Kindergarten


Die Idee und methodische Grundlegung des Kindergartens stammen von dem Thüringer Pädagogen Friedrich Fröbel. In der Tradition der deutschen Kindergartenpädagogik und Bildungspolitik ist der Kindergarten keine vorschulische, sondern eine familienergänzende Einrichtung. Doch hat es in der Geschichte immer auch Forderungen gegeben, den Kindergarten als unterste Stufe des allgemeinen Bildungssystems auszugestalten und den Kindergartenbesuch zu verallgemeinern. Solche Forderungen wurden z.B. von der Fröbelbewegung und der bürgerlichen Frauenbewegung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erhoben. Auch während der Reichsschulkonferenz von 1920 gab es Stimmen, welche die Vorarbeit für die Schule als Aufgabe des Kindergartens forderten. Doch mit dem Reichsjugendwohlfahrtsgesetz von 1922 wurden seine institutionelle und rechtliche Zuordnung zum Jugendhilfebereich und der Vorrang der freien Träger festgeschrieben. Versuche der nationalsozialistischen Machthaber, den Kindergarten nach 1933 der nationalsozialistischen Volkswohlfahrt einzugliedern, waren nur zum Teil erfolgreich. Während die Kindergärten kleinerer Träger (Montessorikindergarten, Waldorfkindergarten) verboten wurden, blieb die große Masse der konfessionellen Kindergärten in der Hand der evangelischen und katholischen Träger.Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Kindergarten in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) zur untersten Stufe des Einheitsschulsystems ausgebaut und nach und nach eine nahezu hundert-prozentige Versorgung sichergestellt. Der DDR-Kindergarten hatte zwei Hauptaufgaben: erstens den Kindern eine allgemeine sozialistische Grundbildung zu vermitteln und sie zur Schulreife zu führen, zweitens den Müttern die Beteiligung am Erwerbsleben und am kulturellen und politischen Leben zu ermöglichen. In der Bundesrepublik Deutschland (BRD) knüpfte das Kindergartenwesen erstens an die alte Zuordnung zur Jugend- und Familienhilfe an, zweitens lebte die Trägerstruktur aus der Zeit der Weimarer Republik und, damit verbunden, drittens auch die konzeptionelle Vielfalt wieder auf. In den 1960er Jahren mehrten sich die Stimmen, die das deutsche Bildungssystem und auch den Kindergarten für nicht mehr zeitgemäß hielten. Gegenüber den bislang dominierenden Reifungstheorien sprachen neuere entwicklungspsychologische Erkenntnisse dem Kind ein weitaus höheres Lernpotential zu. Aus sozialisationstheoretischer Perspektive wurde kritisiert, dass schon im frühen Kindesalter aufgrund ungleicher Erziehungsbedingungen die Grundlagen für Chancenungerechtigkeit im Bildungsverlauf gelegt würden. Der reifungs- und vererbungstheoretisch belastete Begabungsbegriff wurde in Frage gestellt und durch den Begriff der Lernfähigkeit abgelöst. Aus der Sicht der antiautoritären Bewegung begann schon in der frühen Kindheit die Erziehung zum folgsamen Massenmenschen. Aus diesen Kritikpunkten folgten Forderungen nach kognitiver Frühförderung, kompensatorischer Erziehung und antiautoritärer Erziehung.

1970 legte der Deutsche BildungsratBildungsrat|||||Der Deutsche Bildungsrat wurde ab 1966 als eine Kommission für Bildungsplanung eingesetzt. Er wurde von Bund und Ländern gegründet. Aufgaben waren unter anderem: Strukturvorschläge zu machen, Bedarfs- und Entwicklungspläne für das deutsche Bildungswesen zu entwerfen, den Finanzrahmen zu berechnen und Empfehlungen für langfristige Planungen auszusprechen. seinen Strukturplan für das Bildungswesen vor. Darin wurde empfohlen, den Kindergarten als Elementarbereich des Bildungssystems für alle drei- und vierjährigen Kinder auszubauen. Die Fünfjährigen sollten in eine zweijährige Eingangsstufe des Primarbereichs (Grundschule) eintreten. Die Umsetzung scheiterte an der Finanzierung und an den Egoismen des Bildungsföderalismus.


Gleichwohl wurden in den 1970er Jahren zahlreiche Modellversuche durchgeführt um 1. zu prüfen, wie und wo die Fünfjährigen am besten zu fördern wären, um 2. Wege der Zusammenarbeit zwischen Kindergarten und Grundschule auszuprobieren und um 3. herauszufinden, welche curriculare Konzeption der vorschulischen Bildung am ehesten entspräche.

Zur ersten Frage stellte ein abschließender Bericht der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung fest, dass keine klaren Kriterien für die einheitliche Zuordnung der Fünfjährigen zum Elementarbereich oder zum Primarbereich gefunden worden seien. Unterschiedliche Versuche und Projekte zu den Punkten 2 und 3 schufen ein Reformklima, als dessen Ergebnis der sogenannte Situationsansatz stand.


Der Erfolg des Situationsansatzes ist nicht zuletzt deshalb zu würdigen, weil er sich in einer pluralistischen Konzeptions- und Trägerlandschaft durchgesetzt hat. Neben dem Situationsansatz bestehen die traditionellen Konzeptionen der Montessori-Kinderhaus-Pädagogik und des Waldorfkindergartens fort. Doch kommen immer wieder neue Ansätze hinzu, z.B. die aus Italien kommende Reggio-PädagogikReggio-Pädagogik|||||Die Reggio-Pädagogik ist ein reformpädagogisches  Gesamtkonzept von Ideen und Praxisstrukturen, die seit den 1960 er Jahren in der Norditalienischen Stadt Reggionell`Emilia in Krippen und Kindergärten entwickelt wurde. Dem Konzept liegt ein humanistisches Menschenbild und eine demokratische Gesellschaftsvorstellung inne..

Es hängt mit den freien Trägerschaften und der fehlenden Integration in das Bildungssystem zusammen, dass in der BRD eine sich ständig in Bewegung befindliche konzeptionelle Vielfalt entstehen konnte: Offener Kindergarten, Waldkindergarten, Kneippkindergarten, Early Excellence Center. Neben den curricularen Reformansätzen brachte das Reformjahrzehnt auch eine Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen und des Platzangebotes mit sich. Die Bundesländer erlegten sich nach und nach mit der Verabschiedung von Kindergartengesetzen bzw. Kindertagesstättengesetzen einen größeren Verbindlichkeitsgrad für ihr politisches Handeln auf. Die Versorgung mit Kindergartenplätzen in der BRD stieg von 32,9% im Jahr 1970 auf 56,1% 1975 und 67,7% 1989. Auch in der Trägerschaft machten sich Veränderungen bemerkbar. 1969 waren von den 16.413 Einrichtungen 21% in öffentlicher und 75% in freier (v.a. konfessioneller) Trägerschaft; bis 1990 wuchs der Anteil der öffentlichen Träger auf 30,9%, der konfessionelle Anteil sank auf 57,9% und der Anteil anderer freier Träger stieg auf 10,4%.Bis heute bestehen die strukturkonservativen Barrieren zwischen Kindergarten und Bildungssystem fort. Doch seit den 1990er Jahren werden auf breiter Ebene die Einrichtungsqualität, die Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher und die Bildungskonzeptionen für die frühe Kindheit diskutiert und kritisiert. Viel stärker aber, als dies in den 1970er Jahren der Fall war, stehen Diskussion und Kritik im Horizont des Vergleichs mit dem europäischen Ausland. Während der Kindergarten hierzulande eine Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe blieb, ist die vorschulische Erziehung in der großen Mehrzahl der Länder der Europäischen Union dem Bildungssektor zugeordnet. Anders als Deutschland stimmen diese Länder die Bildungsprozesse in der frühen und mittleren Kindheit besser aufeinander ab, und die Ausbildung des pädagogischen Personals hat hochschulischen Zuschnitt.


Mit der neuen Diskussion über die frühkindliche Bildung steht auch das Verhältnis zwischen Kindergarten und Grundschule wieder auf dem Prüfstand. Ein Schlüsselbegriff heißt Anschlussfähigkeit. Auch in der Bildungspolitik setzt sich die Einsicht durch, dass die Bildungsprozesse im frühen und mittleren Kindesalter als Kontinuum zu sehen sind. Davon zeugen die neuesten Aktivitäten der Bundesländer, die im Kontext internationaler Leistungsvergleiche Erziehungs- und Bildungspläne erstellen. Die Länder verfolgen mit ihnen zwei zentrale Ziele. Ihre institutionelle und curriculare Umsetzung soll erstens dazu führen, dass Kindergärten nicht mehr nur familienergänzende Betreuungseinrichtungen sind, sondern auch vorschulische Bildungseinrichtungen werden; zweitens wollen die Länder nicht mehr nur äußerlich regulieren (Finanzierung, Sicherheitsstandards, Platzangebot usw.), sondern anschlussfähige Qualität kontrollieren.


Literatur

  • Denner, L./Schumacher, E. (Hg.) (2004): Übergänge im Elementar- und Primarbereich reflektieren und gestalten. Bad Heilbrunn.
  • Faust, G. u.a. (Hg.) (2004): Anschluss-fähige Bildungsprozesse im Elementar- und Primarbereich. Bad Heilbrunn.
  • Fthenakis, W. E. (Hg.) (2003): Elementarpädagogik nach PISA. Freiburg.
  • Reyer, J. (2006): Einführung in die Geschichte des Kindergartens und der Grundschule. Bad Heilbrunn.


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Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. © 2011 Verlag Julius Klinkhardt. Quelle: Klinkhardt Lexikon Erziehungswissenschaft (KLE), hg. v. Klaus-Peter Horn, Heidemarie Kemnitz, Winfried Marotzki und Uwe Sandfuchs. Stuttgart, Klinkhardt/UTB 2011, ISBN 978-3-8252-8468-8. Nutzung mit freundlicher Genehmigung des Verlags. Das komplette Klinkhardt Lexikon Erziehungswissenschaft erhalten Sie im UTB-Online-Shop (Link s.u.)