Nur mal kurz die Welt retten

Allein kann keiner unsere Erde zu einem besseren Ort machen. Zusammen aber schon! Warum Kinder hier eine wichtige Rolle spielen und was wir über verschiedene Arten des Lernens wissen sollten, um zum sogenannten nachhaltigen Lernen zu kommen, hat unsere Autorin für Sie analysiert.

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.“ „Ganz die Mama, ganz der Papa.“ Das sind typische Aussprüche, wenn ein Kind freundlich grüßt, fröhlich lacht oder hilfsbereit die Tür aufhält. Ursachen für solche Aussagen sind oft Verhaltensweisen und Ähnlichkeiten im Aussehen von Kindern, die auffallen.

Tradierung, also die Überlieferung von Verhaltensweisen, wird vielfach als nachhaltige Erziehung beschrieben. Die Weitergabe von familiären Normen wird allerdings je nach Blickwinkel positiv oder negativ bewertet. Wenn Kinder in schlechtes Fahrwasser geraten, wird – oft vorschnell – darauf geschlossen, dass hier Erziehung und Förderung zu Hause nicht gut geklappt haben.

Auch in der Forschung zur Frühen Pädagogik wird – etwa vom Verhaltensphysiologen und Hirnforscher Gerhard Roth und der Psychologin Nicole Strüber – darauf hingewiesen, dass die Erziehung und Förderung der Eltern wesentlich nachhaltiger auf Kinder wirken, als jede institutionelle (Nach-)Erziehung von Kita oder Schule es vermögen. Nachhaltiger Erziehung wird heute eine andere Bedeutung zugeschrieben (siehe Kasten), die im weiteren Verlauf des Textes ausführlich erläutert wird.

Wie Kinder aktiv lernen

Erst einmal möchte ich aber den Fokus darauf richten, wie Kinder überhaupt lernen – nämlich durch Anschauung und Nachahmung. Das sogenannte Imitationslernen ist da offensichtlich, wo Kinder etwa beim Essen, bei Spiel, Sport oder Sprache anderen Kindern oder Erwachsenen nacheifern. Sehen sie, dass ihr Tun gelingt und bekommen sie Anerkennung dafür, fühlen sich die Kinder bestätigt. Sie behalten das Verhalten bei, manchmal zum Ärger der Erziehenden, etwa wenn Kinder beim Essen in der Kita herumkaspern: Lachen die anderen Kinder über die Faxen, verstärken sich Häufigkeit und Intensität der Grimassen des „Kaspers“, oder er steckt alle an und am Ende sitzen lauter herumalbernde Kinder am Tisch. Kinder reagieren in diesem Falle nicht anders als Erwachsene. Auch sie freuen sich, wenn ein Kind oder ein anderer Erwachsener ihr eigenes Verhalten wiederholt. Ich staune immer wieder über mich selbst, wenn ich bei Tisch meinem jüngsten Enkel das „Bitte, bitte“ vorbete, aus lauter Freude darüber, dass er dann strahlt und in seine Hände patscht.

Der Wert der Nachhaltigkeit

In eine ähnliche Kategorie wie die Verstärkung gehören auch Lob, Belohnung und positive oder negative Bewertung – wie Klebepunkte für besonderes Verhalten oder Schulnoten. Sie motivieren Kinder zu neuen oder alternativen Verhaltensweisen oder werden zumindest in der Absicht der Verhaltensänderung eingesetzt. Allerdings sind solche aktiven Bewertungssysteme nur geeignet, um Kindern bestimmte Verhaltensweisen schmackhaft zu machen, die von uns Erwachsenen als extrem wichtig eingestuft werden. Sie helfen nicht wirklich für das Lernen durch Einsicht.

Neben dem Lernen durch Beobachtung und Nachahmung scheint es bei Menschen aber auch eine Verhaltensbeeinflussung zu geben, die ähnlich nachhaltig wie die Prägung im Tierreich funktioniert. Weder Erfahrung noch Belohnung, Bestrafung oder andere Beeinflussungen scheinen hier eine Rolle zu spielen.

Die Verhaltensbiologie geht davon aus, dass es besonders in der frühen Entwicklung sensible Zeiträume gibt, in denen auf bestimmte Auslöser hin bestimmte Reaktionen ins eigene Verhaltensrepertoire aufgenommen werden. In solchen Momenten scheint der Grundstein zur Entwicklung von Urvertrauen, emotionaler Bindung, Selbstvertrauen oder auch zur Gestaltung von Geschlechterrollen gelegt zu werden.

In erster Linie greifen Erwachsene in der Erziehung auf ihre eigenen Erfahrungen zurück und vermitteln Kindern das, was sie selbst gelernt oder eben gerade nicht gelernt haben und was ihnen zum Weitergeben wichtig erscheint. Das tun sie so lange, bis Kinder es verstanden haben. Damit Kinder für die Lehren der Erwachsenen empfänglich sind und Erziehung im Sinne von „Kinder leben, was sie leben sollen“ nachhaltig wirkt, müssen die Erwachsenen allerdings einige Bedingungen erfüllen:

Viele pädagogische Fachkräfte kennen die sogenannte Bedürfnispyramide nach Abraham Maslow mit ihren ursprünglich fünf Stufen. Nach dem US-amerikanischen Psychologen funktioniert kindliches Aufwachsen und Entwickeln, wenn körperliche Bedürfnisse, das Bedürfnis nach Sicherheit sowie soziale und emotionale Bedürfnisse befriedigt werden und wenn darüber hinaus Kinder als selbstwirksame Persönlichkeiten betrachtet werden, die einzigartig sind. Dabei gilt es, Wünsche von Kindern nicht mit ihren Grundbedürfnissen zu verwechseln.
Liebe und Nahrung sind wichtig – Schokolade muss nicht sein.

Es gibt aber immer wieder Eltern, die gar nicht in der Lage sind, ihren Kindern die Sicherheit zu geben, die sie brauchen, weil sie selbst bedürftig sind, Angst haben oder sich alleingelassen fühlen. Zahlreiche Eltern hatten selbst keine Vorbilder, die ihnen das Gefühl der Selbstwirksamkeit vermitteln konnten. Sie tun sich schwer, sich selbst an Regeln zu halten oder bei Misserfolgen neu zu starten. Hier sind professionelle Pädagoginnen und Pädagogen gefragt, die Eltern dabei unterstützen.

„Erziehung ist Vorbild und Liebe - sonst nichts.“ Diese Erkenntnis des Schweizer Pädagogen Johann Heinrich PestalozziPestalozzi||||| Johann Heinrich Pestalozzi`s (1746 - 1827) pädagogisches Ziel war es eine ganzheitliche Volksbildung zu erreichen, und die Menschen in ihrem selbstständigen und kooperativen Wirken in einem demokratischen Gemeinwesen zu stärken. Er legte Wert auf eine harmonische und ganzheitliche Förderung von Kindern in Bezug auf intellektulle, sittlich-religiöse und handwerkliche Fähigkeiten. Grundidee ist dabei, ähnlich wie in der Montessori-Pädagogik, dass die Menschen die Fähigkeit entwickeln, sich selbst zu helfen.   bringt es auf den Punkt. Der größte Teil der Erziehung passiert nebenbei, ohne dass an Kindern „gezogen“ wird, eben durch die Beobachtung und Nachahmung dessen, was sie im Alltag tagtäglich vorgelebt bekommen. Das wiederum bedeutet, dass Erwachsene sich so verhalten müssen, wie sie es von den Kindern auch erwarten. Dazu gehört die Vermittlung eines Bewusstseins für Respekt, für Gleichberechtigung und verantwortungsvolle Lebensweise. Gemeint ist die Sensibilisierung für Mitmenschlichkeit, fairen Umgang mit Mensch und Tier sowie ein Umweltbewusstsein, das die Lebensgrundlage für nachfolgende Generationen im Blick hat.

Hierzu brauchen Erwachsene eine klare Haltung und den Mut, auf die Einhaltung von wenigen, aber wichtigen Regeln zu pochen, selbst wenn trotzende oder pubertierende Kinder das überhaupt nicht lustig finden. Typische Regeln, die das Zusammenleben stärken, sind etwa das gemeinsame Essen zu einer bestimmten Tageszeit oder konsequente und entwicklungsangemessene Bettgeh- oder Rückzugszeiten.

Auch ein gewaltfreier und respektvoller Umgang miteinander oder die Klärung der Eigentumsverhältnisse müssen oft durchgesetzt werden: Wer Kleider oder Spiele von anderen nutzen möchte, sollte zuerst fragen und nicht beleidigt sein, wenn ein Nein kommt. Es geht beim Setzen von Regeln nicht um Sturheit – selbst Erwachsene müssen manchmal einsehen, dass sich die Welt dreht: Wenn ich früher ganz klar der Meinung war, ein Mobiltelefon sei für Kleinkinder tabu, so sehe ich das heute durchaus etwas anders. Viele Eltern und auch Fachkräfte haben klare Vorstellungen davon, wie ein Kind werden soll. Wenn ein Kind dann den Ansprüchen nicht genügt, sind selbst reflektierte Eltern irritiert. Eigentlich erwarten sie ja, dass Kinder sich kritisch mit ihnen und der Welt auseinandersetzen. Aber tun sie das dann auch – und sei es nur die Verhandlung darüber, wann Schlafens- oder Essenszeit ist oder wie Spielsachen aufgeräumt werden –, sind sie doch überrascht.

Nachhaltige Erziehung braucht Zeit für Auseinandersetzung und individuelle Ansprache. „Kinder, aufräumen!“ funktioniert leider nicht. Besser wäre: „Jonas, kannst du bitte die Bauklötze aufräumen, und du, Sina, suchst die Spielzeugautos zusammen und tust sie in die Kiste?“ Je nach Alter der Kinder können Erwachsene sich beteiligen, indem sie beispielsweise anfügen: „Derweil kümmere ich mich um die Wäsche.“



Nachhaltige Erziehung – was ist das eigentlich?
Nachhaltigkeit in der Erziehung bedeutet, die Lebensqualität der gegenwärtigen Generation zu sichern und gleichzeitig für nachfolgende Generationen die Wahlmöglichkeiten zur Gestaltung ihres Lebens zu erhalten. Diese Definition geht auf den Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen von 1987 zurück. Wir wissen nicht, was die Kinder in der Zukunft können und wissen müssen – aber wir können ihnen die Motivation mitgeben, sich stets weiterzuentwickeln und dabei gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die Welt lebenswert bleibt.

Da Kinder am besten über Nachahmung lernen, müssen wir ihnen vorleben, wie Nachhaltigkeit geht. Nachhaltige Erziehung beinhaltet die Aufforderung an heutige Erwachsene, umweltbewusst zu handeln, einfühlsam mit Mitmenschen und Tieren umzugehen, und sie fordert Offenheit, Ehrlichkeit und Respekt vor Vielfalt.



Mehr als ein Modewort

Nachhaltigkeit ist kein Modewort, sondern ein notwendiges Prinzip, um die Zukunft der Menschheit zu sichern. Der Begriff der Nachhaltigkeit hat sich schon längst vom reinen Umweltbegriff wegentwickelt und basiert heute auf der Erkenntnis, dass Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft sich gegenseitig beeinflussen. Es wird langfristig keinen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt ohne eine intakte Umwelt geben. Aber ebenso wenig wird es gelingen, die Umwelt effektiv zu schützen, wenn Menschen um ihre wirtschaftliche oder soziale Existenz kämpfen müssen. Eine nachhaltige Lebensweise ist deshalb entscheidend für die Zukunft.
Hierzu gehört, Kindern eine nachhaltige Erziehung zukommen zu lassen. Das bedeutet beispielsweise, mit Kindern und Umwelt beobachtend im Dialog zu bleiben und tradierte Erziehungsvorstellungen auf den Prüfstand zu stellen. Wir wissen nicht, welche Situationen den Kindern in der Zukunft begegnen werden. Daher können wir sie nur motivieren, in jeder Situation selbst- und verantwortungsbewusst eine Lösung zu finden, die ihnen guttut, die aber auch den Erhalt einer lebenswerten Umwelt sichert. Stark hierarchische Familienstrukturen führen zum Beispiel bei Kindern eher zu Trotz und weniger zu Verantwortungsübernahme.

Letztere ist aber wichtig für eine nachhaltige Lebensweise, die den Schutz allen Lebens im Blick hat. Gibt es hingegen keine klaren Strukturen in der Familie, fehlt den Kindern oft das Gefühl für richtiges Verhalten oder das Gefühl, geschützt zu sein. Sie sind unmotiviert. Daher ist nachhaltige Erziehung vor allem eine Aufforderung an Erwachsene, sich bewusst zu machen, welche Haltung und welche Handlung welche Konsequenzen nach sich ziehen. Diese Bewusstmachung gilt für die Wahl der Windeln, Spielzeug und Essensangebote ebenso wie für die Nutzung von Auto, Strom und Wasser oder den Kauf von Kleidern.

Fachkräfte in Kitas können Eltern unterstützen, indem sie zum Beispiel auf nachhaltige Spielsachen hinweisen oder Kindern die Schönheit sowie den Nutzen von Natur näherbringen. Die beste Methode, Kinder für eine nachhaltige Lebensweise zu sensibilisieren, ist, wenn Eltern und andere Erwachsene ihnen vorleben, ressourcenschonend und vernünftig zu handeln. Womit wir wieder beim zu Beginn des Textes erläuterten aktiven Lernen der Kinder durch Nachahmung wären. Wenn Eltern sich für etwas begeistern können, tun das die Kinder in der Regel auch. Wenn Erwachsene Verhalten, Wünsche und Ideen der Kinder respektvoll und wertschätzend zur Kenntnis nehmen und ihre Entwicklungsschritte würdigen, erleben Kinder Toleranz und Anerkennung. Sie erfahren Grenzen, wenn Eltern nicht alles durchgehen lassen. So wird selbstständiges Essen bestätigend zur Kenntnis genommen – das Herumschmeißen von Essen aber nicht.

Auch wenn Pommes und Würstchen sich im Kleinkindalter leichter essen lassen als Salzkartoffeln und Möhren, sind im Sinne der Nachhaltigkeit dann doch Letztere vorzuziehen. Eltern sollen sich freuen, wenn das Kind Blumen beobachtet. Sie schreiten aber ein, wenn diese zerstört werden – auch wenn es die der Nachbarin sind. Nachhaltigkeit bedeutet, sowohl in der eigenen Lebensweise als auch in der Beziehung zu anderen, dass ethische und moralische Vorstellungen einen respektvollen Umgang mit Lebewesen und den Schutz der Umwelt implizieren.

Nachhaltige Bildung betrifft dabei durchaus auch das Sozialverhalten: Wenn die Mama morgens vor den Kindern über die blöde Nachbarin schimpft, diese aber von den Kindern mittags freundlich begrüßt werden soll, lernen die Kinder etwas anderes als Respekt.

Überlieferte Werte müssen immer wieder überprüft werden. Im Austausch zwischen Familien und Kindertageseinrichtungen und zwischen den unterschiedlichen Eltern gilt es stets neu darüber nachzudenken, was Kinder in Zukunft erleben werden. Was sollen sie können? Das beinhaltet unter anderem auch die ständige entwicklungsangemessene Auseinandersetzung mit realen Problemen und Konflikten und die gemeinschaftliche Suche nach Lösungen und Kompromissen zwischen Erwachsenen und Kindern. Und dabei ist jeder Bildungsort gefragt, die Familie genauso wie die Kindertagesbetreuung, der Musikverein ebenso wie das Gesundheitswesen.

Der entscheidende Moment für nachhaltige Erziehung und Bildung ist tatsächlich im Menschen angelegt: das Einfühlungsvermögen. Wenn Erwachsene es nutzen, kann nachhaltige Erziehung wie ein Samen wirken, der während der Entwicklung des Kindes aufgeht. Wer am wachsenden Sprössling herumzieht, reißt höchstens Wurzeln aus und tut ihm keinen Gefallen. Wenn Eltern und pädagogische Fachkräfte dies erkennen und leben, dann werden sie die Umwelt so gestalten, dass jedes Kind darin Angebote zur Weiterentwicklung erkennt.

Übernahme mit freundlicher Genehmigung aus TPS 3-2021, S. 8-11


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