Partizipation im Morgenkreis? (Review)
Wird der in den KiTas weit verbreitete Morgenkreis für eine echte Partizipation und demokratische Mitbestimmung von Kindern genutzt oder eher nicht? Dieser auch im Kontext der Inklusion wichtigen Frage geht das Projekt PIIQUE (Pro Inkludierende Interaktion. Qualität crossemedial entwickeln) nach, über dessen erste Ergebnisse Ina-Marie Abeck, Aljosche Jegodtka und Corinna Schmude jetzt in der „Frühen Bildung“ berichten.Im Gesamtkontext der in den KiTas voranzutreibenden Inklusion müssen die Autor*innen eingangs konstatieren, „dass im Alltag situierte Inklusion, das heißt, die selbstverständliche und diskriminierungsfreie Teilhabe und -gabe aller Kinder an alltäglichen Erziehungs- und Bildungsprozessen noch nicht ausreichend in allen Kindertagesstätten realisiert wird“ (Frühe Bildung 2023-02, S. 74).
Im Projekt wurde daher der Fokus auf den Morgenkreis als Möglichkeit einer alltagsintegrierten inklusiven Pädagogik gelegt: „Morgenkreise können im Sinne der Mitbestimmung ein offenes Format der Beteiligung in Kindertageseinrichtungen darstellen und bewusst demokratische Mitbestimmungsprozesse ermöglichen, wenn Kinder hier ihre Anliegen und Einsichten vorbringen, gemeinsam diskutieren und Entscheidungen treffen können“ (ebd. S. 75). Es gehe dabei sowohl um das „Dabei sein“ wie auch um das „Mitmachen“ und „Einflussnehmen“.
Mit der Videographie wurden im PIIQUE-Projekt je zwei Morgenkreise von 11 pädagogischen Fachkräften dokumentiert und durch eine strukturierende qualitative Inhaltsanalyse auf Grundlage eines theoriegeleiteten Kodierleitfadens systematisch ausgewertet. Für die Erfassung der Beteiligung der Kinder wurde dafür auf Grundlage der Partizipationsleiter von Wright et al. (2010) eine Hauptkategorie mit entsprechenden Unterkategorien gebildet.
Ernüchternde Ergebnisse
Insgesamt ließen sich in den Morgenkreisen durchschnittlich fünf Entscheidungssituationen erkennen, wobei 2/3 auf Aktivitätsgestaltung, ein gutes Viertel auf den Aktivitätswechsel und rund 10 Prozent auf den Tagesablauf und das Miteinanderleben bezogen waren. Ernüchternd fallen dann bei näherer Betrachtung die Ergebnisse aus - denn der Anteil der Kinder, die sich an den Entscheidungssituationen beteiligten, lagen in 42,2 Prozent bei nur einem Kind, in 49 Prozent bei einer Teilgruppe und nur in 2,9 Prozent bei allen Kindern. Bei konkreten Entscheidungsfragen hatte bei mehr als der Hälfte ein einzelnes Kind die Entscheidungsmacht inne, knapp ein Drittel waren Konsensentscheidungen und nur 5,9 Prozent Mehrheitsentscheidungen (vgl. ebd. S. 78).In der Studie zeigte sich, „dass der Morgenkreis tendenziell ein von der Fachkraft moderiertes und geleitetes Ritual mit nur teilweise gelebten Mitbestimmungsmöglichkeiten der Kinder ist“ (ebd. S. 79). In der Schlussfolgerung bedeutet dies, dass „Kinder, die nicht von sich aus Entscheidungssituationen initiieren bzw. auf offene Fragen der Fachkraft sofort antworten, sich nicht beteiligen. Die Forschung zeigt eine Differenz zwischen selbstbewussten Kindern, die Eigeninitiative ergreifen können und anderen, die es nicht können, auf. Ersteres trifft oft auf Kinder, die gesellschaftlich bevorteilt sind und früh die Fähigkeit besitzen, ihre Interessen zu artikulieren“ (ebd. S. 79). Es liegt auf der Hand, dass Kinder aus sozio-ökonomisch prekären Lagen und / oder mit anderen kulturellen Hintergründen Gefahr laufen, von diesen Partizipationsmöglichkeiten ausgeschlossen zu werden und Inklusion daher nicht realisiert wird.
Sensibilisierungsbedarf für inklusive Interaktionen
In diesem Sinne konstatieren die Autor*innen auch eine „Differenz zwischen normativnormativ|||||Normativ bedeutet normgebend, somit wird etwas vorgeschrieben, dass Normen, Regeln oder ein „Sollen“ beinhaltet.en Erwartungen an das professionelle Handeln und gelebtem Handeln im Kita-Alltag“ (ebd.) und unterstreichen einen entsprechenden Sensibilisierungsbedarf für eine wirklich partizipative und inklusive Alltagsgestaltung in wiederkehrenden gruppenpädagogischen Settings wie dem Morgenkreis.Zur Online-Ausgabe der Frühen Bildung
- Zuletzt bearbeitet am: Freitag, 28. April 2023 11:22 by Karsten Herrmann