstberuhigung). Eine weitere Selbstkompetenz bezieht sich auf den Entwicklungsstand des Selbstsystems. Mit diesem eigenständigen Regulations- und Handlungssystem organisiert das Individuum seine Lebenserfahrungen immer nach der persönlichen Bedeutung. D.h., dass das Selbst nach der individuellen Bedeutung einer Erfahrung »schaut«: in Bezug auf die eigenen (aber auch fremden) Bedürfnisse, Werte, Handlungsmöglichkeiten, Begabungen und andere charakteristische Eigenschaften (Biebrich/Kuhl 2009; Kuhl/Hüther 2007). Auf diese Weise können alle persönlich relevanten Erfahrungen so ausgewertet und integriert werden, dass in jeder schwierigen Situation, auch beim Lernen, immer diejenige persönliche Kompetenz eingesetzt werden kann, die gerade benötigt wird.

Der griechische Philosoph Platon verglich die Selbstregulation (die nach unserer Vorstellung ein wichtiger Bestandteil der Selbstkompetenz ist) mit der Regierung oder dem Herrscher in einem gerechten Staat: Ein Herrscher oder ein Staat ist »gerecht«, wenn er für jede Aufgabe immer denjenigen Experten einsetzt, der die Aufgabe am besten erledigen kann. Eine Person wird also sich selbst (und anderen) umso mehr »gerecht«, je besser sie bei jeder Aufgabe diejenigen Kompetenzen einsetzen kann, mit der sie die Aufgabe am besten bewältigt: Wenn die Lust am Lernen nachlässt, wird die Selbstmotivierung aktiviert. Diese sorgt z.B. dafür, dass ein aus der vorherigen Stunde frustrierter Schüler wieder neue Lust verspürt und sich mit Offenheit auf die nächste Stunde einlassen kann. Wenn hingegen Angst das Lernen stört, greift die er lernte Selbstberuhigungskompetenz, die z.B. einer Schülerin dabei hilft, ihre Versagensangst angesichts einer baldigen Prüfung zu regulieren.

Ist in einer Situation kein Lösungsweg parat, müssen Planungskompetenzen eingesetzt werden, um Alternativen zu erarbeiten. Nehmen wir z.B. einen Schüler, der in Chemie einen Versuch durchführen soll, der in dieser Form noch nicht besprochen wurde. Dieser Schüler muss nun aus seinem bestehenden Wissen Möglichkeiten für eine Lösung erarbeiten. Wenn in einem anderen Fall die Gefahr besteht, dass man sich zu lange bei unwichtigen Tätigkeiten aufhält, müssen verschiedene Ziele und Handlungsmöglichkeiten gegeneinander abgewogen werden. Ganz konkret zeigt sich dies in Klausuren, in denen die Schülerin z.B. abwägen muss, wie viel Zeit sie für welche Aufgabe verwendet und sich nicht an einer Aufgabe festbeißt. Mit unserer Osnabrücker Persönlichkeitsforschung haben wir in den letzten zwei Jahrzehnten etwa hundert solcher Selbstkompetenzen ermittelt und Methoden entwickelt, sie zu messen.



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